Süddeutsche Zeitung

Streit um Unabhängigkeitsreferendum:Spanien droht den Katalanen, anstatt sie zu umwerben

  • In Katalonien sollen die Bürger über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen.
  • Spaniens Zentralregierung will das unbedingt verhindern. Sie droht Politikern mit ruinösen Geldstrafen und soll Aktivisten polizeilich unter Druck setzen.
  • In Barcelona spricht man von einem "schmutzigen Krieg hinter den Kulissen".

Von Thomas Urban, Madrid

König Felipe VI. wirkte noch gehemmter als sonst, als er auf einer Feier zum 25. Jahrestag der Olympischen Spiele von Barcelona mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zusammentraf. Während Puigdemont gute Laune ausstrahlte, sprach der König umständlich von "Zielen, die nur gemeinsam zu erreichen sind". Jeder der Anwesenden wusste, was gemeint war: Es handelte sich um einen verdrucksten Appell des Monarchen an die Katalanen, ihm doch nicht den Rücken zu kehren.

Doch genau dafür steht Puigdemont: Er strebt die Gründung einer souveränen Republik Katalonien an. Für den 1. Oktober ist ein Referendum über die staatliche Souveränität der 7,5 Millionen Einwohner zählenden Industrie- und Touristikregion angesetzt. Die Zentralregierung in Madrid möchte die Volksabstimmung verhindern, "mit allen Mitteln", wie der konservative Premierminister Mariano Rajoy drohte.

Die Verteidigungsministerin droht mit der Armee

Er kann sich auf das Verfassungsgericht berufen, das alle Bestrebungen, Katalonien vom Königreich abzuspalten, untersagt hat. Die oppositionellen Sozialisten stehen in dieser Frage ausnahmsweise hinter ihm, allerdings mit einer Einschränkung: Sie stellen sich gegen die Anwendung von Verfassungsartikel 155. Dieser erlaubt Madrid, eine Regionalregierung abzusetzen, falls diese verfassungswidrig handelt.

Beobachter schließen deshalb erst einmal das Szenario aus, mit dem die forsche Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal gedroht hat: Die Armee habe genügend Mittel, um "zu Wasser und zu Land" für die Einheit des Königreichs zu kämpfen. Da es für eine gewaltsame Lösung keine Mehrheit im Parlament geben dürfte, setzt das Kabinett Rajoy auf Staatsanwälte und Finanzbeamte: Seit Wochen durchstöbern Prüfer des spanischen Finanzministeriums die Haushaltsposten der Regionalregierung in Barcelona.

Sie sollen Beweise dafür finden, dass die katalanische Führung öffentliche Mittel für die Organisation des geplanten illegalen Referendums verwendet hat. Viel ist dabei bislang allerdings nicht herausgekommen. Die Presse berichtete von einer verdächtigen Rechnung über ganze 6150 Euro für ein Computerprogramm. In Barcelona erklärte man dazu kühl, es handle sich um normale Wartungsarbeiten am EDV-System.

Kabinettsmitglieder treten zurück, um ihre Kinder zu schützen

Wirkung zeigen hingegen die Drohungen der Staatsanwaltschaft, dass Politiker, Beamte, aber auch private Geschäftsleute, die das Referendum unterstützen, ruinöse Geldstrafen zu erwarten hätten. Zwei Kabinettsmitglieder und mehrere Spitzenbeamte sind bereits zurückgetreten - man habe Familie, wolle die Zukunft der Kinder nicht gefährden.

Gegen mehr als 400 Lokal- und Regionalpolitiker wurden Verfahren eingeleitet, einige bereits verurteilt, darunter der frühere Regionalpräsident Artur Mas. Dieser hatte 2014 erstmals ein Referendum durchführen lassen, das aber im letzten Moment als "Meinungsumfrage" deklariert wurde, um Madrid keinen Anlass zur Absetzung der Regionalregierung zu bieten. Mas darf nun zwei Jahre lang kein politisches Amt mehr bekleiden, auch soll er gemeinsam mit zwei anderen Politikern 50 000 Euro zahlen.

Auf ihre Verurteilung wartet auch die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell. Ihr wird vorgeworfen, Debatten und Abstimmungen über das Referendum im Regionalparlament nicht unterbunden zu haben. Die Politikerin wehrt sich: Erstens habe sie einen Mehrheitsbeschluss der Abgeordneten auszuführen, zweitens handele es sich um ein Grundrecht. Sie werde im Falle einer Verurteilung bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.

Fast täglich veröffentlichen katalanische Zeitungen Berichte, dass der spanische Geheimdienst und die Guardia Civil, die nationale Polizeitruppe, Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung unter Druck setzten. Auch setzten die Finanzämter bei Catalanistas, wie die Verfechter der Unabhängigkeit genannt werden, Sonderprüfungen an. Spanische Diplomaten seien angewiesen, die katalanische Führung im Ausland als "rechtsextrem" in Misskredit zu bringen.

Der Podemos-Chef verweist auf das britische Beispiel

In Wirklichkeit führt Puigdemont eine ausgesprochen proeuropäische Koalition aus Liberalkonservativen und Sozialdemokraten an. Die Katalanen sehen sich überdies in der Tradition der spanischen Republik, die der vom NS-Regime aufgerüstete General Franco im Bürgerkrieg zerschlagen hat. Ausgerechnet die von Rajoy geführte konservative Volkspartei (PP) ist aus einer franquistischen Gruppierung hervorgegangen. Der unbewältigte Ballast des Franco-Regimes überschattet deshalb auch den Katalonien-Konflikt.

In Barcelona spricht man von einem "schmutzigen Krieg hinter den Kulissen", den Katalanen solle das Recht auf Selbstbestimmung genommen werden. So sieht es auch die linksalternative Gruppierung Podemos, die im Gegensatz zu allen anderen großen Parteien das Recht der Katalanen auf eine Abstimmung über ihre Zukunft verteidigt.

Podemos-Chef Pablo Iglesias forderte Rajoy auf, mit politischen Argumenten für die Einheit des Landes zu werben, anstatt sie mit Strafverfahren erzwingen zu wollen. Iglesias verweist auf das britische Beispiel: London habe den Schotten eine Abstimmung zugestanden, den Konflikt so entschärft und letztlich gewonnen.

Für die Trennung von Spanien spricht sich in Umfragen nur die Hälfte aus

Auch Diplomaten aus EU-Ländern wundern sich, dass die Zentralregierung überhaupt keine Anstalten macht, die Katalanen zu umwerben. Dabei hätte Madrid durchaus Chancen, sich in dem Konflikt zu behaupten. Denn die Verhältnisse in Katalonien sind nicht eindeutig: Umfragen zufolge bezeichnet sich je ein Drittel der Einwohner als katalanisch, als spanisch oder als beides. Für die Trennung von Spanien sprechen sich nur 50 bis 55 Prozent der Befragten aus. Politologen sind sich einig, dass das Problem nicht mit Verboten zu lösen ist. Je mehr Rajoy und seine Mitstreiter Barcelona attackieren, umso lauter werden dort die Forderungen nach einem Referendum.

Mittlerweile fordert auch schon mehr als die Hälfte der Gegner einer Abspaltung ein Referendum, um die Gesellschaft zu befrieden. Denn sollte Madrid das Kabinett Puigdemont absetzen oder auf andere Weise eine Abstimmung verhindern, so würde den Catalanistas bei den nächsten Regionalwahlen ein Erdrutschsieg beschert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3611006
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.08.2017/jsa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.