Streit zwischen Steinbrück und Gabriel:Donnernder Warnschuss für die SPD

Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und SPD-Chef Sigmar Gabriel haben ein gemeinsames Ziel. Aber verfolgen sie auch die gleiche Strategie?

(Foto: AFP)

Peer Steinbrück bräuchte als Kanzlerkandidat der SPD die Solidarität des Parteichefs. Doch Gabriel erweckt eher den Eindruck, er sei nicht Mitglied der Armeeführung, sondern selbstständiger Warlord. Die SPD mag wenig Chancen haben, noch zu gewinnen. Aber sie kann noch verlieren - mäßig, deutlich oder katastrophal.

Ein Kommentar von Kurt Kister

"Steinbrück? Ich fühle mich an die Probleme von Kurt Beck erinnert." Der das sagt, ist ein wichtiger Sozialdemokrat, ein Mann von Reputation und Durchsetzungskraft, der allerdings nicht in Berlin Politik macht und der auch wenig im Willy-Brandt-Haus weilt. Wie das so ist, darf man ihn nicht namentlich zitieren, weil er sonst nicht offen reden würde.

Beck, so sagt er, sei letztlich am Berliner Klüngel, nein: an den Berliner Klüngeln gescheitert. Da gebe es den Parteiklüngel mit etlichen Unterklüngeln, den Journalistenklüngel, den Expertenklüngel und so weiter. Beck habe in seiner kurzen Zeit zwischen 2006 und 2008 als SPD-Vorsitzender versucht, die Partei ohne und oft gegen die Klüngelei zu führen.

In Rheinland-Pfalz sei das dem lange erfolgreichen Ministerpräsidenten gut gelungen, und wenn es da einen Klüngel gegeben habe, dann sei das der Beck-Klüngel gewesen.

Das ist eine interessante Sichtweise. Tatsächlich ist Beck als SPD-Chef auch daran gescheitert, dass er die Erwartungen nicht erfüllt hat, die "Berlin" an ihn hatte. Nachdem Beck gemerkt hatte, wie auch aus dem Willy-Brandt-Haus gegen ihn geschossen wurde, zog er sich noch mehr auf sein Anderssein zurück. Er geriet, wenn nicht in die Isolation, so doch in die Nähe der Vereinzelung.

Dies machte es nicht zuletzt für wohlmeinende Intriganten aus der Parteispitze, zu denen in sehr unterschiedlichen Rollen auch Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und der Drei-Viertel-Pensionär Franz Müntefering zählten, etwas leichter, den Parteichef zum nahezu freiwilligen Rückzug zu bewegen.

Nun will zwar niemand in der SPD den Kanzlerkandidaten Steinbrück drei Monate vor der Bundestagswahl zum Rückzug bewegen. Die Kandidatur allerdings war bisher alles andere als das, was man sich in weiten Teilen der SPD im vergangenen Jahr von der Benennung des Mannes versprach, der gleichzeitig als kundiger Insider wie auch als kritischer Outsider antrat.

Steinbrücks Wahlkampf ist bisher nicht vom Boden weggekommen. Und das liegt keineswegs in erster Linie daran, wie jetzt in manchem Leitartikel geraunt wird, dass "die publizistische Kopfgeldjägerei " den Kandidaten fertiggemacht habe.

Ein Beispiel: In der SPD lassen sich, so wie auch in der Linkspartei zu bestimmten Zeiten und grundsätzlich immer in der Seehofer-CSU, oft sehr garstige Zitate von Führungspersönlichkeiten über andere Führungspersönlichkeiten einsammeln.

Große Bereitschaft zur unfreundlichen Nachrede

Diese Bereitschaft zur unfreundlichen bis verletzenden Nachrede ist gegenwärtig zwischen dem Gabriel-Lager und dem Steinbrück-Lager immens. Sie ist größer als sie das 2008/2009 war, als etliche SPDler dem Kanzlerkandidaten Steinmeier zu geringe Kampfkraft und mangelndes Charisma vorhielten. Vor allem ist der Streit zwischen Gabriel und Steinbrück in diesen Tagen so öffentlich geworden, dass er das gemeinsame Ziel massiv gefährdet.

