Streit unter Sudetendeutschen:Wenn die Heimat vom Papier verschwindet

Sudetendeutsche - Spurensuche zur Vertreibung

Verlust der Heimat: Millionen Deutschstämmige aus Ost- und Mitteleuropa werden nach dem Krieg vertrieben. Ein Zug trifft in der Oberpfalz ein.

(Foto: dpa)
  • Unter den Sudetendeutschen ist ein Konflikt entbrannt, der im äußersten Fall von einem Gericht entschieden werden muss.
  • Bislang war es der erklärte Zweck der Vereinigung der Sudetendeutschen laut Vereinssatzung, "den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen".
  • Nun fehlen in dem Paragraf einige Worte. Einige Funktionäre legen Widerspruch ein.

Von Kim Björn Becker, München

Wenn Bernd Posselt eine Sache besonders wichtig ist, dann kann man das an seiner Stimme hören, zum einen. Er redet dann nämlich schneller und auch etwas lauter als sonst. Wenn man dem CSU-Politiker dann noch direkt gegenübersitzt, am Besprechungstisch in seinem Münchner Büro beispielsweise, spürt man das Engagement des früheren Europa-Abgeordneten zum anderen physisch: Posselt, ein Mann von kräftiger Statur, beugt sich in entscheidenden Momenten nämlich so ruckartig nach vorn, dass der wackelige Holztisch gar nicht anders kann, als sich mit ihm in Richtung Zuhörer zu neigen.

Wenn man sich mit Bernd Posselt, dem Bundesvorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft, dann noch über die Belange der Vertriebenen unterhält, bewegt sich das Möbelstück besonders häufig. Das hat auch damit zu tun, dass Posselt innerhalb der Landsmannschaft gerade ziemlich unter Feuer steht.

In den vergangenen Tagen ist unter den Mitgliedern des Vertriebenenverbands, dem sich nach eigenen Angaben insgesamt 200 000 Personen angeschlossen haben, ein heftiger Richtungsstreit entbrannt, der im äußersten Fall vor Gericht entschieden werden muss. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man ihn leicht als Posse abtun, als skurrile Vereinsmeierei, geht es im Kern doch lediglich um einige wenige Sätze in der Satzung des Vereins.

Streit um ein Wort

Doch zum einen schwingen beim Thema Flucht und Vertreibung immer auch etliche Emotionen mit und zum anderen, das ist der eigentlich entscheidende Punkt, beeinflusst die öffentliche Debatte des Themas oft auch das politische Verhältnis Berlins zu seinen östlichen Nachbarn. Was im eingetragenen Verein "Sudetendeutsche Landsmannschaft Bundesverband" passiert, wird schließlich auch in Prag aufmerksam beobachtet und kommentiert.

Im Sudetenland, einem heterogenen Gebiet an der Grenze zum damaligen Deutschen Reich, lebten vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 3,2 Millionen deutschsprachige Einwohner. Im Oktober 1938 wurde das Gebiet auf Druck des NS-Regimes dem Deutschen Reich eingegliedert. Als sich später die Niederlage des Hitler-Reiches abzeichnete, begannen die Tschechen mit "wilden Vertreibungen" der Deutschstämmigen, Zehntausende starben. Auf der Potsdamer Konferenz 1945 wurde die fast vollständige Vertreibung der deutschen Minderheit von den Alliierten sanktioniert.

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Bislang war es der erklärte Zweck der Vereinigung der Sudeten, "den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen". So stand es lange Zeit in Paragraf drei der Vereinssatzung, die in den Fünfzigerjahren geschrieben wurde. Das entscheidende Wort lautet hier "Wiedergewinnung", denn seit dem vergangenen Wochenende fehlt es in der Beschreibung des Vereinszwecks, ebenso wie eine weitere frühere Zielvorgabe: "das Recht auf Rückgabe bzw. gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der Sudetendeutschen zu wahren". Posselt hält diese Formulierungen allesamt für problematisch. Sie könnten "missverstanden werden als Gebietsanspruch, als Wunsch nach Grenzänderung". Und er fügt hinzu: "Das will doch kein Mensch, der bei Trost ist."

