Streit um Wehrpflicht:Israelische Regierung steckt in Existenzkrise

Benjamin Netanyahu

Beliebt trotz Korruptionsverdachts: Benjamin Netanjahu auf dem Weg zur Kabinettssitzung.

(Foto: Oded Balilty/AP)
  • Auslöser für die Krise ist ein Streit um die Wehrpflicht für ultraorthodoxe Männer. Das Oberste Gericht hatte im vergangenen September entschieden, eine Befreiung sei diskriminierend.
  • Die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Thora-Judentum verlangt deswegen ein neues Gesetz. Dem will wiederrum die säkular-nationalistischer Partei nicht zustimmen.
  • Der Streit zwischen den Parteien könnte zu Neuwahlen führen und die könnten vor allem Ministerpräsident Netanjahu helfen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Am Sonntag feilschten sie elf Stunden lang, am Montag jagte eine Gesprächsrunde die nächste, eine Telefonkonferenz der Minister sollte die Entscheidung bringen. Die Frage lautete: Platzt die israelische Regierungskoalition und wird es Wahlen am 26. Juni geben? Oder raufen sich die sechs Parteien noch einmal zusammen? Reguläre Wahlen stehen erst im November 2019 an.

Binnen weniger Tage hatten sich Forderungen verschiedener Minister und des Regierungschefs zur gravierendsten Krise des Parteienbündnisses seit Bestehen der Koalition 2015 ausgewachsen. Befördert wurde das politische Durcheinander dadurch, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor seiner Abreise zu einer fünftägigen USA-Reise vergangene Woche keine Anstrengungen zur Lösung unternommen hatte. So steigerten sich die Spannungen. Selbst für politische Insider ist kaum noch zu durchschauen, wer in der Regierung gegen wen kämpft.

Das Oberste Gericht hatte entschieden, eine Befreiung vom Wehrdienst ist diskriminierend

Auslöser des Streits waren einmal mehr Forderungen der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Thora-Judentum, die bereits vor einigen Wochen damit gedroht hatte, wegen Arbeiten am Eisenbahnnetz während des Schabbats die Koalition platzen zu lassen. Diesmal geht es um Ausnahmen für junge ultraorthodoxe Männer, damit diese nicht zum Wehrdienst eingezogen werden. Das Oberste Gericht hatte im September vergangenen Jahres entschieden, eine Befreiung von der dreijährigen Wehrpflicht sei diskriminierend. Die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Thora-Judentum verlangte deshalb ein neues Gesetz und verband ihre Forderung mit der Zustimmung zum Haushalt 2019.

Daraufhin setzte Finanzminister Mosche Kachlon ein Ultimatum: Er werde die Regierung mit seiner Kulanu-Partei verlassen, wenn nicht bis 15. März das Budget beschlossen sei. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman kündigte am Montag nach einer Sitzung des Ministerausschusses an, er werde aus der Koalition ausscheiden, falls ein Gesetz gebilligt wird, das Strengreligiöse von der Wehrpflicht befreit. "Es kann nicht angehen, dass die Mehrheit der jungen Menschen dienen muss, während es eine Gruppe gibt, die von allen Pflichten befreit ist."

Der Finanzminister knüpfte die Zustimmung seiner Partei Kulanu an jene des Verteidigungsministers. Ohne die Stimmen von Liebermans säkular-nationalistischer Partei kann das Gesetz am Mittwoch die Knesset in erster Lesung passieren. Aber wenn die Kulanu-Abgeordneten nicht dafür votieren, gibt es keine Mehrheit. Die Koalition verfügt über 66 von 120 Sitzen.

So unübersichtlich die Lage am Montag war und so uneinig sich die Koalitionsparteien präsentierten, einig waren sie sich in ihrer Einschätzung, dass es Netanjahu durchaus auf ein Platzen der Koalition anlege. Offen sprach dies Bildungsminister Naftali Bennett aus, der sich selbst gleich als Kandidat für das Amt des Premierministers ins Spiel brachte.

Das Image von Herausforderer Yair Lapid hat gelitten, weil er als Hauptzeuge Netanjahu belastet hat

Netanjahu steht im Zentrum einer Korruptionsaffäre. Er hat sich aber beizeiten abgesichert: Der Ministerpräsident soll von seinen Koalitionspartnern die Zusicherung verlangt haben, dass sie die Regierung nicht verlassen, selbst wenn Anklage gegen ihn erhoben werden sollte. Die Polizei hat die Anklage aufgrund ihrer Ermittlungen in zwei Fällen empfohlen, entscheiden muss die Generalstaatsanwaltschaft - was bis Herbst dauern dürfte. In einem neuen Fall, bei dem es um den Telekom-Konzern Bezeq geht, ist Netanjahu nun Beschuldigter. Sein Ex-Pressesprecher hat sich als dritter Kronzeuge den Ermittlern zur Verfügung gestellt.

Trotz der Korruptionsvorwürfe gegen ihn steht der Premierminister in Umfragen mit seiner Likud-Partei gut da und liegt klar in Führung. Dahinter folgt die Zukunftspartei seines schärfsten Konkurrenten Yair Lapid, dessen Image darunter gelitten hat, dass er als einer der Hauptzeugen Netanjahu belastet hat und davon politisch profitieren will. Der Arbeitspartei unter der Führung des im Sommer gewählten Chefs Avi Gabbay werden sogar weniger Parlamentssitze prognostiziert, als sie zuletzt errungen hatte. Die linke Meeretz-Partei sucht derzeit eine neue Führung. Da auch den kleineren Koalitionsparteien Verluste vorausgesagt werden, könnte Netanjahu gestärkt aus einer Wahl hervorgehen.

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