Streit zwischen Kroatien und Slowenien:Die Grenzziehung nach dem Zerfall Jugoslawiens ist gescheitert

Streit zwischen Kroatien und Slowenien: Sloweniens schmaler Zugang zum Wasser: das idyllische Piran.

Sloweniens schmaler Zugang zum Wasser: das idyllische Piran.

(Foto: Jure Makovec/AFP)
  • Slowenien und Kroatien streiten sich bereits seit Jahren um einen kleinen Zugang zum Mittelmeer.
  • Ende Juni hatte ein Schiedsgericht eine Lösung für den Konflikt vorgeschlagen, die von Kroatien allerdings nicht akzeptiert wird.
  • Ein letzter Versuch der zwei EU- und Nato-Staaten, sich zu einigen, schlug am 19. Dezember fehl.
  • am Samstag übernimmt Slowenien die Bucht an der nördlichen Adria.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Das Szenario, das man in Brüssel fürchtet, sieht so aus: Ein kroatisches Fischerboot fährt am Wochenende durch die Bucht von Piran. Slowenische Grenzschützer stoppen es, schließlich befindet es sich ihrer Meinung nach in slowenischem Gewässer. Die Fischer verweigern jegliche Auskunft. Eskortiert von kroatischen Polizisten, erzwingen sie ihre Weiterfahrt. Danach schaukeln sich die Dinge hoch.

Es muss nicht so kommen, aber unwahrscheinlich ist es nicht. Denn an diesem Freitag läuft die Frist für den Spruch eines internationalen Schiedsgerichts aus, der den mehr als 25 Jahre alten erbitterten slowenisch-kroatischen Grenzkonflikt im Norden der Halbinsel Istrien eigentlich beenden sollte. In Ljubljana will man ausdrücklich keine Zwischenfälle dieser Art provozieren, ist aber fest entschlossen, die am 29. Juni dieses Jahres verkündete Lösung umzusetzen.

Slowenien bekommt schließlich mehr oder weniger, was es wollte: etwa drei Viertel der Bucht von Piran sowie Zugang zu internationalen Gewässern durch einen Korridor, der den Kroaten abgezwackt würde.

Die Regierung in Zagreb jedoch erkennt den Schiedsspruch nicht an. Sie hatte das Schiedsverfahren wegen eines klaren slowenischen Regelverstoßes schon 2015 verlassen, obwohl das spätere Ergebnis wiederum kroatischen Wünschen bei der Regelung einiger umstrittener Landgrenzziehungen entgegenkommt.

Ein letzter Versuch der zwei EU- und Nato-Staaten, sich zu einigen, schlug am 19. Dezember fehl. Nach einem Treffen in Zagreb bekräftigten der slowenische Regierungschef Miro Cerar und sein Kollege Andrej Plenković bloß ihre Positionen. Vorwürfe fliegen hin und her. Nach Ansicht Cerars verstößt Kroatien "gegen die Zivilisationsstandards und gutnachbarlichen Beziehungen", wenn es sich dem Schiedsspruch verweigere. Diesen wiederum halten die Kroaten für "null und nichtig", der 29. Dezember sei "ein Tag wie jeder andere".

Slowenien bleckt nun die Zähne: Es formuliert Einwände sowohl gegen den Beitritt des Nachbarn zur Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als auch zum grenzkontrollfreien Schengenraum. Gleichzeitig hat es Brüssel um Hilfe gebeten. Die EU-Kommission solle den Nachbarn zum Einlenken bringen, sagt Cerar. Die Behörde hatte - wie auch die Bundesregierung - beide Seiten zur Anerkennung des Schiedsspruchs aufgefordert. Er werde versuchen, die Positionen einander anzunähern, versprach Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans vergangene Woche, "wenn die beiden Parteien das wünschen". Seither war nichts mehr zu hören von ihm. Theoretisch könnte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Kroatien einleiten, weil am Rande auch EU-Recht berührt ist.

