Süddeutsche Zeitung

Streit um Busbeschleunigung in Hamburg:Mein Viertel, meine Straße, mein Zorn

Kein Thema regt die Hamburger im Wahlkampf so auf wie die Busbeschleunigung. Der Senat hat den Widerstand unterschätzt - ein Lehrstück, auch für Kommunen im Rest der Republik.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Bernd Kroll hat einen Stapel Papier vor sich liegen, Skizzen, E-Mails, Briefe, dicht im sperrigen Deutsch der Stadtplaner bedruckte Zettel. Er sitzt im Restaurant "3 Tageszeiten" im Hamburger Stadtteil Winterhude, mit Blick auf den Mühlenkamp, eine belebte Gründerzeitstraße in bester Lage voller kleiner Geschäfte und Cafés. Fußgänger schlendern vorbei, auf der Straße drängeln sich Autos und Busse. Letztere sind der Grund, warum Kroll diesen Haufen Papier angesammelt hat - und eine ganze Menge Wut im Bauch.

Denn der Busverkehr soll nach Willen des Hamburger Senats effizienter werden, "Busbeschleunigung" heißt das 260-Millionen-Euro-Projekt, das die noch allein regierende SPD gerade in der ganzen Stadt umsetzt. Und das sich im Wahlkampf zum einzigen Thema entwickelte, mit dem die Opposition dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz beikommen kann. Denn Hamburger Bürger laufen Sturm gegen das Projekt, die Volksinitiative "Stopp des Busbeschleunigungsprogramms" sammelte Ende 2014 innerhalb weniger Wochen mehr als 20 000 Unterschriften.

So wie Hamburg geht es vielen Kommunen in ganz Deutschland. Immer häufiger protestieren Bürger gegen Verkehrsprojekte. In den vergangenen Jahren, so schreibt es das Deutsche Institut für Urbanistik nach einer Fachtagung, sei Widerstand nicht mehr nur bei Großprojekten wie Stuttgart 21 spürbar, sondern auch bei mittleren und kleinen Vorhaben.

Warum Verkehrsprojekte so starke Gefühle wecken

Besonders in den großen Städten konkurrieren dabei Fußgänger, die einen möglichst breiten Gehsteig und Anwohner, die wenig Verkehrslärm wollen, mit Autofahrern, Radfahrern und öffentlichem Nahverkehr um eine begrenzte Fläche, heißt es in einer Publikation des Instituts für Urbanistik. "Verkehrsthemen betreffen jeden", sagt Institutsleiter Martin zur Nedden. Klar, dass da jeder mitreden will. Klar auch, dass man es nicht jedem recht machen kann. Das erfährt der Hamburger Senat gerade auf die schmerzhafte Weise.

Nach Hamburg ziehen mehr und mehr Menschen, bringen ihre Autos und Fahrräder mit, fahren täglich mit U-Bahn, S-Bahn und Bussen. Die Busbeschleunigung soll nun für ein bisschen Entlastung sorgen. Die Stadt baut dafür Straßen um, versetzt Haltestellen, macht sie barrierefrei, verändert die Ampelschaltungen. Für die Hamburger bedeutet das: Baustellen. Lärm. Schmutz. Die Stadt fällt Bäume, sperrt Straßen, errichtet Umleitungen, plant Verkehrsinseln, die verhindern sollen, das Autos in zweiter Reihe parken. Zum Beispiel auf dem Mühlenkamp.

Deswegen sitzt Bernd Kroll hier, deswegen arbeitet er sich seit nunmehr zwei Jahren durch Planungsunterlagen, telefoniert mit Politikern aller Parteien und hat zuletzt eben gemeinsam mit seinen Mitstreitern von der Bürgerinitiative "Unser Mühlenkamp" Unterschriften gegen das ganze Programm gesammelt. Kroll wohnt unweit des "3 Tageszeiten", war selbst früher Abgeordneter im Regionalausschuss und ist CDU-Mitglied.

