Streit um Prestigeprojekt der Bahn:Stuttgart-21-Gegner schöpfen neue Hoffnung

Stuttgart 21

Dagegen: Auch ein Jahr nach der Volksabstimmung zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 sind die Fronten zwischen der Bahn und Kritikern verhärtet. 

(Foto: dpa)

Ein Jahr nach der Volksabstimmung zum Großprojekt Stuttgart 21 können die erbitterten Bahnhofsgegner endlich darauf hoffen, dass sich die Bahn durch explodierende Kosten selbst ein Bein stellt. Manche der S-21-Kritiker werden sogar übermütig.

Von Roman Deininger, Stuttgart

Man muss schon ganz genau hinschauen, unterhalb der Mütze, die fast über die Augen gezogen ist, und oberhalb des Schals, der noch den Mund bedeckt. Doch dann sieht man - um zwei Uhr früh in einer nassen, kalten Dezembernacht - ein Lächeln in diesem bärtigen Parkschützer-Gesicht.

Zweieinhalb Jahre halten die Gegner von Stuttgart 21 nun schon Mahnwache vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr. "Noch haben wir die Wahl", steht auf ihrem gelben Zelt, und die gute Laune der Nachtschicht hat sicher auch damit zu tun, dass sie ihren eigenen Spruch jetzt wieder glauben. Sie glauben wieder daran, dass sie Stuttgart 21 noch verhindern können.

Am 27. November 2011 hatten viele aus der Protestbewegung diesen Glauben verloren, an jenem Tag, als sich bei der Volksabstimmung 58 Prozent der Baden-Württemberger für den Tiefbahnhof aussprachen, und sogar 53 Prozent der Stuttgarter. Es war nicht einmal knapp. Die Führungsmannschaft des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 zog sich zurück, die Teilnehmer an den "Montagsdemos" wurden weniger, Bagger rissen den Südflügel des Hauptbahnhofs ab. Die Mahnwache wirkte da bloß noch wie symbolischer Trotz.

Statt 4,5 wird der Bahnhof nun mindestens 5,6 Milliarden Euro kosten

Die Bahn durfte loslegen mit dem Bau, und den Demonstranten blieb einzig die Hoffnung, dass der Konzern sich selbst ein Bein stellen würde. Dass die Kosten des Projekts explodieren und die technischen Probleme auch. Jetzt, ein gutes Jahr nach der Volksabstimmung, ist die Bahn auf dem besten Weg, ihren Kritikern diesen Gefallen zu tun. Vor einer Woche leistete der Vorstand den Offenbarungseid: Statt 4,5 Milliarden Euro wird der Tiefbahnhof mindestens 5,6 Milliarden kosten, vielleicht sogar 6,8.

Dazu kommen in unschöner Regelmäßigkeit Scherereien bei den Arbeiten oder bei den Genehmigungen. Klar, nicht alles hat die Bahn selbst zu verantworten - in einem Interview mit der Eßlinger Zeitung beschwerte sich Vorstandschef Rüdiger Grube gerade über mangelnde Kooperation der Behörden: "Da wird man für jeden Stempel von Pontius zu Pilatus geschickt."

Manche Kritiker werden übermütig

Aber die Bahn hat genug selbst zu verantworten, etwa die Bauverzögerung, die am Donnerstag bekannt wurde: Nach mehreren Unfällen sind im Hauptbahnhof zwei Gleise dauerhaft gesperrt, und wegen der verringerten Kapazität muss nun erst ein neuer Übergangsfahrplan erstellt werden, bevor der Trog für den Tiefbahnhof ausgehoben werden kann

Prominente Stuttgart-21-Gegner haben diese Woche in einem offenen Brief an Winfried Kretschmann, den grünen Ministerpräsidenten, der für viele Aktivisten ein Verräter ist, das Aus für das Projekt gefordert. Bei der Präsentation des Briefs bringt ihr Selbstbewusstsein fast den Tisch zum Beben. "Lügenpack" sei "kein schönes Wort", sagt der Schauspieler Walter Sittler, "aber was bleibt den Bürgern übrig angesichts der Schwindeleien, denen sie ausgesetzt sind". Wenn die Politik "jetzt nicht die Reißleine zieht, wird der Begriff Lügenpack noch das Freundlichste sein".

"Selbst die Bild berichtet jetzt kritisch"

Der Theaterregisseur Volker Lösch sagt, er erwarte von den Grünen schon lange keine Heldentaten mehr, nur eines noch: "Schaden vom Volk abzuwenden". Die öffentliche Meinung habe sich gedreht, "selbst die Bild berichtet jetzt kritisch". Lösch sagt: "Wenn heute Volksabstimmung wäre, hätten wir 70, 80 Prozent."

Manche S-21-Gegner macht die neue Hoffnung übermütig: Im Aufsichtsrat der Bahn zeichne sich nach absolut wasserdichten Parkschützer-Informationen eine Mehrheit für den Ausstieg ab, erzählen sie sich, oder noch schöner: Der Konzern habe bereits die meisten seiner Projektingenieure aus Stuttgart abgezogen. Und Kretschmann bleibe eh nichts anderes übrig, als sich der Wort- und Argumentationsgewalt der Herren Sittler und Lösch zu ergeben.

Einen Tag nachdem er den offenen Brief erhalten hat, tritt der Ministerpräsident vor die Presse, rauft sich das akkurat gestutzte Haar und erklärt, dass er sich weiter an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden fühle: "Ein Abstimmungswahlkampf ist dasselbe wie ein Wahlkampf. Man kann nicht sagen, die CDU hat Unsinn erzählt, deshalb gilt die Wahl nicht." Winfried Kretschmann scheint sich noch ein klein wenig wehren zu wollen, bevor er sich ergibt.

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