Streit um Beschneidung:Vom richtigen Umgang mit Recht

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Beschneidung als Rechtsmissbrauch - mit dieser Entscheidung hat sich das Kölner Landgericht einer multikulturellen Betrachtungsweise verweigert. Strafrecht wird so zum Instrument kultureller Bekehrung und befeuert eine zunehmend aggressive Debatte. Damit schießt es am Ziel vorbei.

Heribert Prantl

Körperverletzung? Natürlich ist Beschneidung Körperverletzung. Sie ist genauso Körperverletzung wie jeder andere ärztliche Eingriff. Kleine und große Operationen, die lebenserhaltenden wie die nur lebensverschönernden, die nötigen wie die unnötigen - sie alle gelten dem Strafrecht als Körperverletzung. Im Strafrecht ist jeder Eingriff in den Körper eine Verletzung. Erst die Einwilligung des Patienten rechtfertigt die Verletzung, erst sie macht den Arzt straflos. Und wenn der Patient ein Kind ist, entscheiden die Eltern. So war und ist es Recht, Sorgerecht nennt man das.

Seitdem das Landgericht Köln entschieden hat, dass es nicht Recht, sondern Rechtsmissbrauch sei, wenn Eltern ihren Sohn beschneiden lassen, herrscht eine Aufregung, wie es sie seit 1995, seit dem Kruzifix-Beschluss des Verfassungsgerichts, nicht mehr gegeben hat. Damals war es die negative Religionsfreiheit, welche die Richter schützten wollten: Der Mensch habe ein Recht, frei von Religion zu leben.

Diesmal ist es die positive Religionsfreiheit, in die Richter der unteren Instanz eingreifen: Das Recht jedes Menschen, nach seiner Religion zu leben, habe Grenzen - und mit der Beschneidung sei die Grenze überschritten. Die Regeln, die im jüdischen und im muslimischen Glauben die Beschneidung vorschreiben oder nahelegen, widersprächen dem Kindeswohl. Der Staat als dessen Wächter müsse eingreifen und der Körperverletzung die Rechtfertigung versagen.

Heftige Reaktionen

So hat es das Gericht in einer sehr klinischen Entscheidung getan; bei der Feststellung dessen, was Rechtskultur und Kindeswohl verlangen, hat es sich einer multikulturellen Betrachtungsweise verweigert. Die Reaktionen darauf waren und sind außerordentlich heftig. Befürworter des Urteils feiern es als den deutschen Anfang vom weltweiten Ende eines archaischen Rituals; ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung ist beschnitten. Manche Urteilsbefürworter rücken die Beschneidung der Jungen gar in die Nähe der Genitalverstümmelung von Mädchen; das ist objektiv falsch.

Tatsache aber ist: Nach der Operation fehlt dem Jungen ein Stück Haut. Die Kritiker halten das für ein Verbrechen am wehrlosen Kind. Die Kriminalisierung jüdischer und muslimischer Eltern sei daher notwendig. Strafrecht wird so zum Instrument kultureller Bekehrung. Auch Eltern, die (wie in den USA gang und gäbe) ihre Söhne aus hygienischen Gründen beschneiden lassen, werden zu Straftätern gemacht. Konsequenterweise müsste künftig das Jugendamt nach jeder Geburt in einschlägigen Kreisen auf dem Sprung sein, um das verdächtige Tun zu verhindern.

Weil man sich nicht ausmalen möchte, wie eine Anti-Beschneidungs-Polizei aussähe und welche Folgen sie für das Zusammenleben der Gesellschaft hätte, will der Gesetzgeber nun klarstellen, dass Beschneidung keine strafbare Körperverletzung darstellt. Angesichts anschwellender Aggressivität der Debatte ist das notwendig. So manche Religionskritiker scheinen das Urteil als Lizenz zur Religionsbeschimpfung misszuverstehen.

Recht schützt Minderheiten

Eine Rechtfertigung der Beschneidung per Gesetz ist keine gefühllose Bagatellisierung einer Körperverletzung. Es handelt sich auch nicht um eine gesetzlich kaschierte Weigerung, Recht durchzusetzen, sondern um den Versuch, mit Recht richtig umzugehen. Recht hat die Aufgabe, das Zusammenleben von Menschen so verträglich wie möglich zu gestalten. Recht schneidet die Gesellschaft nicht auseinander; es schützt Minderheiten. Und die Verfassung achtet die Religionen und ihre Riten.

Selbstredend gibt es Grenzen: Wenn die Würde des Menschen verletzt wird, wenn eine angeblich göttliche Leitkultur die Grundrechte negiert - dann sind die Grenzen überschritten. Aber die Beschneidung ist nicht der Einstieg in die Scharia, nicht Symbol für die Negation der Rechtsordnung, sie ist vielen nur befremdlich fremd. Eine Bestrafung des nur Befremdlichen wäre unverhältnismäßig. Das heißt: Der Schutz der Vorhaut gegen vermeintlich unverständige Eltern ist keine Angelegenheit für das Strafrecht.

Beschneidungskritiker fordern von Juden und Muslimen, über den Sinn dieses Ritus nachzudenken. Muslime und Juden dürfen aber auch von ihren Kritikern ein Nachdenken darüber verlangen, warum die Kritik einen so aggressiv-selbstgerechten Ton anschlägt. Bisweilen kann man den Eindruck haben, dass es nicht nur einen religiösen, sondern auch einen anti-religiösen Fundamentalismus gibt. Die Unversöhnlichkeit der Kopftuch-Debatte findet in der Beschneidungs-Debatte ihre Fortsetzung. Das hat mit Aufklärung nichts zu tun. Aufklärung ist nicht die Verächtlichmachung der Anderen. Eine aufgeklärte Gesellschaft ist eine, die auf respektvolles Zusammenleben achtet.

© SZ vom 16.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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