Die Neonazis bekunden reges Interesse an dem Projekt: Ganz spontan hätten sich "mehrere Nationalisten" bereit erklärt, sich der Diskussion zu stellen, "um dem breiten, politisch interessierten Publikum vor Augen zu führen, warum ein radikaler Politikwechsel in unserem Land unumgänglich ist", kündigen sie auf einer einschlägigen Internetseite triumphierend an. Das erwähnte Projekt trägt den Titel "Dortmund den Dortmundern". Das hätten die Neonazis selbst nicht schöner formulieren können, schon wähnten sich einige deshalb auf der Seite der Sieger.
Die Grundidee von "Dortmund den Dortmundern": Junge Neonazis und demokratisch gesinnte Jugendliche aus Dortmund sollen über die Zukunft der Stadt diskutieren. Das Familienministerium stufte die Antragsskizze als förderungswürdig ein: Über eine Laufzeit von drei Jahren erhalten die Projektträger 164.160 Euro, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt.
Kritiker sprechen von Glatzenpflege auf Staatskosten, von "Kristina Schröders Kuschelworkshop für militante Neonazis". Dies ist verständlich, fiel doch die Familienministerin bisher eher dadurch auf, den Kampf gegen rechts zu erschweren: Seit der Einführung der Extremismusklausel tun sich erfolgreiche Initiativen gegen rechts jedenfalls zunehmend schwer, ihre Arbeit aufrechtzuerhalten. Um an finanzielle Mittel zu kommen, müssen sie unter anderem nachweisen, dass sie die Hälfte ihres Finanzbedarfs anderweitig decken können - für viele unmöglich. Und nun fördert die Ministerin ausgerechnet ein Projekt, das eine Gruppe junger Rechtsextremisten einbinden will.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe bezeichnete dies in einer Aktuellen Stunde im Bundestag als "absurd" und warf der Familienministerin vor, keine Ahnung von pädagogischer Arbeit zu haben. Im Kern ist es eine Frage, die für Aufregung sorgt: Darf man mit Neonazis diskutieren?
Stadt Dortmund geht auf Distanz
Nein, lautet das Urteil des Antifa-Magazins Lotta: "Das Projekt bietet gefestigten Neonazis eine Bühne, auf der sie sich in Szene setzen können; ihre Inhalte werden als 'diskussionswürdig' geadelt." Der Autor spielt auf die sogenannte Wortergreifungsstrategie an, die Neonazis seit Jahren proben: Es geht darum, öffentliche Veranstaltungen zu Wortmeldungen zu nutzen, um rechtsextreme Positionen vorzutragen und so deren gesellschaftliche Ächtung Schritt für Schritt zu überwinden. In der Vergangenheit erzwangen rechtsextreme Diskussionsteilnehmer damit wiederholt den Abbruch von Veranstaltungen.
Auch die Stadt Dortmund hat sich inzwischen von dem Projekt distanziert: Man lege Wert auf die Feststellung, dass sie aktuell nicht Kooperationspartner sei. Die Zielsetzung, die Ideologie der rechtsextremen Szene zu entlarven, "um so auf lange Sicht die Ausstiegsmotivation bei ihren Mitgliedern zu erhöhen", sei mit dem bisherigen Konzept nicht erreichbar. Mit der Stadt Dortmund fielen auch weitere lokale Organisationen als Partner weg. "Wie Dominosteine", sagt Benedikt Stumpf, Leiter der in Dortmund ansässigen gemeinnützigen "multilateral academy" und Initiator des umstrittenen Projekts.
Es zeigt, welchen Sprengstoff das Experimentieren im Umgang mit Rechtsextremen birgt. In einer Zeit, in der bekannt wurde, dass sich eine braune Terrorzelle jahrelang unerkannt durch Deutschland morden konnte, will keiner den Anschein erwecken, die Gefahr von rechts zu verharmlosen, im Umgang mit Neonazis zu zahnlos zu sein.
