Süddeutsche Zeitung

Streit um Westerwelle:Ost-FDP keilt gegen "Selbstzerfleischer" Kubicki

Gegenattacke in Richtung Kiel: Westerwelle-Anhänger greifen FDP-Vorstand Kubicki für seine Kritik an der Parteispitze an. Andere Liberale meinen: Treffende Analyse, falscher Zeitpunkt.

Oliver Das Gupta

Der Burgfrieden bei den Liberalen ist vorbei: Keine zwei Wochen nach dem Dreikönigstreffen ist der Streit um Kurs und Führungspersonal der FDP wieder voll entbrannt. Im Zentrum, wie vor Weihnachten: Parteichef Guido Westerwelle und dessen Kritiker Wolfgang Kubicki, FDP-Vorstandsmitglied und Fraktionsvorsitzender im Kieler Landtag.

Kubicki warf Westerwelle am Sonntag und an diesem Montag Versäumnisse und Mangel an Selbstkritik vor. Die Anhängerschaft des Vizekanzlers reagierte schnell. Dirk Niebel etwa, Westerwelle-Gefolgsmann und Entwicklungsminister, meinte mit Blick auf Kubickis Forderung, sein Ressort (BMZ) dem Auswärtigen Amt (AA) zuzuschlagen: "Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird nicht ins Auswärtige Amt integriert, solange Herr Kubicki nicht in der FDP integriert ist." Von Generalsekretär Christian Lindner ist eine andere Variante des Spruchs überliefert: "Ich werde das BMZ schneller im AA integriert haben, als sich Kubicki in der FDP integriert hat."

Die Vorsitzenden der ostdeutschen FDP-Landesverbände grollen Kubicki ebenso. Sie werfen ihrem Kieler Parteifreund "Selbstzerfleischung" vor. In einem gemeinsamen Brief, aus dem die Nachrichtenagentur dpa zitiert, fordern sie Kubicki auf, er solle die Partei nicht kaputtreden. Die FDP müsse in den kommenden Landtagswahlen bestehen. "Das wird nur geschehen, wenn wir als Team an einem Strang ziehen! Sie machen im Moment das glatte Gegenteil und reden die Partei kaputt", heißt es in dem Brief an Kubicki. Er ist unterzeichnet von den FDP-Landesvorsitzenden Cornelia Pieper (Sachsen-Anhalt), Holger Zastrow (Sachsen), Uwe Barth (Thüringen), Christian Ahrendt (Mecklenburg-Vorpommern) und Heinz Lanfermann (Brandenburg).

Allerdings ist aus der FDP zu hören, dass es in mindestens einem der ostdeutschen Landesverbände durchaus andere Ansichten in der Chefetage gibt. "Dieser Brief wurde offenbar so schnell zusammengezimmert, dass einige abweichende Ansichten nicht berücksichtigt wurden", sagte ein namhafter Landespolitiker, der nicht genannt werden wollte, zu sueddeutsche.de. Ein anderer Liberaler mit Sitz in einem FDP-Führungsgremium meinte mit Blick auf die Kritik aus Kiel: "Kubickis Analyse ist leider zutreffend."

Offener Missmut über Kubickis Attacken kam auch aus Berlin: Der FDP-Landesvorsitzende Christoph Meyer nannte im Gespräch mit sueddeutsche.de eine kritische Denkschrift Kubickis, die am Wochenende bekanntgeworden war, ein "Schreiben zur Unzeit". Es sei nicht richtig, der Partei in dieser Phase "in den Rücken zu fallen", sagte Meyer mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen. Debatten über Kurs und Personal sollte man zwischen dem 27. März und dem Bundesparteitag im Mai führen.

Ähnlich äußerte sich Bremens FDP-Chef Oliver Möllenstädt. Beiträge wie das Strategiepapier aus Kiel "kann man einbringen", sagte Möllenstädt zu sueddeutsche.de. Gleichzeitig kritisierte er die "wenig positive Momentaufnahme" am Beginn des Textes. Außerdem lehnte er es ab, parteiinterne Diskussionen über die Medien zu führen.

