Süddeutsche Zeitung

Stuttgart 21:"Astroturfing" - Geheimkampf um Botschaften im Netz

Kampf um politische Interessen und um Botschaften: Die Befürworter und Gegner des Großprojekts Stuttgart 21 ringen längst im Internet um die Meinungshoheit. Einige geraten dabei unter Verdacht, zu unlauteren Mitteln der verdeckten PR zu greifen.

Lena Jakat

Christian List verteilt auf seiner Homepage Laufen für Stuttgart zynische Glückwünsche: An die Stuttgart-21-Gegner, die mit den Ausschreitungen vom Donnerstag nun die gewünschte Eskalation erreicht hätten. Und an die Polizeikräfte, die mit ihrem Vorgehen den Protestierenden in die Hände gespielt hätten.

List ist ein Befürworter des schwäbischen Großprojekts. Die Seite, die er gemeinsam mit seinem Bekannten, dem Bezirksbeirat Steffen Kauderer von den Freien Wählern betreibt, ruft zu Protest-Stadtläufen gegen den Stuttgart-21-Widerstand auf. Die beiden Stuttgarter Joggingfreunde betreiben zudem die Website Wir sind Stuttgart 21, die Stimmen und Argumente der Befürworter zusammenträgt.

Lange Zeit schien das Protest-Lager im Internet zu dominieren; der geballte Unmut macht sich auf Seiten wie Das Stuttgart-21-Kartell oder Bei Abriss Aufstand Luft. Über die Kampagnen-Plattform Campact sammeln die Gegner Unterschriften und Spenden - etwa 20.000 Euro sind dort nach Angaben von Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz schon eingegangen.

Die Pro-Kopfbahnhof-Kampagne K21 wiederum organisiert auf ihren Seiten Kundgebungen, wirbt für Demonstrationen und präsentiert Protest-Shirts und Protest-Stofftaschen. Die Online-Community der Parkschützer zählt inzwischen sogar fast 30.000 Mitglieder. Sie und ihre Mitstreiter twittern, bloggen und posten um die Wette.

Die Pro-Stimmen im Netz werden erst seit kurzem deutlicher. So wie etwa auf den Seiten der Lauf-Aktivisten List und Kauderer - auch wenn die Wir-sind-Stuttgart-21-Community bislang nur rund 3000 Mitglieder vorzuweisen hat, also ein Zehntel der Unterstützerzahlen auf Seiten der Parkschützer.

Doch schon geraten die Befürworter des Bahnprojekts unter Verdacht, zu unlauteren Mitteln zu greifen und sogenanntes Astroturfing zu betreiben. Der englische Begriff für Kunstrasen beschreibt eine Kampagne, die vorgibt, von bürgerschaftlichem Engagement getragen zu werden, also Teil einer Grassroots- oder Graswurzel-Bewegung zu sein - und die tatsächlich professionell konzipiert und von Politik oder Wirtschaft gesteuert oder teilweise finanziert werden.

Zwischen PR und Politik

Genau das wird dem Aktivisten Christian List vorgeworfen. Die Pro-Stuttgart-21-Seiten sind nicht unter seinem Namen registriert, sondern unter dem seiner Firma sitibi - einer Werbe- und Kommunikationsagentur. In deren Kundenkartei ist die Deutsche Bahn ebenso zu finden wie die Marketingagentur der Stadt Stuttgart und ein regionaler Verband. Der Grünen-Politiker Andreas Bühler wies in seinem Blog als Erster auf diesen Zusammenhang hin.

Bei der schlichten Feststellung wollte es das Berliner Blog Metronaut nicht belassen. "Eine PR-Agentur organisiert Demonstrationen für das Milliardenprojekt. Hier werden Events inszeniert und Menschen zu ahnungslosen Claqueuren instrumentalisiert", steht dort zu lesen.

Eine Anschuldigung, die Christian List energisch zurückweist. "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun", sagt er zu sueddeutsche.de und meint damit seinen Job und das Engagement für Stuttgart 21. Die Debatte habe inzwischen "abstruse Züge" angenommen. "Die Vorwürfe sind eine riesige Frechheit. Es nervt nur noch."

Steckten wirklich die Bahn oder andere Geldgeber hinter der Kampagne, würde das alles zudem wohl kaum so offengelegt, sagt List. Der Agenturname wird im Impressum angegeben.