Anerkennung in Prag - Widerspruch von den Funktionären

Daher hat Posselt innerhalb der Bundesversammlung, wie die Sudetendeutschen ihre Mitgliederversammlung nennen, eine Mehrheit für eine Satzungsänderung organisiert: 71,8 Prozent der anwesenden Mitglieder stimmten kürzlich dafür, den Vereinszweck an den entscheidenden Stellen zu ändern. Künftig soll dort stehen, es sei das Ziel der Sudeten, "an einer gerechten Völker- und Staatenordnung mitzuwirken, in der die Menschen- und Grundrechte, das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Volksgruppen für alle gewahrt und garantiert werden". Das klingt deutlich zurückhaltender, von Restitution ist praktisch keine Rede mehr.

In Prag wurde der Münchner Beschluss mit Anerkennung aufgenommen: Außenminister Lubomír Zaorálek sagte, die Entscheidung sei "eine der Voraussetzungen für eine Verbesserung der Beziehungen" zu den Sudeten. Und sein Vor-Vorgänger im Amt, Karel Schwarzenberg, forderte die Tschechen gar auf, nun "ihrerseits Zeichen zu setzen".

Posselt würde es gern bei dem Signal belassen und abwarten, was nun in Prag passiert. Doch noch am Tag der Abstimmung wurde seitens einiger Überstimmter der Vorwurf laut, dass die Satzungsänderung nicht korrekt beschlossen worden sei. Beim Amtsgericht München, das auch das zuständige Vereinsregister führt, sind bis Ende der Woche bereits sechs Widersprüche eingegangen.

Wortführer des Protests sind zwei Funktionäre des Witikobundes, einer Rechtsaußen-Gruppierung innerhalb der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Die Gruppe attestiert sich in ihren Publikationen eine "nationale Gesinnung", der Verfassungsschutz konstatierte dort zu Beginn der Jahrtausendwende "eine Verdichtung von tatsächlichen Anhaltspunkten für rechtsextremistische Bestrebungen".

Vertreter des Bundes führen nun an, dass das Bürgerliche Gesetzbuch Vereinen für eine Änderung der Satzung ein Quorum von 75 Prozent vorschreibt, erreicht wurden im vorliegenden Fall jedoch nur knapp 72 Prozent. Posselt hält dagegen, es sei "alles korrekt abgelaufen". Die Landsmannschaft hat in ihrer Satzung festgelegt, dass ein einfaches Mehrheitsvotum ausreichend ist.

Manche halten Possels Entscheidung für Verrat

Die Frage nach den Formalitäten ist für den Witikobund ein Instrument; tatsächlich lehnen seine Vertreter die Änderung der Satzung vor allem inhaltlich ab. Bereits vor der Mitgliederversammlung hatte der Bund seine Mitglieder ("Kameraden") per Rundschreiben davor gewarnt, dass die Initiative des CSU-Manns Posselt "massiv in die Substanz des Vereinszweckes" eingreife, in einem Brandbrief war gar von "Kastration" die Rede.

Der Verzicht auf den Begriff der Wiedergewinnung bedeute "den Schlussstrich unter das Sudetenland" zu ziehen und sei "Wasser auf die Mühlen aller früheren und zukünftigen Vertreiber". Kurz vor der Mitgliederversammlung brachte der Witikobund die geplante Reform dann auf die unzweideutige Formel: "Prag behält seine Beute, Berlin vermeidet Reparationsforderungen."

Sollte das Registergericht die Satzungsänderung dennoch akzeptieren, werde man dagegen Klage einreichen, sagte Felix Vogt Gruber, Vorsitzender des Witikobunds, der Süddeutschen Zeitung. Er sähe es lieber, wenn die Formel "Wiedergewinnung der Heimat" in der Satzung bliebe und ihre Bedeutung durch eine beiliegende Erklärung erläutert werde: "Das war ein Begriff der Fünfzigerjahre, als man noch dachte, man kann irgendwann mal zurück."

Bernd Posselt wies den Vorschlag Vogt Grubers prompt zurück. "Es ist doch besser, wenn man den Vereinszweck gleich so benennt, dass keine Missverständnisse möglich sind", sagte er. "Eine geschlossene Rückkehr in die Heimat war eine Illusion, mit der man lange gelebt hat." Wieder so ein Satz, bei dem Posselt sich mit Schwung nach vorn wirft. Wann das Münchner Registergericht nun über den Protest von rechtsaußen entscheidet, ist noch unklar. Die Eingaben waren sogar noch schneller dort als die Mitteilung des Vereins über die eigentliche Änderung der Satzung. Eine Gerichtssprecherin sagte, wenn alle Unterlagen vorliegen, werde man die Sache in Ruhe prüfen.

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