"Westerwelle zieht das bis zum 27. März durch"

FDP-Bundesvorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis beklagte im Gespräch mit sueddeutsche.de ebenfalls, dass das Papier nun veröffentlicht wurde. Westerwelle habe beim Dreikönigsparteitag seine Strategie für die anstehenden Landtagswahlen festgelegt, es sei abwegig zu glauben, er würde davon ablassen.

"Westerwelle ist fest entschlossen das bis zum 27. März durchzuziehen", sagte Chatzimarkakis, der Abgeordneter im Europaparlament ist. Allerdings betonte er auch, dass er dem Strategiepapier durchaus etwas abgewinnen kann. Auch Chatzimarkakis will die FDP thematisch breiter aufstellen und initiierte Anfang Januar mit anderen Abgeordneten den "Dahrendorfkreis" - so will er die FDP für mehr ökologisch-nachhaltige Themen öffnen.

"Ich freue mich über die inhaltlichen Anregungen", sagte Chatzimarkakis mit Blick auf die Vorschläge aus Kiel, "es wäre gut, wenn die FDP ein solches Papier für die Zeit nach den Landtagswahlen im März in der Schublade hätte.

Die bayerische FDP hingegen kanzelt den Vorstoß der Nord-Liberalen ab: "Es bringt uns nicht weiter, die Debatte immer wieder neu zu befeuern", sagte die Generalsekretärin der Bayern-FDP, Miriam Gruß, zu sueddeutsche.de. "Es kommt jetzt darauf an, geschlossen in die Wahlkämpfe zu gehen." Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Martin Zeil (FDP) warf Kubicki substanzlose Selbstinszenierung vor. Er sagte dem Münchner Merkur, Kubickis Strategie, diese Debatte öffentlich zu führen, sei selbstzerstörerisch.

Nachdem am Wochenende eine von Wolfgang Kubicki mitverfasste Denkschrift bekanntgeworden war, die einen radikalen Kurswechsel seiner Partei fordert, hatte er am Montag noch einmal nachgelegt und erneut öffentlich über den Kurs der Parteispitze gewettert.

Er hätte in der Stuttgarter Dreikönigsrede Westerwelles "ein wenig von der Selbstkritik erwartet, die unser Generalsekretär Christian Lindner geliefert hat", sagte Kubicki im Interview mit der Welt. Niemand habe "einen zerknirschten Westerwelle erwartet, aber doch einen nachdenklichen". Zu Westerwelles Appell an die Geschlossenheit der FDP sagte Kubicki: "Ich will ihm ja folgen, Geschlossenheit ist wichtig. Aber man muss wissen, wofür man kämpfen soll und in welche Richtung man marschiert."

Gleichzeitig beteuerte er, Westerwelle nicht stürzen zu wollen. "Es geht nicht um einen Putsch", beteuerte er. Ähnlich hatte sich Kubicki bereits vor Weihnachten im Interview mit sueddeutsche.de geäußert, in dem er "Mitleid mit dem Menschen Westerwelle" gezeigt hatte.

Vor der Dreikönigsrede hatten sich zahlreiche namhafte FDP-Landespolitiker einen selbstkritischen Auftritt Westerwelles in Stuttgart gewünscht. Der Vizekanzler enttäuschte diese Erwartungen und pries stattdessen die Regierungspolitik.

Dieser Strategie erteilte nun Kubicki eine Absage: Allein mit der Beschwörung der Erfolge der FDP in der schwarz-gelben Regierung komme man nicht weiter. "Zu sagen, dass man entgegen der Stimmung in der Bevölkerung das Richtige tut, ist ein Absolutheitsanspruch, der einem Liberalen fremd sein sollte." Stattdessen müsse man einräumen: "Wir haben selbst schlimme Fehler gemacht. Die Menschen erwarten Einsicht und Einkehr."

