Süddeutsche Zeitung

Streit um Namensänderung Mazedoniens:Ausschreitungen bei Großdemonstration in Athen

  • Rechte und nationalistische Organisationen haben am Sonntag in Athen mit einer Großkundgebung gegen die Namensänderung von Mazedonien in Nord-Mazedonien protestiert.
  • Ein entsprechendes Abkommen hatte der griechische Ministerpräsident Tsipras mit seinem Amtskollegen aus Skopje getroffen; es soll kommende Woche vom griechischen Parlament gebilligt werden.
  • Der Namensstreit währt bereits seit des Zerfalls Jugoslawiens vor gut 30 Jahren. Beide Nachbarländer erheben Anspruch auf das kulturelle Erbe der Jahrtausende alten Region Mazedonien.

Ein Meer blau-weißer griechischer Fahnen, dazwischen prominente Politiker, Akademiker aus der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki, Landwirte von der griechisch-mazedonischen Grenze, Familien aus dem südlichen Kreta: Mehr als 100 000 Griechen, griechische Medien gingen sogar von 150 000 Demonstranten aus, haben am Sonntag gegen das Namensabkommen Athens mit dem Nachbarland Mazedonien demonstriert, das nächste Woche im griechischen Parlament gebilligt werden soll.

Die Polizei setzte Tränengas ein, um Demonstranten auseinanderzutreiben. Sie waren aus dem ganzen Land zu dem zentralen Platz in der Hauptstadt vor dem Parlament gereist, um ihrem Unmut Luft zu machen. Viele schwenkten die Fahne Griechenlands. "Wir können unser Mazedonien, unsere Geschichte nicht hergeben", sagte Amalia Davrami, eine 67-jährige Rentnerin. "Mazedonien ist griechisch, Punkt."

Am Nachmittag versuchten etwa 100 Extremisten mit Gewalt zum Parlament zu gelangen. Sie bewarfen die Polizeibeamten mit Steinen, diese reagierten mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Etwa zehn Beamte seien leicht verletzt worden, berichteten griechische Medien. Der Protest richtet sich gegen den Namenskompromiss Athens mit dem Nachbarland, das künftig Nord-Mazedonien heißen soll. Zur Demonstration aufgerufen hatten rechte und nationalistische Organisationen.

Unabhängig davon ist der Namensdisput ein Thema, das die griechische Volksseele kochen lässt. Denn bei einer Reise durch Mazedonien ging noch bis vor kurzem so manchem Hellenen die Hutschnur hoch. Da fuhr man über die Autobahn "Alexander der Mazedonier" vorbei am Flughafen "Alexander der Große". Oder erblickte in der Hauptstadt Skopje ein bombastisches Denkmal Alexanders des Großen mit erhobenem Schwert auf einem steigenden Hengst - ausgerechnet jenes griechischen Volkshelden also, der um 330 v. Chr. herum das Zeitalter des Hellenismus begründete.

Autobahn und Airport wurden mittlerweile umbenannt, um bei den Verhandlungen zwischen Athen und Skopje über eine Umbenennung Mazedoniens die Wogen zu glätten. Dennoch sind mehr als 70 Prozent der Griechen gegen den neuen Namen "Nord-Mazedonien", den Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein mazedonischer Amtskollege Zoran Zaev vergangenes Jahr ausgehandelt hatten.

Athen weigert sich seit 30 Jahren, den Namen Mazedonien anzuerkennen

In Deutschland ist die Aufregung für viele nur schwer zu verstehen - nicht zuletzt, weil das Balkanland dort schlicht Mazedonien genannt wird. International aber läuft es unter dem Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, weil Athen sich seit dem Zerfall Jugoslawiens vor knapp 30 Jahren weigert, den Namen Mazedonien anzuerkennen. Erfolgreich blockiert das EU- und Nato-Mitglied Griechenland seither die Annäherung Mazedoniens an beide Blöcke.

