Streit um Pariser Strandfest:Nahostkonflikt an der Seine

Political uproar against 'Tel-Aviv Beach' of the Paris Plages

Politisch aufgeladenes Stadtfest: Statt "Tel Aviv sur Seine" fordern Aktivisten "Gaza sur Seine".

(Foto: dpa)

Es ist geplant als lockeres Sommerfest am Pariser Stadtstrand, doch plötzlich fordern Zehntausende Menschen den Boykott der Veranstaltung "Tel Aviv an der Seine". Das Motto stößt vielen bitter auf.

Von Felix Hütten, Paris

Eigentlich sollte es ein schönes Fest werden an den Paris Plages, dem Sandstrand an der Seine. Ein bisschen mediterranes Flair in der französischen Hauptstadt für alle, die die Metropole in den Sommerferien nicht in Richtung Meer verlassen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte alle Pariser zu "Tel Aviv sur Seine" eingeladen, Tel Aviv an der Seine. Ein Sommerfest mit kühlen Getränken, israelischem Essen, ein bisschen plaudern im Liegestuhl, alles ganz harmlos.

Doch dieses Jahr ist alles anders in Paris. 24 000 Menschen haben im Internet eine Petition gegen "Tel Aviv sur Seine" unterschrieben. "Das Fest ist kein einfaches Kulturevent, sondern israelische Propaganda", schreiben die Initiatoren der Petition auf ihrer Homepage. Es sei nicht hinzunehmen, so argumentieren sie, dass der Staat Israel genau ein Jahr nach den Luftangriffen auf den Gaza-Streifen nun in Paris ein Freudenfest feiern dürfe. Viele sprechen von einem perversen Kriegsjubiläum.

Also doch kein Fest? Die Diskussion kocht bereits seit dem Wochenende in den sozialen Netzwerken. Die Pariser Bürgermeisterin lässt sich davon nicht beeindrucken. 500 Polizisten sind am Donnerstag im Einsatz, um 300 Meter Strand zu sichern. Die Behörden wollten unbedingt verhindern, dass Bilder um die Welt gehen, auf denen ein anti-israelischer Mob an der Seine wütet. Aus dem harmlosen Stadtfest wird eine Hochsicherheitszone: Am Eingang kontrollieren Polizisten jeden Gast, schnüffeln an Wasserflaschen, durchsuchen Rücksäcke.

Doch trotz der lästigen Kontrollen in praller Mittagshitze kommen viele Pariser und Touristen an den Strand und feiern. 11 000 Menschen sollen es nach offiziellen Angaben gewesen sein.

Auch Beate Klarsfeld spaziert am Mittag am Seineufer entlang. "Ich möchte Israel unterstützen, wir alle haben eine Verantwortung für das Land." Von den Protesten gegen das Sommerfest hält sie nichts. Das sei Stimmungsmache von einer Minderheit, sagt die ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin der Linken, die einst für ihre Ohrfeige gegen Kanzler Kurt Georg Kiesinger berühmt wurde und vor einigen Wochen das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Juden beklagen antisemitisches Grundrauschen

Am Ende der 300 Meter Tel Aviv hat die Polizei einen Sichtschutz errichtet, dahinter haben Aktivisten Gaza-Strand aufgebaut. Der Eintritt zur Gegenveranstaltung ist allerdings nur unter den strengen Blicken von zwei Dutzend Polizisten möglich. Der Übergang von Tel Aviv nach Gaza-Strand ist stundenlang komplett gesperrt.

Gleich am Morgen ziehen Aktivisten hier eine fußballtorgroße Palästinaflagge an der Kaimauer hoch, ein Generator knattert für ein bisschen Strom für die Musikanlage. Pro-palästinensische Demonstranten tanzen und singen, es gibt Kuchen und laute Musik - von Gewalt keine Spur.

An der Reling zum Wasser hängt ein Plakat mit den Namen vieler Kinder, die durch israelische Bomben in Gaza getötet wurden. Immer mal wieder schlüpfen ein paar Besucher durch den Sichtschutz von Tel Aviv nach Gaza-Strand und diskutieren: Ist das hier Nahostkonflikt-Theater, nachgestellt am Seineufer? Kann man "Tel Aviv sur Seine" nicht einfach als unpolitisches Sommerfest genießen? Schnell wird es laut, Schimpfwörter fliegen, "Antisemit" oder "Mörder" sind häufig benutzte Vokabeln an diesem Mittag in Paris. Und doch bleiben alle friedlich.

Nun kann man natürlich darüber streiten, ob dieser Protest gerechtfertigt ist. Die Aufregung an diesem Tag aber erklärt sich anders: Viele Juden beklagen seit Jahren ein antisemitisches Grundrauschen in Frankreichs Großstädten, das zunehmend lauter wird. Tausende französische Juden sollen im vergangen Jahr bereits nach Israel ausgewandert sein - so viele wie schon seit Jahren nicht mehr.

Chance verpasst

Die französische Regierung will unbedingt den Eindruck loswerden, dass Juden in Frankreich keinen Platz mehr haben. Auch deshalb war Bürgermeisterin Hidalgo in den Tagen vor dem Fest bemüht, die rhetorische Aufrüstung der Konfliktparteien abzubauen. In der Tageszeitung Le Monde hatte sie am Mittwoch alle Pariser eingeladen, zahlreich zum Stadtfest zu kommen. Es sei sehr wohl möglich, mit Tel Aviv ein Fest zu feiern, ohne zugleich alle politischen Entscheidungen des Staates Israel zu begrüßen, schrieb sie.

Für dieses Statement erntet die Politikerin viel Widerspruch. "Einfach nur ein bisschen Party, das geht nicht", sagt Mehmed am Pariser Gaza-Strand. "Man kann die Augen doch nicht einfach verschließen." Die Bürgermeisterin habe die Chance verpasst, ein gemeinsames Fest für den Frieden zu organisieren, sagt der Student mit Palästinaflagge um den Hals.

Genau das hätte sich auch Chantal Vaury gewünscht. Die Rentnerin ist eine der wenigen an diesem schwülen Donnerstag, die sich beide Veranstaltungen ansieht. Sie verstehe die Aufregung, sagt sie, aber eine Schlussfolgerung sei falsch: "Die jungen Menschen hier rufen: Befreit Palästina, boykottiert Israel - aber richtig ist doch: Befreit Palästina, befreit Israel."

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