Grundsätzlich sei er ja für die Busbeschleunigung, sagt Kroll. Aber eben nicht so. Die ersten Pläne, die der zuständige Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer im Sommer 2013 vorlegte, nennt er "eine Katastrophe". Für ihn schien klar: "Die waren hier nie vor Ort und haben sich das angeschaut."

Die Keimzelle des Protests

Auch in anderen Hamburger Vierteln gibt es Widerstand gegen die Busbeschleunigung. Doch der Mühlenkamp, so erzählt Kroll nicht ohne Stolz, ist die "Keimzelle" des Protests. Auf Bürgerversammlungen geht es zuweilen hoch her, im Oktober brüllten wütende Anwohner einen Ingenieur, der das Programm in einer Kirche vorstellte, regelrecht nieder.

Was bringt sie alle so auf? Neben Kroll sitzt zum Beispiel der Besitzer des "3 Tageszeiten", Ralph Larouette. Außerdem ist dessen Frau Bettina Hagen gekommen, sie hat einen dicken Ordner dabei. Darin sind Bilder von Baustellen, von Müll auf der Straße, von den Bäumen am Mühlenkamp. Hagen treibt der Zustand der Straße vor dem Restaurant nämlich schon seit Jahren um, regelmäßig hat sie bei der Stadtreinigung angerufen, um die Straße aufräumen zu lassen: "Die waren sehr freundlich, haben aber gesagt: Wir haben keine Mittel." Mittel, so sieht sie es, die stattdessen für die Busbeschleunigung draufgehen.

Inzwischen unterstützen ein Stadtplaner und ein Verkehrsplaner die Bürgerinitiative. Kroll und die anderen haben einiges erreicht. Aber eben nicht alles. So soll immer noch eine Verkehrsinsel in die Mitte der Straße, die die Anwohner dafür zu eng finden. Und Bäume sollen auch noch fallen. Im vergangenen Jahr hätten sich, so erzählen es Kroll und die anderen, plötzlich die Blätter der Bäume gelb verfärbt. Da wird doch nicht jemand einen Nagel in den Stamm ...?

"Es schwirren hier einige Gerüchte herum", sagt Larouette, "leider." Das Misstrauen der Bürger ist groß, die Beweise jedoch fehlen. "Ich habe beim BUND angerufen, bei der Loki-Schmidt-Stiftung, damit die die Bäume untersuchen", sagt Hagen. Doch ohne Erfolg.

Im Januar durfte Kroll immerhin dem Senat nach der erfolgreichen Volksinitiative seine Kritik vortragen. Zu teuer sei das Programm, zu wenig effizient. Mehr noch als um die Bäume oder die Verkehrsinsel auf ihrem Mühlenkamp geht es ihnen um ein Gefühl. Hier passiert was vor meiner Haustür - und ich werde nicht gefragt. Und so ist der Hauptkritikpunkt der Bürgerinitiative: Die Bürger seien nicht ausreichend beteiligt worden.

Und wie reagiert die Politik? "Wir haben hier in Hamburg einen sehr begrenzten Straßenraum", sagt Martina Koeppen, verkehrspolitische Sprecherin der SPD in der Hamburger Bürgerschaft. Da gebe es häufig Konflikte, wie eben jetzt bei der Busbeschleunigung. Trotzdem hält sie das Programm für richtig. Sie beklagt einen jahrzehntelangen Stillstand in der Verkehrspolitik. CDU und vor allem die Grünen plädieren für eine Stadtbahn in der Hansestadt, die wiederum will die SPD nicht. Sie möchte langfristig lieber eine neue U-Bahn-Linie bauen - ein Mega-Projekt, das natürlich kurzfristig die Verkehrsprobleme nicht löst.

Dafür soll nun die Busbeschleunigung sorgen. Doch erst einmal müssen dafür die Widerstände der Bürger überwunden werden. Es ist auch nicht so, dass die zuständigen Behörden und Politiker gar nichts versucht hätten.