Stumpf aber ist irritiert vom Verhalten der ehemaligen Partner, zumal diese von Anfang an bei der Planung mit dabei gewesen seien. "Die Nazis bekommen ja keine Bühne auf dem Marktplatz", sagt er. Auch würden in Dortmund nicht wildgewordene Skinheads auf Jugendliche losgelassen. Er betont: Das Konzept sehe bislang vor, dass die jungen Neonazis und die demokratischen Jugendlichen lediglich punktuell aufeinandertreffen, anonym und im geschützten Rahmen. Den Großteil der Zeit arbeitet jede Gruppe für sich: Die Jugendlichen sollen ihre Zukunftsvisionen kreativ ausarbeiten, etwa in Form von Musik oder Videos.
Wichtiger Bestandteil der Konzeptidee ist eine Zukunftswerkstatt, wie sie der Pädagoge Robert Jungk entworfen hat: Es geht um aktive Gestaltung und partizipative Mitgestaltung von Veränderungs- und Wandlungsprozessen. Zu Beginn der Werkstatt stehe die Kritikphase, also die Frage: Was stört uns? Daran an schließe sich die Utopiephase mit der Frage: Was stellen wir uns vor? In der abschließenden Realisierungsphase sollen sich die Teilnehmer die Frage stellen: Was davon lässt sich verwirklichen? Diese pädagogische Form könne Stumpf zufolge zu ganz unterschiedlichen Wirkungen führen: "Ich habe gesehen, wie Jugendliche völlig aufgewühlt aus einer solchen Zukunftswerkstatt herausgehen."
Er räumt ein: "Das Projekt ist ein Stück weit eine Black Box." Keiner weiß, was herauskommen wird. Stumpf sagt: Sobald sich die Neonazis nicht an die Regeln halten, wird abgebrochen. Und sobald die Situation aus dem Ruder läuft, wird auch abgebrochen. Am Ende aber solle auf jeden Fall eine Ausstellung stehen, die die Arbeiten der Jugendlichen und die Ergebnisse des Projekts zeigt und kommentiert. Ein Abbruch, sagt Stumpf, ist auch ein Ergebnis.
Pädagogische Ansätze aus den Neunzigern werden aufgegriffen
Das Projekt knüpft an die Erfahrungen der akzeptierenden Jugendsozialarbeit der neunziger Jahre an. Auch damals ging es darum, Rechtsextreme einzubinden. Doch der Ansatz scheiterte. Das ging so weit, dass Neonazis ganze Jugendzentren übernommen hätten, erzählt Stumpf. Der Fehler aus seiner Sicht: Die argumentative Auseinandersetzung habe gefehlt. "Unser Ansatz greift diese Erfahrungen auf, geht aber darüber hinaus." Ziel sei es, neue Methoden in der Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen zu erproben und zu entwickeln.
Stumpf hat sich für das Projekt namhafte Experten gesucht, die die Initiative begleiten sollen: Die Münchner Politologin und Rechtsextremismus-Expertin Britta Schellenberg zum Beispiel. Oder Bernd Wagner, Leiter der Aussteiger-Organisation Exit. Auch die lokalen Organisationen in Dortmund will Stumpf weiter um Rat fragen.
Von Anfang an beteiligt war Dierk Borstel von der Kontaktstelle "Offensiv gegen Rechtsextremismus" in Dortmund. Borstel hat jahrelang mit Neonazi-Aussteigern gearbeitet. Seine Erfahrung: Alle Betroffenen hätten zwei Gründe für den Ausstieg genannt. Zum einen Zweifel an der rechtsextremen Ideologie, zum anderen eine Person, die sie in ihrer Weltanschauung ernst genommen hätte, diese aber in kritischen Gesprächen hinterfragt habe und ihnen Alternativen aufgezeigt habe. Der Kerngedanke, der in dem Projekt "Dortmund den Dortmundern" stecke, hätte deshalb eine Chance verdient, schreibt Borstel in einem Beitrag für das Portal Mut gegen rechte Gewalt.
Mag sein. Doch warum der Titel "Dortmund den Dortmundern"? Hätte man den nicht weniger provokant wählen können? So, dass er nicht die Sprache der Neonazis aufgreift? Stumpf sagt, der Name geht auf einen Vorschlag von Antifa-Jugendlichen zurück. Die Idee dahinter: Die von Neonazis besetzten Begriffe hinterfragen, den Rechtsextremen die Argumente wegnehmen. Also genau das, was das Projekt selbst auch bewirken soll.