Kritik an Homburger

Kubicki weitete seine Kritik auf die FDP-Bundesspitze aus, der er Defizite in der Außendarstellung attestierte. "Alle verlassen sich darauf, dass es Guido Westerwelle schon machen wird, statt selbst in die Bütt zu gehen." Er sei "der festen Überzeugung, dass einige Führungspersönlichkeiten der FDP ihre Funktion in nicht ausreichender Weise wahrgenommen haben". Dabei bezog sich Kubicki besonders auf die Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Birgit Homburger. "Wenn sich der Außenminister als Kabinettsmitglied zurückhalten muss, dann muss diese Scharte parlamentarisch ausgeglichen werden durch ein wirklich wahrnehmbares Auftreten der Fraktionschefin." Die Fraktionsspitze sei "nicht optimal besetzt".

Auch die Führungsreserve der Partei, zu der Kubicki Gesundheitsminister Philipp Rösler, Generalsekretär Christian Lindner und den NRW-Landesvorsitzenden Daniel Bahr zählt, müsse kurz- oder mittelfristig noch stärkere Führungsverantwortung übernehmen. "Ich würde mir in der Tat wünschen, dass diese Personen sich öffentlich wahrnehmbar noch stärker äußern als bisher." Er fügte mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen hinzu: "Wenn wir die Wahlen versenken, haben wir keine Personaldiskussion auf dem nächsten Parteitag, sondern eine Existenzdiskussion."

Kubicki gilt in der FDP seit langem als Querdenker mit zeitweiser Lust an der Provokation von Freund und Feind. Für das jüngste Strategiepapier zeichnet neben Kubicki auch sein Parteifreund Heiner Garg, Arbeitsminister und stellvertretender Ministerpräsident der schleswig-holsteinischen Landesregierung, verantwortlich. Der Vorstand der schleswig-holsteinischen FDP und die Landtagsfraktion hätten das Papier gebilligt, hieß es.

Walser nimmt Westerwelle in Schutz

Kubicki und Garg stellen konkrete Forderungen auf, um die Partei aus der Krise zu führen. Im Datenschutz und besonders bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung dürfe die Partei der Union keine Zugeständnisse machen. Weitere Forderungen betreffen die Vereinfachung des Steuerrechts sowie die Bildungs-, Wirtschafts- und Europapolitik. Zudem solle das Entwicklungshilfeministerium mit dem Liberalen Dirk Niebel an der Spitze aufgelöst und dem Auswärtigen Amt zugeschlagen werden, wie es die FDP im Wahlkampf versprochen hatte. Eine solche Eingliederung befürwortet auch Bremens FDP-Chef Oliver Möllenstädt: "Ich fände einen solchen Schritt gut," sagte Möllenstädt zu sueddeutsche.de, "allerdings müsste der richtige Zeitpunkt gefunden werden."

Westerwelle selbst ging bislang nur indirekt auf die massive Kritik aus dem hohen Norden ein. Am Sonntagabend sagte er in der ARD, die FDP habe nur dann Erfolg "wenn man sich mit den Problemen der Bürger beschäftigt und jegliche Selbstbespiegelung unterlässt". Zuvor beteuerte er im Tagesspiegel, "ein Kämpfer" zu sein.

Rückendeckung erhielt Westerwelle überraschend auch vom Schriftsteller Martin Walser. "Seit er sichtbar und hörbar geworden ist, schau ich ihn an und hör ihm zu, und er gefällt mir", sagte Walser dem Focus. Sollten es die Medien tatsächlich schaffen, Westerwelle ins Aus zu manövrieren, werde er "zum ersten Mal in meinem Leben FDP wählen".

Die FDP hat derzeit buchstäblich jede Stimme nötig: Umfragen sehen die Liberalen nach wie vor zwischen drei und fünf Prozent.

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