Der Konflikt ist einer von vielen, die aus dem Zerfall Jugoslawiens entstanden. Der simple Ansatz, dessen interne Grenzen für die in den 1990er-Jahren neugeborenen Staaten zu übernehmen, hat sich als unzureichend erwiesen. Schon 2001 verständigen sich die Regierungschefs Sloweniens und Kroatiens zwar auf einen Kompromiss, der den jetzigen Schiedsspruch im Wesentlichen vorwegnimmt. Er scheitert jedoch am Einspruch kroatischer Nationalisten. In der Folge sperrt sich Slowenien gegen das EU-Beitrittsgesuch Kroatiens. Mit viel Mühe gelingt es der EU-Kommission schließlich, die Blockade aufzulösen, indem sie beide Parteien 2009 in das Schiedsgerichtsverfahren lotst.

Die Geister des Nationalismus blockieren eine Einigung

2015 dann der Eklat. Eine kroatische Zeitung veröffentlicht Mitschnitte von Telefonaten des von Slowenien ernannten Mitglieds des Schiedsgerichts mit einem Vertreter seiner Regierung. Solche Kontakte sind verboten. Kroatien empört sich und nutzt die Gelegenheit zum Ausstieg. Warum? "Zagreb", sagt ein Vertreter des slowenischen Außenministeriums, "hat gar kein echtes Interesse an einer neutralen Schlichtung" - aus Sorge, das Ergebnis könnte zum Passepartout für Zwist mit anderen Balkan-Staaten werden. Bei bilateralen Verhandlungen könne Kroatien den Trumpf seiner EU-Mitgliedschaft besser einsetzen.

Slowenien behauptet, der Zugang zu internationalem Gewässer sei wichtig, um seine Fischer zu schützen und das Geschäft im Seehafen Koper zu sichern. Doch das ist wenig stichhaltig, denn das Geschäft läuft schon jetzt problemlos. In Wahrheit spielen wohl weniger harte Interessen als Prestigefragen die Hauptrolle. Auf beiden Seiten nutzen Innenpolitiker das Thema immer wieder für ihre Zwecke; in Kroatien tut sich als Hardliner die katholische Kirche hervor.

Das Muster wiederholt sich vielerorts auf dem Balkan: Kroatien streitet mit Serbien um den Grenzverlauf an der Donau, mit Bosnien um die Seegrenze bei Neum, mit Montenegro um die Markierung in der Adria. Umstritten sind auch mehrere Quadratkilometer zwischen Kosovo und Montenegro. "Die meisten dieser Regierungen sind zutiefst nationalistisch", sagt Dušan Reljić von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "sie können die Geister, die sie vor zwanzig oder dreißig Jahren hervorriefen, nicht mehr kontrollieren. Damals gab es auch Applaus im Westen, weil man meinte, dass im Osten und Südosten Europas die Nationalisten zuerst dem Kommunismus das Rückgrat brechen, danach aber zu guten Europäern mutieren würden."

Das Interesse der EU ist klar: Sie will unbedingt vermeiden, dass sich ungelöste Grenzkonflikte negativ auf den Beitrittsprozess der Staaten des westlichen Balkans auswirken. "Deshalb muss alles dafür getan werden, die Konflikte davon fernzuhalten", sagt Thomas Bickl, der für die Universität Duisburg-Essen eine Studie zum Thema verfasst hat. Das gelte etwa für Beitrittskandidaten oder potenzielle Kandidaten wie Albanien, Bosnien oder Mazedonien. "Die EU muss schauen, dass bilaterale Konflikte möglichst schon vor Beginn der Beitrittsverhandlungen gelöst werden. Die schon in der EU befindlichen Balkanstaaten haben sonst eine zu große Blockademöglichkeit." Allerdings gebe das Scheitern der neutralen Schlichtung im slowenisch-kroatischen Streit wenig Anlass zu Optimismus. Hier müsse Deutschland jedenfalls dringend stärker eingreifen, fordert Reljić. Das früher besonders enge Verhältnis zu Kroatien hat sich in den letzten Jahren indes abgekühlt.

Es gibt auch eine gute Nachricht. Sie betrifft den vertrackten Streit zwischen Mazedonien und Griechenland, das dem Nachbarn den Namen streitig macht, weil es Ansprüche auf seine eigene Region Makedonien befürchtet. Kurz vor Weihnachten setzten sich Vertreter beider Seiten unter Vermittlung der Vereinten Nationen an einen Tisch. Wahrlich nicht zum ersten Mal. Aber diesmal, so heißt es, seien sie wirklich besten Willens, das Problem endlich zu lösen.

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