Mit der gleichen Argumentation wehrt sich die Agentur PR-Spezialisten gegen Astroturfing-Vorwürfe. Über den Firmenaccount hatten Mitarbeiter bitterböse Kommentare zu den Ausschreitungen am vergangenen Donnerstag getwittert: "S21: Robin Wood, Park-Stasi und Öko-Taliban treten die Demokratie in Stuttgart mit Füßen. Bitte spülen & räumen!"

Im Interview mit dem Internet-Sender on3radio des Bayerischen Rundfunks wies Geschäftsführer André Paris Vorwürfe zurück, für diese Posts bezahlt worden zu sein: "Wir werden selbstverständlich nicht bezahlt", so der Werbefachmann. "Wenn wir dafür bezahlt werden würden, würden wir zu ganz anderen Mitteln greifen, das nicht so transparent und über unseren Firmen-Twitter machen."

Verdächtigungen, die bei Metronaut gegen die Werbefirma Scholz & Friends erhoben werden, scheinen ebenso ins Leere zu laufen - auch wenn die Domain Das neue Herz Europas, eine Seite der Projektträger, noch immer auf den Namen der Agentur eingetragen ist. Seit eineinhalb Jahren habe man nichts mehr mit Stuttgart 21 zu tun, heißt es in der Hamburger Zentrale der Kreativfirma. Auch die Behauptung, die Agentur direktzu, Betreiber der Tochter-Plattform direktzustuttgart21, agiere im Auftrag von Scholz & Friends, wird dort entschieden zurückgewiesen.

Das Hautproblem von Astroturfing ist auch der Grund, warum Branchenverbände wie der Deutsche Rat für Public Relations solche Undercover-PR ablehnen: Sie ist kaum nachweisbar und nur sehr schwierig zu belegen.

"Es gibt nur anekdotische Beweise", sagt Ulrich Müller, Vorstand der lobbykritischen Initiative Lobby Control. "Einschätzungen aus der PR-Branche zufolge sind solche Praktiken aber durchaus verbreitet. Im Straßenbau etwa werden genuine Bürgerinitiativen für Umgehungsstraßen im Hintergrund von der Asphalt- und Baulobby unterstützt", berichtet Müller: "Deren Lobbyorganisation übernimmt dann zum Beispiel Druckkosten oder vermittelt Kontakte in die Ämter."

PR-Skandal bei der Bahn

Zum Astroturfing gehören verdeckte Geldströme. Erst im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass auch die Deutsche Bahn solche Dunkelfinanzen genutzt hatte. Wie der Konzern nach Recherchen von Lobby Control nachträglich zugab, führte die Bahn 2007 verdeckte PR-Strategien durch: Sie versuchte, mit scheinbar echten Leserbriefen, Forenbeiträgen und Zeitungsartikeln für das Unternehmen gute Stimmung zu machen.

Der Etat für diese sogenannten No-Badge-Aktivitäten belief sich auf 1,3 Millionen Euro. Der verantwortliche Marketing-Mann musste gehen, Bahnchef Rüdiger Grube versicherte, von solchen zweifelhaften Strategien in Zukunft Abstand zu nehmen. "Diese Form der PR-Maßnahmen lehne ich entschieden ab", sagte er.

Die Affäre war einer der seltenen Fälle, in denen unlautere, verdeckte PR-Strategien nachgewiesen wurden. "Im Fall von Stuttgart 21 sehe dafür im Moment keine eindeutigen Belege", so die Einschätzung des Transparenz-Aktivisten Müller. "Aber man tut gut daran, die Sache im Auge zu behalten." Interessant sei schon, dass einige der Pro-Stuttgart 21-Aktivisten aus dem PR-Umfeld kämen.

PR-Profis gibt es nicht nur auf der Befürworterseite: Hinter der Kampagne K21 etwa steht die Event-Agentur rbw von Rainer Benz. Gemeinsam mit seinem Team hat er das lindgrüne Logo der Pro-Kopfbahnhof-Bewegung gestaltet, organisiert Proteste und bewirbt Kundgebungen. Auch er stand bereits unter dem Verdacht, für seinen Einsatz bezahlt zu werden.

Es fließe aber kein Honorar, beteuerte der Stuttgarter PR-Profi im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Das ist für uns selbstverständlich. Die anderen sitzen vor dem Bahnhof, wir leisten unseren Beitrag in der Agentur."

Sicher wird sich kaum sagen lassen, wo genau die Grenzen zwischen Bezahlung und Spenden verlaufen, wo der Unterschied zwischen Eigeninteresse und Engagement für das Gemeinwohl zu ziehen ist. Sicher nur: Die Vorwürfe zeigen, dass in Stuttgart mit zunehmend härteren Bandagen gekämpft wird - auch virtuell.

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