Streit um Sicherungsverwahrung:Angst vor dem Rückfalltäter

"Wir sind nicht zu lax": Die FDP bestreitet, die Bevölkerung nicht ausreichend vor gefährlichen Gewalt- und Sexualverbrechern zu schützen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung will die Justizministerin dennoch abschaffen.

Susanne Höll und Mike Szymanski

Im Koalitionskonflikt mit der Union über die Reform der Sicherungsverwahrung wehrt sich die FDP gegen Vorwürfe, sie sorge nicht für ausreichenden Schutz vor rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualverbrechern. "Diese Anschuldigungen sind an den Haaren herbeigezogen. Wir sind nicht zu lax", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, der Süddeutschen Zeitung. Der Rechtsexperte verteidigte die Pläne von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die die Voraussetzungen für die Unterbringung gefährlicher Straftäter nach Ablauf von deren Haft neu regeln will.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sorgt mit ihren Vorschlägen für eine Reform der Sicherungsverwahrung für Unmut in der Union: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).

(Foto: Getty Images)

Forderungen von Innenminister Thomas de Maizière und anderer Unionspolitiker, alsbald ein Bundesgesetz zu schaffen, mit denen auch bereits freigelassene Sicherungsverwahrte wieder in geschlossene Anstalten gebracht werden können, lehnte er ab. Zuständig dafür seien die Länder, nicht der Bund.

Länder fühlen sich bei der Kontrolle der Straftäter überfordert

Auch drohe eine solche Regelung vor deutschen oder internationalen Gerichten zu scheitern. "Wir sollten nicht noch einmal Fehler bei der Sicherungsverwahrung machen", sagte er mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der vergangenes Jahr das deutsche Gesetz über eine im Nachhinein verlängerte Sicherungsverwahrung kassiert hatte. Wegen dieses Urteils müssen nun mehrere Dutzend als gefährlich eingestufte Männer aus der Verwahrung freikommen, 15 sind bereits in Freiheit, einige von ihnen werden von Polizisten rund um die Uhr bewacht.

Bislang haben die Bundesländer keine rechtliche Möglichkeit, diese ehemaligen Sträflinge wieder in Verwahrung zu nehmen, es sei denn, sie sind krank und würden in Krankenhäusern untergebracht.

Die Länder fühlen sich bei der Kontrolle dieser Männer überfordert, fürchten sich vor einer Rückfalltat eines Freigelassenen und fordern ein Gesetz vom Bund. Zudem wollen sie deutschlandweit eine neue Form der Sicherungsunterbringung eingeführt sehen, die sich deutlich von der Strafhaft unterscheidet.

Im Prinzip könnte jedes Bundesland allein ein Gesetz erlassen, in der Union wird das aber als unpraktikabel angesehen. Es bestehe das Risiko, dass einige Länder untätig bleiben und dort alsbald wieder gefährliche Verwahrte in Freiheit kämen und sich dann in ganz Deutschland aufhalten könnten.

Union und FDP hatten vereinbart, nicht öffentlich über dieses Thema zu streiten. Zuletzt hatten Unionspolitiker aber Leutheusser kritisiert. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) machte deutlich, dass es ihm in dieser Frage auch um den Ruf der Union in der konservativen Wählerschaft gehe. Wenn die Bundesregierung zulasse, dass "verurteilte Sexualtäter mit einer extrem hohen Gefahrenprognose frei durch die Straßen laufen", müsse man sich nicht wundern, "wenn viele bürgerliche Wähler den Kopf schütteln", sagte er.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Union für Sexualstrafttäter nicht bereits bei der Verurteilung Sicherungsverwahrung anordnen will.

Uneinigkeit bei Reform des Sicherungsrechts

Union und FDP sind nicht nur in der Frage des Umgangs mit Freigelassenen uneins, sondern auch bei der Reform des gesamten Sicherungsrechts. Leutheusser möchte die bisherige Praxis abschaffen, wonach Strafgefangene bis zum letzten Tag ihrer Haft zu anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt werden können. Aus Sorge, dass der EGMR auch diese Regelung kippen könnte, will sie stattdessen mehr Möglichkeiten schaffen, Verwahrung schon bei einer Verurteilung anzukündigen. Das lehnt die Union ab mit der Begründung, in einigen Fällen entpuppe sich ein Häftling erst in der Haft als gefährlich. Die Union will den Zwist möglichst im September beilegen.

Die Staatssekretäre aus den Innen- und Justizministerien von Bund und Ländern beraten an diesem Freitag über die Lage. Das Bundesjustizministerium möchte wissen, wie die Länder mit den freigelassenen Ex-Häftlingen umgehen und ob sie alle Möglichkeiten der Kontrolle ausgeschöpft haben. Eine Vorentscheidung über das Gesetz wird von dem Treffen aber nicht erwartet.

Rechte der Bevölkerung gehen vor

Der Fall eines rückfallgefährdeten Schwerverbrechers aus Bayern wird offenbar zum Präzedenzfall für den künftigen Umgang mit der Sicherungsverwahrung. Wie das Oberlandesgericht Nürnberg mitteilte, hat es den Antrag eines Verwahrten auf Entlassung dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Es gelte, die "Einheitlichkeit der Rechtsprechung wiederherzustellen", teilte ein Gerichtssprecher mit.

Es handelt sich um einen Mann, der 1989 wegen Sexualdelikten und gefährlicher Körperverletzung zu sieben Jahren Haft verurteilt und zu anschließender Verwahrung verpflichtet wurde.

Die Nürnberger Richter teilen nicht die Auffassung des EGMR, wonach diejenigen freizulassen sind, deren Sicherungsverwahrung seit 1998 über die bis dahin geltende Zehn-Jahres-Grenze hinaus verlängert wurde. Weil aber andere Oberlandesgerichte Verwahrte freilassen, soll nun der Bundesgerichtshof entscheiden.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) begrüßte die Nürnberger Entscheidung. Die Richter hätten unmissverständlich aufgeschlüsselt, dass die Rechte der Bevölkerung Vorrang hätten vor den Freiheitsrechten eines höchst gefährlichen Gefangenen. Sie teile diese Ansicht, Opferrechte stünden auch für sie an erster Stelle.

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