Bei der Innenministerkonferenz in Wiesbaden fühlten sich die Teilnehmer an die Zeit der großen Koalition erinnert: Weitgehend einmütig tagten Innenminister mit SPD-Parteibuch mit ihren Amtskollegen, die CDU und CSU angehören. In vielen Dingen kam man auf einen Nenner, zum Beispiel beim Streitthema Vorratsdatenspeicherung. Demonstrativ lobte die Union hinterher die SPD für ihre Zustimmung beim Speichern von Bürger-Daten zur Terrorabwehr - und setzte damit den Koalitionspartner FDP unter Druck, genauer: die Bundesjustizministerin.
Der Tenor lautete: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger möge angesichts der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ihren Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung aufgeben.
Doch die stellvertretende FDP-Vorsitzende bleibt bei ihrem Nein, wie sie sueddeutsche.de erklärte. "Zwölf Jahre haben die Sicherheitsbehörden bei der Fahndung nach den NSU-Mitgliedern versagt - das kann mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung nicht aufgearbeitet werden", sagte die Ministerin am Rande der Klausur der FDP-Landesgruppe im oberbayerischen Hohenkammer. Leutheusser-Schnarrenberger warnte davor, den Eindruck zu erwecken, die Vorratsdatenspeicherung sei ein "Allheilmittel".
Die FDP-Politikerin widersprach der Behauptungen aus der Union, bei Nichtumsetzen der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung drohten Strafzahlungen ab Ende Dezember. Leutheusser-Schnarrenberger will ohnehin die europäische Überarbeitung der Vorratsdatenspeicherung abwarten. "Politisch wäre es nicht vermittelbar, während der Überarbeitung auf die alte Vorratsdatenspeicherung zu pochen", sagte sie.
Die Justizministerin erneuerte ihre Skepsis zur Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach einem zentralen Neonazi-Register. Ein solches Verzeichnis müsse den "rechtsstaatlichen Anforderungen" entsprechen, sagte die Liberale und verwies auf das "Trennungsgebot" zwischen Polizei und Geheimdiensten. Leutheusser-Schnarrenberger befürwortet allerdings eine Datei, die zur Verbesserung der Sammlung und Auswertung von Informationen im Kampf gegen Rechtsextremismus tatsächlich erforderlich ist.
Die Liberale forderte, die Aufarbeitung der Fahndungspannen der Sicherheitsbehörden in der Causa NSU zu priorisieren. Das Vertrauen der Bürger sei erschüttert, deshalb müsse man schnell und gründlich aufklären. Dazu gehöre auch, die Organisation der Verfassungsschutzämter "komplett auf den Prüfstand zu stellen" - ein Vorschlag, die die Ministerin schon zuvor in der Süddeutschen Zeitung gemacht hatte.
Inzwischen bekam sie Zuspruch eines anderen mächtigen Freidemokraten: FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sprach sich ebenfalls für einen Umbau des Verfassungsschutzes aus.
"Vier Verfassungsschutzämter - Nord, Süd, West, Ost - würden vielleicht effektiver arbeiten als 16", sagte Brüderle der Passauer Neuen Presse. Die Arbeit des Verfassungsschutzes müsse konzentriert werden. Zudem verteidigte er den Widerstand der Justizministerin gegen die Vorratsdatenspeicherung. Man benötige nicht immer neue Gesetze, sagte er. Die Vorratsdatenspeicherung sei ein weitgehender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. "Wenn wir alles überwachen, haben die Feinde der Freiheit gesiegt."
Grüne und Linke fordern Untersuchungsausschuss
Unterstützung erhielt Leutheusser-Schnarrenberger auch von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Wie die Ministerin warnte er vor "Aktionismus" im Kampf gegen Rechts. Leutheusser-Schnarrenberger sieht die Bedingungen für ein erfolgreiches neues NPD-Verbotsverfahren nach wie vor nicht gegeben, Lindner mahnte Besonnenheit und eine gründliche Vorbereitung an. "Die NPD scheint ganz offensichtlich in den Rechtsterrorismus verstrickt zu sein. Dennoch bedeutet Aktionismus für ein NPD-Verbot eine Gefahr", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Nichts wäre schlimmer als ein Ergebnis, bei dem die NPD triumphiert." Lindner betonte, man müsse an die Quellen des Rechtsextremismus heran.
Die Innenminister von Bund und Länder streben nach der Neonazi- Mordserie mit mindestens zehn Toten ein Verbot der rechtsextremen NPD an. Die Linke und die Grünen beharren auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Fahndungspannen und die mitunter dubiose Rolle von Sicherheitsbehörden im fall der NSU klären soll. "Wir sind dabei, einen Antrag vorzubereiten", sagte der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele der Mitteldeutschen Zeitung. "Der Untersuchungsausschuss zum Rechtsterror muss und wird kommen", erklärte auch Linkspartei-Chef Klaus Ernst. Die SPD sei gut beraten, ihn nicht zu blockieren.
Die von Union und SPD befürwortete Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission von Mitgliedern aller Parteien im Bundestag lehnte der Grüne Ströbele ab. "Wir sehen in der Kommission den Versuch, die Öffentlichkeit zu scheuen. Damit sind wir nicht einverstanden."
Mit Material von dapd, AFP und dpa.