Süddeutsche Zeitung

Streit um doppelte Staatsbürgerschaft:Union gegen Union

Beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft sind die schwarz-roten Unterhändler grundverschiedener Ansicht. Noch spannender freilich ist das Gefecht, das die Union intern darüber führt. Am Ende wird es auf CSU-Chef Seehofer ankommen - und darauf, ob er bereit ist, die konservativen Innenpolitiker zu düpieren.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Donnerstagabend gab es zwei Meldungen zur Debatte um eine doppelte Staatsbürgerschaft. Aus der Arbeitsgruppe Innen und Justiz der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen hieß es, das Thema werde zwischen Union und SPD schwierig bleiben. Wenig später war einer Agenturmeldung zu entnehmen, dass Angela Merkel und Horst Seehofer ihrem Verhandlungsführer, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, signalisiert hätten, er solle in dem Streit ruhig hart bleiben.

Die erste Meldung war eine, die kaum jemanden überraschen konnte. Das Thema ist seit jeher umstritten. Die zweite Meldung klang auch wie eine Banalität, war aber keine, weil sie offenbar nicht die ganze Wahrheit erzählte. Hinter ihr verbirgt sich der wahre Zündstoff. Doch eins nach dem anderen.

Richtig ist, dass sich die Innenpolitiker von Union und SPD beim Doppelpass kaum nähergekommen sind. Jedenfalls bis Freitag. Während die SPD für die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft eintritt und dabei vor allem auf die in Deutschland geborenen Kinder türkischer Herkunft schielt, würden die meisten Innenpolitiker der Union am liebsten alles beim Alten belassen. Sie könnten sich allenfalls vorstellen, das im Jahr 2000 eingeführte Optionsmodell moderater auszugestalten.

Der Kompromiss der Union: Einwandererkinder müssen erst bis 30 entscheiden

Seit 2000 gilt für in Deutschland geborene Zuwandererkinder, dass sie mit der Geburt deutsche Staatsbürger werden und dazu auch die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern erhalten. Zwischen 18 und 23 müssen sie sich dann für eine von beiden entscheiden. Die SPD sieht darin einen Zwang zu einer sehr schweren Gewissensentscheidung. Die Union dagegen möchte, dass sie sich entscheiden - und im Idealfall bewusst Deutschland auswählen. Als Kompromiss bietet sie an, das Alter von 23 auf 30 hochzusetzen. Die SPD hat grundsätzliche Einwände. Also wird weiter gestritten.

Der Streit allerdings findet unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen statt - und hier liegt der Zündstoff. Der wirklich interessante Streit nämlich ist in der Union zu beobachten. Seit Horst Seehofer den Grünen in den Sondierungsgesprächen Zugeständnisse beim Doppelpass signalisiert hat, fühlen sich altgediente Unions-Innenpolitiker wie Spielbälle, die zwar ihre Positionen vertreten sollen, aber ahnen, dass sie am Ende wenig zu sagen haben. Das ist noch verstärkt worden, als Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte, eine "ruhende Staatsbürgerschaft" ins Spiel brachte, Seehofer Wohlwollen signalisierte - und die Experten ob der völkerrechtlichen Probleme nur den Kopf schütteln konnten.

Das Gefühl, mit Seehofer auf wackeligem Grund zu agieren, bekam Friedrich schon in den Sondierungen mit den Grünen zu spüren. Es wiederholte sich, als er über die Nutzung von Mautdaten nachdachte. Kein Wunder, dass die viele Innenpolitiker bis hin zu Friedrich fürchten, alsbald wieder vorgeführt zu werden.

Mögliche Hilfe - ein Lösungsvorschlag von außen

Umso interessanter war die Meldung, Merkel und Seehofer hätten Friedrich den Rücken gestärkt. Wenn man genau hinhört, ist es eher umgekehrt gewesen: Die beiden hätten signalisiert, dass sie sich mehr Kompromissbereitschaft erhoffen. Sollte das stimmen, hat die Meldung eine ganz andere Bedeutung. Sie wirkt wie der Versuch, Seehofer zu einer Entscheidung zu zwingen. Entweder hält er still, dann ist seine Unterstützung für Friedrich festgeschrieben. Oder er dementiert, dann wissen die Konservativen, was sie erwartet.

Angesichts der Konflikte könnte eine Lösungsvorschlag von außen sprichwörtlich allen Seiten helfen. Der Sachverständigenrat für Integration hat vorgeschlagen, für in Deutschland geborene Zuwandererkinder die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen, aber die automatische Weitergabe der ausländischen Staatsbürgerschaft zu begrenzen, wenn die Familie schon seit Generationen hier lebt. Ob Union und SPD darüber schon sprechen, ist nicht bekannt. Es heißt: Man wolle bei der Suche nach Lösungen noch nicht aufgeben.

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SZ vom 09.11.2013/olkl
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