Streit um EFSF-Ausweitung:Schäubles Kriegslist

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Der Euro-Rettungsschirm ist zu klein, eine direkte Ausweitung gilt als ausgeschlossen. Deshalb sucht die Politik nach einem Instrument, um die Summe auf anderem Wege zu erhöhen. Führende Politiker der G 20 haben dies längst bestätigt - nur Finanzminister Schäuble dementiert auf allen Kanälen. Sein Motto: Rede so geschickt an der Sache vorbei, dass sogar gröbste Halbwahrheiten später nicht als Lüge gelten.

Claus Hulverscheidt

Irgendwann im Laufe der vielen Stunden, die Wolfgang Schäuble in seinem Leben mit Lesen zugebracht hat, muss er auf einen Text gestoßen sein, der mit dem Wort "Kriegslisten" überschrieben war. Ob es nun der listige Karthager Hannibal oder der Preuße von Clausewitz war, der ihn am meisten beeindruckt hat, ist nicht überliefert. Tatsache ist: Zwei Disziplinen hat Schäuble bis zur Perfektion weiterentwickelt, wie die Euro-Debatte dieser Tage eindrucksvoll zeigt: Rede so geschickt an der Sache vorbei, dass dir sogar gröbste Halbwahrheiten später nicht als Lüge ausgelegt werden können! Und: Diskreditiere die Motive deiner Gegner!

"Ich habe das Wort nicht verwendet": Finanzminister Wolfgang Schäuble schafft es in der Euro-Debatte immer wieder, geschickt an der eigentlichen Sache vorbeizureden. (Foto: Reuters)

Seit einiger Zeit wird im Kreis der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G 20) darüber diskutiert, ob der Euro-Schutzschirm EFSF, der gerade erst auf 440 Milliarden Euro aufgestockt wird, nochmals drastisch ausgeweitet werden muss. Dahinter steht der Gedanke, dass die Turbulenzen an den Finanzmärkten so lange anhalten werden, wie die Anleger bezweifeln, dass die Euro-Staaten zur Rettung der Währungsunion im Notfall wirklich jede erdenkliche Summe in die Hand nehmen werden. Die 440 Milliarden Euro reichen dafür keinesfalls - jedenfalls dann nicht, wenn nach Griechenland, Irland und Portugal auch große Länder wie Italien oder Spanien ins Trudeln geraten sollten.

Eine nochmalige direkte Ausweitung des Kreditrahmens gilt als ausgeschlossen, da dies in vielen Ländern nicht mehr durchsetzbar wäre. Deshalb sucht die Politik nach einem Instrument, einem sogenannten "Hebel", mit dem sich die Summe auf anderem Wege erhöhen lässt. Eine Möglichkeit wäre, dem EFSF unbegrenzt Kredit bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuräumen. Das allerdings lehnen die Bundesregierung und die Bundesbank strikt ab, weil die eigentliche Arbeit der EZB, für stabile Preise zu sorgen, konterkariert würde.

Ein anderes Modell wird aber sehr wohl diskutiert: Dabei würde der EFSF zu einer Art Teilkaskoversicherung, die Käufern von Staatsanleihen bei einer Insolvenz etwa Italiens die ersten 20 oder 25 Prozent des Verlusts abnehmen würde. Die Summe, die der Rettungsfonds insgesamt abdeckt, könnte auf diesem Wege verfünf- oder zumindest vervierfacht werden.

Führende Politiker der G 20, darunter Frankreichs Finanzminister François Baroin, sein US-Kollege Timothy Geithner und EU-Währungskommissar Olli Rehn, haben längst bestätigt, dass über solche "Hebel" debattiert wird. Schäuble hingegen dementiert auf allen Kanälen, wobei er in Wahrheit nur so tut: Der Haftungsrahmen für die deutschen Steuerzahler, so sagt er am Donnerstag gleich mehrmals, werde nicht erhöht - wohl wissend, dass niemand etwas anderes behauptet hat. Im Gegenteil: Der Clou an der "Hebel"-Lösung ist ja gerade, dass dieser Rahmen formal unverändert bliebe.

Am Donnerstagmorgen gibt Schäuble ein Interview im Deutschlandfunk. Er selbst, so wird ihm dort vorgehalten, habe doch beim jüngsten G-20-Treffen in Washington vom "Kredithebel" gesprochen. "Ich habe das Wort nicht verwendet", entgegnet Schäuble - was stimmt und doch nicht stimmt, denn er hat zwar das Wort nicht benutzt, die Diskussion aber dennoch indirekt bestätigt: Auf die Frage, ob er eine Ausweitung des Fonds auf Kosten der EZB für denkbar halte, antwortete er in Washington nämlich: "Es gibt andere Formen der Hebelung."

Weil der Radiomoderator das exakte Zitat nicht zur Hand hat, kommt der Minister davon. Und doch verrät er sich auch diesmal: Als ihn der Interviewer auf Meldungen anspricht, wonach der EFSF via Kredithebel auf zwei Billionen Euro aufgepumpt werden könnte, fällt ihm Schäuble ins Wort: "Aber nicht an Haftung für den deutschen Steuerzahler!" Also doch: Man sucht nach einer Lösung, die Geld bringt - ohne dass der Haftungsrahmen ausgeweitet werden müsste.

Zweieinhalb Stunden später wird der Minister auch im Bundestag gefragt, wie er zu einem "Hebel"-Modell stehe. Wieder einmal bleibt Schäuble eine klare Antwort schuldig und bügelt stattdessen die Fragesteller Gerhard Schick (Grüne) und Carsten Schneider (SPD) ab. Es sei "unseriös, ja unanständig", schon heute darüber zu spekulieren, was künftig noch alles passieren werde. Genaueres werde man erst wissen, wenn die EU die Richtlinien für die künftige Nutzung des EFSF ausgearbeitet habe - als wäre Deutschland daran nicht beteiligt.

Es ist wie so oft: Gelogen hat Schäuble nicht, weder in Washington, noch im Bundestag oder im Deutschlandfunk. Die Wahrheit aber hat er auch nicht gesagt.

© SZ vom 30.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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