Streit um Justizreform:Brief an Warschau: EU-Kommission sieht Polens Rechtsstaat in Gefahr

A man holds poster during an anti-government demonstration organized by main opposition parties in Warsaw

Auf einer Kundgebung gegen Polens Regierung in Warschau zeigen Demonstranten ein Plakat mit einer Montage aus dem Gesicht des Pis-Chefs und der Frisur von Nordkoreas Diktator. "Nieder mit Diktator Erpel", steht darauf, nach Jarosław Kaczyńskis Spitznamen.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)
  • Mit der Sendung eines Schreibens der EU-Kommission an die nationalkonservative Regierung in Warschau verschärft sich der Konflikt um das dortige Verfassungsgericht.
  • Am Ende des Streits könnte ein Stimmrechtsentzug Polens stehen. Davon ist man allerdings noch weit entfernt.
  • Polens Justizminister reagiert jedoch gereizt auf den Brüsseler Schritt.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Am Ende sagt Frans Timmermans leise Danke. Er sagt es auf Polnisch, "dziękuję". Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission weiß, dass er am Abend in den polnischen Fernsehnachrichten eine Hauptrolle spielen wird. Er hat soeben eine kurze Pressekonferenz beendet, in der er - formal betrachtet - nicht mehr verkündet hat als die Versendung eines Briefes.

Wochenlang ist um diesen Brief gerungen worden, nun hat die EU-Kommission entschieden, ihn abzuschicken. Empfänger ist Polens national-konservative Regierung. Das Schreiben enthält eine "Meinung" der EU-Kommission - die Meinung, dass der Rechtsstaat in Polen in Gefahr ist.

Man habe das nicht gewollt, sagt Timmermans

Der Streit über das polnische Verfassungsgericht erreicht damit eine neue Stufe, obwohl die Kommission das - wie Timmermans versichert - eigentlich nicht wollte. Man habe in "konstruktivem Geist" das Gespräch mit der polnischen Regierung gesucht. Er selbst sei zweimal in Warschau gewesen und noch gestern Abend habe er mit Ministerpräsidentin Beata Szydło telefoniert.

"Die Diskussionen waren konstruktiv und fruchtbar, haben aber noch zu keiner Situation geführt, die uns aus meiner Sicht in die Nähe einer Lösung bringt", sagt Timmermans.

In ihrem Vorgehen richtet sich die EU-Kommission nach einem 2014 beschlossenen "Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips". Dieser sieht ein dreistufiges Verfahren vor, in dem die Kommission zunächst eine Einschätzung abgibt, ob sie "systemische Gefahren" für die Rechtsstaatlichkeit sieht. Dann kann sie eine Empfehlung abgeben und in der dritten Stufe die Umsetzung überprüfen.

Im äußersten Fall könnte eine Prozedur nach Artikel 7 des EU-Vertrags mit Strafen bis zum Stimmrechtsentzug in Gang gesetzt werden. Mit der jetzt nach Warschau gesandten Stellungnahme bewegt sich die Kommission immer noch innerhalb von Stufe eins.

Drei Punkte sind es, die aus Sicht der Kommission gelöst werden müssen: der Streit über die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts, die ausstehende Veröffentlichung von Urteilen des Verfassungsgerichts und der Konflikt um die von der Regierung betriebene Veränderung der Arbeitsweise des Gerichts. Die neue Mehrheit im polnischen Parlament hatte die Berufung von fünf Verfassungsrichtern rückgängig gemacht und neue Richter ernannt, was nach Urteil des Gerichts in drei Fällen verfassungswidrig war.

Timmermans zeigt sich tapfer

Die polnische Regierung ist nun aufgerufen, auf die negative Beurteilung aus Brüssel zu reagieren. Im Telefonat am Dienstagabend habe Ministerpräsidentin Szydło die Bereitschaft erklärt, den Dialog fortzusetzen, sagt Timmermans. Mit dem Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), Jarosław Kaczyński, steht Timmermans nicht in Kontakt, obwohl er es ist, der in Warschau die Entscheidungen trifft.

Das weiß man auch in Brüssel, wenngleich Timmermans tapfer versichert, er glaube nicht, die falschen Gesprächspartner zu haben. Zu Wochenbeginn hatte Polens starker Mann der Kommission vorgeworfen, sich mit ihrem Verfahren "außerhalb" der EU-Verträge zu bewegen. Man könne daher "jederzeit dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen".

Vorwürfe aus Warschau - Dementi aus Brüssel

Gereizt reagiert am Mittwoch auch Justizminister Zbigniew Ziobro. Es bestätige sich nun "leider die Sicht all jener, die sagen, dass sich die EU-Kommission durch einflussreiche Vertreter der politischen Opposition in einem inneren Streit engagiert, in die Angelegenheiten eines souveränen Staates eingreift, die Opposition unterstützt und gegen eine Regierung auftritt, die für die Kommission unbequem ist".

Das genau ist der Vorwurf, den Timmermans entkräften will. "Die Kommission hat nicht die Absicht und auch nicht den Wunsch, sich in eine politische Diskussion in Polen einzuschalten. Politische Fragen in Polen sind die Sache von Politikern in Polen, nicht der Kommission", bekräftigt er. Die EU-Kommission gebe nur Hilfestellung, damit in Polen selbst eine Lösung gefunden werden könne.

Auch den Warschauer Vorwurf der Amtsanmaßung weist Timmermans zurück. "Die EU ist auf gemeinsamen Werten errichtet, die in den Verträgen festgehalten sind. Diese Werte schließen den Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit ein. So funktioniert unsere Organisation." Und Hüterin der Verträge sei die Kommission.

"Attacken auf Grundwerte wie die Rechtstaatlichkeit dürfen von der Wertegemeinschaft Europa nicht sprachlos hingenommen werden", sagt auch der Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). Die polnische Regierung ergreife die Chance zum Dialog nicht ernsthaft. Das sei "schade".

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