Bürger gegen Verwaltung

In Winterhude gab es zum Beispiel bereits 2013 Planungswerkstätten. Allerdings, so beklagen es Kroll und seine Mitstreiter, heimlich, still und leise, in den Sommerferien, ohne, dass Bürger, lokale Politiker oder Medien ausreichend informiert wurden. "Damit hat man wohl nicht genügend Leute erreicht", sagt Koeppen. Und auch über die Informationsveranstaltungen beschweren sich die Leute von der Bürgerinitiative. "Eigentlich waren das immer nur Belehrungen", sagt Ralph Larouette.

Dahinter steckt ein tiefgehendes Missverständnis über Beteiligung, das das Hamburger Abendblatt so zusammenfasst: "Die Bürger verstehen Beteiligung als Beteiligung an der Entscheidung. Die Verwaltung hingegen versteht es als Beteiligung an der Diskussion." Auf der einen Seite steht also der Bürger, der mitmachen will und sich vor Ort auskennt. Auf der anderen Seite Politiker und Verwaltung, die möglichst effizient ihrer Arbeit nachgehen wollen, auf ihrem Fachwissen beharren.

Da knallt es dann häufig gewaltig. Martina Koeppen zum Beispiel geriet während der Senatsanhörung mit Bernd Kroll von der Bürgerinitiative aneinander, blockte die von Kroll selbstbewusst vorgetragenen Vorschläge rigoros ab. Heute tut ihr das leid. "Ich hätte da einen anderen Ton anschlagen müssen", sagt sie. Hat die SPD das Konfliktpotenzial der Busbeschleunigung unterschätzt? "Im Nachhinein: ja."

Wichtig ist ihr zu betonen, wie gut sie es eigentlich findet, wenn Bürger sich engagieren. "Ich bin ja selbst in die Politik gegangen, weil mich Dinge gestört haben, ich etwas verändern wollte." Politik und Verwaltung müssten da einfach noch viel lernen.

Tücken der Beteiligung

Beteiligung birgt allerdings dem Institut für Urbanistik zufolge auch Tücken, auf die Politiker Rücksicht nehmen müssen. So engagieren sich in Bürgerinitiativen vor allem sozial gut gestellte Bürger mit viel Zeit. Die Interessen von Familien mit kleinen Kindern oder auch Menschen mit Migrationshintergrund können da leicht hinten runter fallen. Und eine kleine, aber laute Gruppe wiederum ihre Interessen durchdrücken.

Kroll, Hagen und Larouette entsprechen in vielerlei Hinsicht dem Klischee eines "Berufsbürgers", wie es in der Publikation des Instituts für Urbanistik spöttisch heißt: gut situiert, gebildet, bestens vernetzt, selbstbewusst. Sie wissen natürlich auch, dass bürgerschaftliches Engagement seit Stuttgart 21 einen schalen Beigeschmack bekommen hat. Bettina Hagen erzählt von einer Begegnung beim Unterschriftensammeln: "Diese Scheiß-Eppendorfer wollen immer eine Extrawurst gebraten haben", habe ihr ein Mann entgegengerufen. Nebst einigen noch unflätigeren Beschimpfungen. Eppendorf gehört zum selben Wahlkreis wie das wohlhabende Winterhude, wo der Mühlenkamp liegt.

"Wir sind keine Wutbürger", sagt Hagen nun. "Uns ist schon klar, dass zum Beispiel nicht jeder bei einem Projekt wie der Elbphilharmonie mitreden kann." Aber die Umbauten am Mühlenkamp seien etwas anderes. "Das ist doch so nah dran."

Die SPD jedenfalls will sich nun am 12. Februar, kurz vor der Wahl, mit den Leuten vom Mühlenkamp treffen. Und die Bürgerinitiative? Ist mäßig euphorisch. "Mir ist schon so oft etwas versprochen worden und hinterher war es dann wieder anders", sagt Ralph Larouette. Vertrauen ist schnell zerstört, in seinem Fall sehr gründlich. Einen Verkehrsfrieden hat deswegen neulich die Opposition vorgeschlagen. Denn wenigstens darin sind sich alle einig: Irgendwas muss ja passieren.

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