Es ist ausgerechnet ein Neben-, und dann auch noch der letzte Satz in dem Interview, das der Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick der taz gegeben hat: "..., und unser Fraktionsvorstand im Bundestag leistet sehr gute Arbeit". Schick gehört zum linken Flügel der Partei und wenn ihm irgendwer nachts um drei den Fraktionsvorsitz antragen würde, er würde wohl laut "Ja!" rufen, noch bevor sein Gegenüber die Frage überhaupt zu Ende formuliert hätte.
Das ist jetzt genau sein Problem. Schick wird gerne genannt, wenn von einem Putsch im Herbst 2015 gesprochen wird. Nicht als Putschist in der ersten Reihe, aber als derjenige, der den etwas glücklosen Anton Hofreiter ersetzen könnte.
Schick selbst sagt zu den Mutmaßungen über seine Ambitionen: "Ich werde nicht gegen Toni Hofreiter antreten, denn er macht seine Sache sehr gut und wir arbeiten bestens zusammen."
Der "Hessen-Antrag" sorgt für miese Stimmung
Außerdem können die Grünen auf Bundesebene gerade wirklich keine Personaldebatten in der Fraktion brauchen. Es tobt nämlich in der Partei ein Flügelstreit, der auch ein Bund-Länder-Streit ist. Der hat jüngst durch ein Papier weitere Nahrung bekommen, das in der Partei nur noch als "der Hessen-Antrag" bezeichnet wird. Er soll auf dem kommenden Parteitag Ende November in Hamburg gestellt werden. Antragsteller ist der hessische Fraktionschef Matthias Wagner.
Unterschrieben haben ihn viele jener Realos, die Jürgen Trittin kürzlich in "diesem Waziristan der Grünen" verortet hat, nämlich in Baden-Württemberg. Einige von denen gibt es auch im schwarz-grün regierten Hessen. So wie der Mitunterzeichner und stellvertretende Ministerpäsident Tarek Al-Wazir. Vor allem Grüne aus den Ländern stehen unter dem Papier.
Die eigene Arbeit in den Ländern wird darin ausdrücklich gelobt. Die scharfe Kritik richtet sich deutlich gegen die Bundesgrünen: "Mancher scheint regelrecht Angst davor zu haben, mit den eigenen Positionen in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu sein", heißt es darin.
Und weiter: "Gerade weil so vieles über so viele Jahre erst erstritten werden musste, fällt es heute einigen schwer, aus dem Kampfmodus gegen die Gesellschaft herauszukommen." Die Gesellschaft habe "verständlicherweise keine Lust, sich von der Partei, die eigentlich am nächsten am Lebensgefühl vieler dran ist, ständig erzählen zu lassen, wie schlimm und rückständig sie doch sei".
Der Abgeordnete Schick hät das alles für "absurd" und "falsch", sagt er der taz. Ein inhaltliches Profil sei in dem Antrag auch nicht zu erkennen. Hohe Wellen hat er dennoch geschlagen.
Eingereicht wurde der Antrag eine Woche vor Beginn des von Trittin ausgelösten Waziristan-Wahnsinns in der Partei. Und einige Wochen nach der denkwürdigen Zustimmung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zum in seinen Augen gut verhandelten Asylkompromiss. Viele grüne Linke wären ihm danach am liebsten an die Gurgel gesprungen.
Bis dato stand der Hessen-Antrag alleine da. Jetzt aber haben Grüne aus Bund und Ländern, Linke und Realos einen Alternativantrag formuliert. Schick unterstützt den Antrag. Sowie Jürgen Trittin, dem viele noch wegen seiner Waziristan-Entgleisung gram sind. Dass er dem Antrag zustimmt, ist wohl als ein erstes Entgegenkommen zu sehen. Entschuldigt hat er sich inhaltlich noch nicht.
Ihr Forum:Trittin drängt zurück an die Grünen-Spitze. Eine gute Idee?
Trittin will offenbar zurück an die Schalthebel der Macht. Seine Chancen stehen nicht schlecht, denn viele Grüne wünschen sich charismatischere Führungsfiguren für ihre Partei. Doch der Widerstand gegen Trittins Wiederaufstieg formiert sich.
In dem Antrag werden äußerst moderate Töne angeschlagen. Klar, die Bundestagwahl hätte besser laufen können. "Im Wahlkampf hatten wir unsere Stärken und Kernthemen vernachlässigt, uns in Detailfragen verzettelt und angreifbar gemacht. Wir waren zu statisch. Machtpolitisch hatten wir die Sozialdemokratie erneut über- und die Auseinandersetzung mit der Union unterschätzt", schreiben die Antragsteller um die Bundestagsabgeordneten Katja Dörner und Konstantin von Notz. Der Antrag liegt Süddeutsche.de vor.
Warnung vor der Nabelschau
Heute aber sei im Grunde alles gut. "Ein Jahr später stellen wir fest: Wir haben Tritt gefasst." Auch wenn das Auftreten in den Medien wohl "nicht immer perfekt" gewesen sei, die Wahlergebnisse des Jahres 2014 seien durch die Bank erfreulich gewesen.
Deshalb bräuchten die Grünen "keine Nabelschau, keine gegenseitigen Ermahnungen" und auch "keine neue Kursbestimmung", finden die Unterzeichner. "Öffentlich kommunizierte Ratschläge oder Belehrungen, wer wie zu arbeiten hat, schaden dem Gesamtinteresse und nutzen nur dem politischen Gegner." Und: "Profilierungsaktionen, seien sie nun flügelarithmetisch, Land gegen Bund oder offen persönlich motiviert, helfen genauso wenig wie eine Verklärung der Vergangenheit."
Interessant ist, dass etwa die Bundestagsvizepräsidentin und frühere Parteichefin Claudia Roth den Antrag unterschrieben hat. War sie es neben einigen anderen vom linken Flügel doch, die nach Kretschmanns Asylvotum noch Öl ins Feuer gegossen hatte. "Ich glaube, die Entscheidung war nicht verantwortungsvoll, nicht in der Sache und nicht gegenüber der Partei", sagte Roth kurz nach der entscheidenden Bundesratssitzung dem Spiegel.
Beiden Anträgen gemein ist, dass sie einen Regierungsanspruch im Bund für das Jahr 2017 formulieren. Die Frage, mit wem das gehen könnte, wird allerdings weitgehend ausgeklammert. Ein rot-rot-grünes Bündnis wie es sich jetzt in Thüringen anbahnt, wird im Bund von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Zu abstrus die außenpolitischen Vorstellungen der Linkspartei.
Also Schwarz-Grün? Nein, heißt es in beiden Anträgen. Es zählten grüne Inhalte. Allerdings taucht im Hessen-Antrag das Wort Opposition als Alternative zum Regieren gar nicht auf. Im Gegen-Antrag immerhin viermal.
Und Gehard Schick? Der wird wohl noch abwarten müssen, bis seine Zeit gekommen ist. Die Fraktionsspitze loben war dafür schon mal ein richtiger Ansatz. Wenn es auch nur in einem Nebensatz geschah.