In der Tat umfasst das geografische Gebiet Makedonien beides: die ehemalige jugoslawische Republik und die Region Makedonien in Nordgriechenland. Auf das kulturelle Erbe des historischen Makedoniens unter Alexander dem Großen, das sich Historikern zufolge hauptsächlich im heutigen Nordgriechenland erstreckte, wollen die Griechen jedoch nicht verzichten. Und auch das Nachbarland hat sich in der Frage in den vergangenen Jahrzehnten kaum versöhnlich gezeigt. Neben der Autobahn und dem Flughafen mit Namen des antiken Feldherren nahe Skopje gab es auch mazedonische Schulbücher, die eine Ausweitung des Landes bis einschließlich der griechischen Halbinsel Chalkidiki zeigen. In der ersten mazedonischen Verfassung war zudem die Rede von möglichen Grenzänderungen und den Rechten der Angehörigen des mazedonischen Volkes. Entsprechend fürchten viele Griechen, der Nachbar könne über kurz oder lang Gebietsansprüche stellen.

Der Vertrag zum Namensabkommen lag am Wochenende allen Zeitungen bei

Nun aber stehen die patriotischen Anliegen beider Länder handfesten wirtschaftlichen und internationalen politischen Interessen gegenüber. Sowohl Nato als auch EU wünschen sich Stabilität auf dem Balkan. Sie würden eine künftige Mitgliedschaft Mazedoniens begrüßen, auch weil Russland dort keinen Einfluss gewinnen soll.

Für Griechenlands Wirtschaft ist Mazedonien ein wichtiger Handelspartner, so wie umgekehrt Mazedonien auf den Hafen von Thessaloniki angewiesen ist. Ganz abgesehen davon, dass es zwischen den Bürgern regen Austausch gibt und jedes Jahr viele der künftigen Nord-Mazedonier an griechischen Stränden urlauben. Die griechische Regierung hat veranlasst, dass der Vertrag zum Namensabkommen an diesem Wochenende allen Zeitungen beiliegt. Und darin können die Griechen Erstaunliches lesen, wie ein politischer Beobachter in Athen sagt: "Der Vertrag ist die sehr gute Lösung eines Problems, bei der es keine Sieger, sondern nur die bestmöglichen Kompromisse geben kann." Das Schriftstück unterscheidet explizit zwischen dem politischen Nord-Mazedonien und einem Mazedonien im "historischen Kontext mit kulturellem Erbe".

Grenzänderungen schließt der Vertrag kategorisch aus

Tsipras betonte vergangene Woche im griechischen Parlament, Skopje habe zugesagt, dass mit dem vertraglichen Begriff "Nationalität" die Staatsbürgerschaft gemeint sei, jedoch nicht die Ethnie der Bürger des Landes definiert werde. Auch Grenzänderungen schließt das Dokument kategorisch aus. Weil das in den Augen etlicher griechischer Politiker ein guter Kompromiss ist, wird das Abkommen im Parlament kommende Woche vermutlich genehmigt. Allerdings nicht ohne Gegenwehr. "Was hat Griechenland davon?", fragen aufgebrachte konservative und rechte Politiker in Talkshows. Einen stabileren Nachbarn im Norden, der Konzessionen macht, argumentieren jene, die für das Abkommen sind. Denn letztlich habe Griechenland die gravierendsten Probleme nicht mit Nord-Mazedonien, sondern mit dem östlichen Nachbarn Türkei.

So jedenfalls argumentiert der ehemalige griechische Außenminister Nikos Kotzias, der den Namensdeal eingefädelt hat und wegen eines Streits darüber im Oktober zurückgetreten war. Er erklärte, das Abkommen habe nicht nur finanzielle, soziale, nationale und geostrategische Vorteile. Es sei besser für Griechenland, seine diplomatischen Kräfte für wichtigere Fragen zu sparen - unter anderem für das Zypernproblem und den schwierigen Nachbarn Türkei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4295987
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/jana
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.