Süddeutsche Zeitung

Streit um Unabhängigkeit:Woran Spaniens Premier in Katalonien scheitert

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Urban

Eigentlich hat Mariano Rajoy nur "das Gesetz erfüllt", wie er es selbst nennt. Doch den Kommentaren der internationalen Presse, die ihm jeden Morgen in seinen Amtsräumen im streng bewachten Moncloa-Palast in Madrid vorgelegt werden, musste er entnehmen, dass ihm die Hauptschuld an der Eskalation im Streit um die politische Zukunft Kataloniens gegeben wird. Und nicht nur das: Sogar Spitzenpolitiker aus anderen EU-Staaten haben indirekt an ihm Kritik geübt, indem sie Dialog statt Gewalt forderten. Rajoy verhehlt nicht, dass er sich ungerecht behandelt fühlt.

Jeder Katalane kennt Bilder von prügelnden Polizisten. Die älteren noch aus eigener Erfahrung: Unter der Diktatur des Generalissimus Francisco Franco (1939-1975) war die Region vielfältigen Repressionen ausgesetzt. Die Jüngeren wissen aus vielen Filmen im katalanischen Fernsehen davon sowie aus dem Geschichtsunterricht in der Schule, deren roter Faden die Unterdrückung ihrer Region durch Madrid ist.

Dass im demokratischen Spanien aber zumindest vor dem gegenwärtigen Konflikt nicht von einer Verletzung von Grundrechten die Rede sein kann, ist dagegen weitaus weniger präsent. Nicht nur Rajoy, sondern auch wohl die meisten spanischen Kommentatoren klagen oder empören sich, dass die katalanische Führung ein verzerrtes Bild von der politischen Wirklichkeit zeichne.

Die Guardia Civil, Rückgrat des Franco-Repressionsapparats

Katalanische Karikaturen zeichnen den spanischen Premier gern mit dem Dreispitz, der traditionellen Kopfbedeckung der Guardia Civil. Diese nationale Polizeitruppe war das Rückgrat des Repressionsapparats Francos. In vielen Kommentaren fehlt auch nicht der Hinweis, dass die von Rajoy geführte konservative Volkspartei (PP) aus einer franquistischen Gruppierung hervorgegangen ist.

Doch seine Politik liefert wenig Anhaltspunkte, ihm das Etikett Franquist anzuheften. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger an der Spitze der PP, José Maria Aznar, der von 1996 bis 2004 Regierungschef war, hat er nie das Franco-Regime verteidigt. Doch hat er die Linie seiner Vorgänger durchgehalten, nicht an die Franco-Zeit zu rühren, es gab von ihm nie eine Geste zur Ehrung der Opfer des Regimes. Die Katalanen empfinden dies als Brüskierung, denn ihre Region hat besonders unter dem Regime gelitten.

Doch hat sich Rajoy offensichtlich bemüht, die PP aus der nationalkonservativen Ecke in Richtung Mitte zu rücken. So hat er den früher sehr starken nationalkatholischen Flügel seiner Partei auflaufen lassen: Er hat nämlich nicht die Forderung nach einer Verschärfung des liberalen Abtreibungsrechts unterstützt. Im ganzen Land wurde bemerkt, dass er bei der Hochzeitsfeier des PP-Nachwuchspolitikers Javier Maroto auftrat, der seinen Partner Josema Rodríguez heiratete. In den kirchennahen Kreisen der PP war man darüber nicht erfreut. Auch als großer Frauenförderer ist Rajoy in Erscheinung getreten. Wichtige Ämter in der Parteiführung wie in der Regierung hat er mit jungen Frauen besetzt, die einen modernen Politikstil verkörpern. Allerdings gilt er als energischer Verteidiger der Monarchie.

Nüchtern vorgetragene Belehrungen zur Rechtslage

Zu seinen großen Problemen gehört der Ballast, den die PP aus den Zeiten des großen Booms vor dem Platzen der Immobilienblase vor genau zehn Jahren mit sich schleppt: Viele ihrer früheren Amtsträger sind in Korruptionsaffären verwickelt. Zwar unterstellt nicht einmal die Opposition Rajoy persönliche Bereicherung, doch wird ihm die politische Verantwortung dafür gegeben.

Sein größtes Manko aber besteht offenkundig darin, dass er nicht den Stellenwert von Empathie und Psychologie in der Politik begreift. Hier ist er nach Ansicht seiner Kritiker ganz der Beamte eines Katasteramts geblieben, als der er nach erfolgreichem Jurastudium seine Berufskarriere begonnen hat: Er richtet sich allein nach Gesetzen, Geschäftsordnungen und Ausführungsbestimmungen, hat aber kein Gespür dafür entwickelt, wie politische Konflikte persönliche Gespräche und freundliche Ansprachen entschärft werden können.

Den damaligen katalanischen Regionalpräsidenten Artur Mas hat er öffentlich abgekanzelt, als dieser vor fünf Jahren eine Neuverhandlung des Finanzausgleichs zwischen den Regionen vorschlug, bei dem sich die Katalanen keineswegs zu Unrecht grob benachteiligt fühlen.

Rajoy war offenbar keinen Moment lang der Gedanke gekommen, dass er den Konflikt mit dem freundlich vorgetragenen Angebot hätte entschärfen können, eine Arbeitsgruppe dazu zu bilden - selbst für den Fall, dass er in Wirklichkeit nicht nachgeben wollte. Im Gegensatz zu vielen anderen Spitzenpolitikern ist ihm jedoch nicht die Gabe gegeben, durch Charme und Gesten seine politischen Gegner einzubinden und somit zu neutralisieren. Im Gegenteil: Seine nüchtern vorgetragenen Belehrungen zur Rechtslage im gegenwärtigen Konflikt um Katalonien, bei denen er die EU hinter sich hat, werden dort als Provokationen aufgefasst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3692897
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.