Streit um Stuttgart 21:Mappus, Geißler und der "GAU"

Verwirrspiel in Stuttgart: Während Schlichter Geißler seine Aussagen zu einem Aussetzen des Bahnhofsneubaus präzisiert, zofft sich Ministerpräsident Mappus mit den Grünen. Es geht um den Vorwurf von Opportunismus - und darum, wer hier wem nicht zuhört.

So mancher würde Stefan Mappus wohl gerade am liebsten in die Wüste schicken. Und tatsächlich fliegt der baden-württembergische Ministerpräsident auf dem Höhepunkt des Streits um den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs jetzt erst einmal in sonnigere Gefilde: Mit einer etwa 60-köpfigen Delegation aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geht es nach Saudi-Arabien und Katar. Zumindest war das noch am Morgen der Plan.

Stuttgart 21 - Regierungserklärung im Landtag

Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus teilt kräftig aus - vor allem gegen die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth.

(Foto: dpa)

Vor dem geplanten Reiseantritt streute der CDU-Politiker aber noch einmal ordentlich Sand ins ohnehin stotternde Kommunikationsgetriebe - und keilte gegen die Grünen. In den Schlichtungsverhandlungen über das umstrittene Bahnprojekt stellt er den Einigungswillen der Partei infrage. "Schlichtung heißt, bereit sein zuzuhören", sagte Mappus der Onlineausgabe der Bild-Zeitung. "Wer aber wie die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth immer wieder mit Worten reingrätscht - da frage ich mich schon, ob sie eine Schlichtung und eine sachliche Atmosphäre überhaupt will."

Die Grünen hätten sich in den Parlamenten nicht gegen Stuttgart 21 durchsetzen können und suchten jetzt den Erfolg auf dem Umweg über die Straße, legte er nach. "Da bekommen Rechtsstaat und Demokratie ein Problem." Die Atmosphäre sei aufgeheizt und hektisch. "Manchen, auch manchem bei den Grünen geht es nicht oder nicht nur um den Bahnhof", sagte Mappus.

"Mappus hat Angst vor der eigenen Courage"

Die Angegriffenen selbst sehen die Schuld an der verfahrenen Situation indes beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Der Landtagsfraktionschef der Grünen in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, sagte, er sei grundsätzlich bereit, mit dem jüngst eingesetzten Schlichter Heiner Geißler zusammenzuarbeiten. Allerdings werde es dazu nicht kommen, wenn Mappus seine Haltung nicht ändere. Die Schlichtung sei kein Kaffeeplausch. Er wolle über die Kostenexplosion und die Leistungsfähigkeit des Projekts sprechen.

Kretschmann wies den Vorwurf zurück, die Kritiker des Projekts stellten mit ihrem Protest die Zukunftsfähigkeit Deutschland aufs Spiel. "Diese verstiegene Art der Überhöhung ist doch schlichtweg unsinnig und gefährlich. Es geht um Alternativen, nicht Verweigerung", sagte er.

Die Grünen machen Mappus auch für die jüngsten Irritationen um einen Baustopp für Stuttgart 21 verantwortlich. "Augenscheinlich hat Mappus Angst vor der eigenen Courage bekommen", äzte Kretschmann in der Berliner Zeitung.

Der Ministerpräsident hatte zuvor gemeinsam mit Bahnchef Rüdiger Grube dementiert, dass es - wie von Vermittler Geißler angekündigt - einen Baustopp für das Milliardenvorhaben gebe.

Der Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sagte Handelsblatt online: "Man könnte meinen, Mappus will die Vermittlung zum Scheitern bringen, bevor sie überhaupt begonnen hat." Es sei schon eigentümlich, wie Mappus und Grube den von der Landesregierung vorgeschlagenen Vermittler gleich wieder demontierten. "Wer Deeskalation und Gespräche will, darf weder Gesprächspartner noch Vermittler dauernd ins Gesicht schlagen", sagte er.

Geißler präzisierte unterdessen am Donnerstagabend im ZDF seine Aussagen zu einem Baustopp: Während der Schlichtung werde nicht gebaut, es gebe aber keinen generellen Baustopp, sagte er im heute-journal. Während der Verhandlungen gelte die Friedenspflicht und das bedeute, dass Baumaßnahmen nicht weitergeführt würden. "Das ist so selbstverständlich, wie es überhaupt nur in einer Schlichtung möglich ist", fügte er hinzu.

Liberale kritisieren Polizeieinsatz gegen Demonstranten

Grube und Mappus hätten lediglich betont, dass es keinen generellen Baustopp geben werde, möglicherweise bis in das nächste Frühjahr. "Das wäre genauso falsch, dann bräuchten wir ja gar keine Verhandlungen zu beginnen", sagte Geißler. Auch eine Verhandlung, während sich draußen die Baukräne drehen, könne es nicht geben. "Das wäre der GAU".

Trotz der derzeit verfahrenen Situation zeigte sich der 80-jährige ehemalige CDU-Generalsekretär optimistisch: "Nichts ist unmöglich, auch nicht in der Politik", sagte Geißler.

Mappus: Stuttgart 21 prägt Wirtschaft für mehr als 100 Jahre

Indes schaltete sich auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner in die Causa Stuttgart 21 ein. Der Freidemokrat äußerte sich kritisch zum Polizeieinsatz gegen Demonstranten in der vergangenen Woche. "Die Bilder sprechen für sich, das ist nicht verhältnismäßig gewesen", sagte Lindner in der ZDF-Sendung Maybrit Illner. "Und ich finde zur Aufnahme eines Diskussionsprozesses gehört auch, dass man das so klar in Stuttgart benennt, dass ein solcher Vorfall nicht hätte passieren dürfen."

Das sieht augenscheinlich auch der baden-württembergische Ministerpräsident so - und will die Bürger künftig vorab stärker in Entscheidungsprozesse einbeziehen: "Meine Lehre heißt, Großprojekte muss man künftig anders angehen, in Stufen. Und auf jeder Stufe muss es mehr Bürgerbeteiligung als jetzt geben."

Bei Stuttgart 21 seien allerdings schon Hunderte Millionen Euro verplant und verbaut worden. Man könne das Projekt nicht mit einem Fingerschnippen beenden, so Mappus. Ein Stopp des Projekts, bei dem der Stuttgarter Hauptbahnhof zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll, würde mehr als eine Milliarde Euro kosten. Die gestiegenen Baukosten des Projekts seien dagegen gut angelegt. "Solche Bahnprojekte", sagte Mappus, "prägen die Wirtschaft für mehr als 100 Jahre".

Inzwischen hat der Regierungschef auch seine Reisepläne geändert. Mappus werde der am Freitag abreisenden Delegation voraussichtlich am Samstag nachreisen, teilte das Staatsministerium in Stuttgart am späten Vormittag mit.

Zunächst übernehme der Minister für internationale Angelegenheiten, Wolfgang Reinhart, die Leitung der Auslandsreise. Geißlers Vermittlungsgespräche hätten Vorrang, teilte Mappus Regierungssprecher mit: "Der Ministerpräsident wird alles dafür tun, dass der Dialog nun in Gang kommt."

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