Steinbrück warf dem SPD-Chef kaum verklausuliert Illoyalität vor. Gabriel wehrte sich, auch weil er weiß, dass an ihm seit langem Etiketten kleben, zu denen das der "Illoyalität zum eigenen Vorteil" eindeutig gehört.

Nun ist Gabriel ein impulsiver Mensch, der manchmal krätziger klingt als er es meint. Meistens aber meint es Gabriel auch so krätzig, wie er es sagt. Und manchmal handelt Gabriel zwar schneller als er denkt. Aber er denkt genug und vor allem zielgerichtet genug, um zu wissen, was es bedeutet, wenn er im Wahlkampf Dinge macht oder fordert, die Steinbrück dezidiert ablehnt - Tempolimit, Gummistiefel-Reisen, eine Form der Anti-Merkel-Politik, die sich gleichzeitig gegen Steinbrücks (und Steinmeiers) Europapolitik wendet.

In einer Phase, in der Steinbrück eigentlich die nahezu "bedingungslose Solidarität" (Gerhard Schröders altes Zitat) gerade des Parteivorsitzenden benötigte, erweckt Gabriel den Eindruck, als sei er nicht Mitglied der Armeeführung von Steinbrück, sondern ein selbstständiger Warlord, der vielleicht dasselbe Kriegsziel verfolgt, aber mit einer anderen Strategie. Und in jedem Fall möchte der Warlord Gabriel politisch überleben, egal wie es nach dem 22. September aussieht.

Steinbrück wiederum war als der insiderische Outsider von Anfang an zu wenig in der Partei und in deren Führungsorganisation vernetzt. Vor seiner Hoppla-hopp-Ausrufung zum Kandidaten war er es, der die Rolle des selbstständigen Warlord spielte und sich manchmal nahezu gleichermaßen vom politischen Gegner wie vom eigenen Parteiapparat distanzierte.

Einziges großes Argument "Angela Merkel"

Die Annäherung an die eigentlich Seinen war in den vergangenen Monaten der nahezu schwierigste Part für Steinbrück. Den Kandidaten nahm man ihm durchaus ab, der SPD-Kandidat musste er erst werden. Er bemüht sich noch heute darum, was man auch daran merkt, dass seine Integration in den Apparat - Wahlkampftruppe, Kompetenzteam - längst nicht abgeschlossen ist und möglicherweise Zeit über den 22. September hinaus bräuchte, wäre dieses Datum nicht das natürliche Ende dieses Prozesses.

Ob Gabriels Leute und Steinbrücks Getreue bereits jetzt damit beginnen, Schuldige für die befürchtete Niederlage präventiv zu benennen, ist einerseits klassische Berliner Spökenkiekerei.

Andererseits gewinnt dieser Gedanke eine gewisse Wirkmächtigkeit schon allein deswegen, weil er immer häufiger wiederholt und hin und her gedreht wird. Jedenfalls ist es sehr bemerkenswert, dass sich Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat Streitereien auf offener Bühne liefern, während hinter den Kulissen dieses Theaters zahlreiche Bühnenarbeiter sich widersprechende Interpretation des Stücks anbieten.

Es gibt in Deutschland immer noch kaum etwas, was die Wahlchancen einer Partei mehr beeinträchtigt, als wenn die Wähler das Gefühl haben, innerhalb der Partei herrsche Uneinigkeit, ja Streit. Weil das so ist, war das Geplänkel zwischen Steinbrück und Gabriel in den vergangenen Tagen in Wirklichkeit ein donnernder Warnschuss für die SPD. Vielleicht können die Sozialdemokraten schon jetzt nicht mehr gewinnen, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie mit mindestens 30 Prozent eine Regierung führen können. Aber sie können noch verlieren - mäßig, deutlich oder katastrophal.

Es scheint zum Unglück dieser Partei zu gehören, dass sie sich selbst in schwierigen Zeiten so effizient schadet und dadurch dem Gegner hilft. Die Union zum Beispiel führt keinen Wahlkampf, sie hat außer "weiter so" kein Programm und ihr einziges großes Argument heißt "Angela Merkel". Was ließe sich da für ein Wahlkampf führen gegen diesen personenzentrierten Konservativismus, gegen die Kanzlerdemokratie mit absolutistischem Einschlag. Der zumindest hat von Seiten der SPD noch nicht wahrnehmbar begonnen. Mal sehen, ob er noch kommt.

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