Streit um Banklizenz für EFSF:Gipfel des Chaos

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Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy streiten offen über die richtige Strategie für den Euro-Rettungsfonds. Paris wiegelt ab: Es gebe keinen Konflikt, heißt es dort. Vor dem EU-Gipfel agieren die beiden Regierungschefs so irrational, dass der erhoffte Befreiungsschlag schwierig wird. In der Troika zur Rettung Griechenlands herrscht ebenfalls Uneinigkeit. Rekonstruktion einer chaotischen Woche.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Jetzt ist passiert, was nicht passieren darf. Deutschland und Frankreich streiten öffentlich über die Euro-Rettung. Der große Krisengipfel, der an diesem Wochenende stattfinden soll, kann wohl keine großen Entscheidungen mehr treffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre für Freitag geplante Regierungserklärung abgesagt; sie informiert das Parlament also nicht, mit welchen Zielen sie auf dem Gipfel verhandeln will. Man werde sich in Brüssel nur beraten, heißt es plötzlich, Beschlüsse würden dann ein paar Tage später gefasst.

Weit auseinander: Kanzlerin Merkel and Präsident Sarkozy streiten offen über die Euro-Rettung. (Foto: Bloomberg)

Und Paris blickt an diesem Donnerstag verwundert nach Berlin. Es gebe gar keinen deutsch-französischen Konflikt, heißt es im Élysée-Palast. Was da in Berlin hochkoche, sei ein rein innenpolitischer Konflikt.

Die ganz große Lösung für die Euro-Krise sollte dieser Gipfel bringen. Neue Milliarden für Griechenland, einen erweiterten Rettungsschirm, ein Programm zur Stabilisierung der Banken, Leitlinien für eine gemeinsame Haushaltspolitik samt härterer Strafen für Defizitsünder. Europa sollte danach gewappnet sein für eine geordnete Insolvenz Griechenlands. Doch Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, zwei für die Lösung der Krise entscheidende Politiker, handeln kurz vor dem größten Krisentreffen seit Ausbruch des Schuldenproblems vor knapp zwei Jahren so irrational, dass völlig offen ist, ob der große Befreiungsschlag gelingen wird.

Alles beginnt am Mittwoch. Da verlässt Sarkozy seine in Paris in den Wehen liegende Ehefrau, um nach Frankfurt zu fliegen. Dort verabschiedet die europäische Polit-Elite den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, in den Ruhestand. Schon wird spekuliert, dass Sarkozy die Gunst der fröhlichen Stunde nutzen wolle, eine bisher uneinnehmbare Bastion der Deutschen zu entern: Der Franzose wolle die Europäische Zentralbank einnehmen, um mit deren Geld den Euro-Rettungsfonds EFSF schlagkräftiger zu machen. Allerdings: Diese Idee ist ein Tabu für Merkel, das weiß Sarkozy genau. Es gibt in Deutschland niemanden, der so eine Vereinbarung unterschreiben würde.

Fährt Sarkozy wirklich nach Frankfurt, um sich eine Abfuhr zu holen? Oder führt Sarkozy eine Show für seine Wähler auf, denen er sich als großer Kämpfer präsentieren will? Erst am nächsten Tag sickert die Wahrheit durch, die zunächst aus einer französischen Version und einer deutschen besteht.

In Paris heißt es, der französische Präsident unterstütze voll und ganz die deutsche Position, den Euro-Rettungsfonds mittels einer Teilkasko-Versicherung für neue Staatsanleihen von 440 Millionen Euro auf eine Billion zu erweitern - zu hebeln also. Keine Rede ist mehr von der EZB.

Er habe die Geburt seiner ersten Tochter nur deshalb verpasst, weil er mit Merkel eine Verhandlungslinie abgestimmt habe, um andere Länder von dieser Teilkasko-Idee zu überzeugen, nämlich Italien und Spanien, versichert Paris. Rom und Madrid dürften die ersten Hauptstädte sein, die neue Staatsanleihen auf diese Art versichern lassen könnten. Sie fürchten allerdings, dass dann alte, nicht versicherte Anleihen an Wert verlieren könnten.

Im diplomatischen Berlin lächelt man über die französische Sicht. Teilnehmer des Treffens sprechen von einem denkwürdigen Abend. Merkel und Sarkozy hätten offen gestritten, die Nachricht von der Geburt seiner Tochter habe Merkel noch nicht einmal dazu veranlasst, Sarkozy zu umarmen; später seien beide ohne ein Wort auseinandergegangen.

Doch nicht nur zwischen Berlin und Paris ist die Stimmung getrübt. Die Europäische Kommission lässt es sich nicht nehmen, beinahe jeden Tag neue Gesetzesvorschläge anzukündigen, die helfen sollen, die vermeintlichen Feinde der Euro-Länder - also Banken, Ratingagenturen oder Spekulanten - an die Kandare zu nehmen. Hunderte Seiten von Papier warten darauf, gelesen zu werden.

Anderswo fehlen wiederum die entscheidenden Seiten. Der Bericht der Kreditgeber Griechenlands, der Troika aus Europäischer Kommission, EZB und Weltwährungsfonds, hätte am Dienstagabend verschickt werden sollen. Die Inspektoren haben die Lage in Athen geprüft. Anhand ihres Votums sollen die Euro-Finanzminister entscheiden, ob Griechenland die nächste Tranche aus dem ersten Hilfspaket bekommt - und ob das Land überhaupt noch in der Lage ist, die Schulden vollständig zurückzuzahlen.

Falls nicht, müssen die Gläubiger überzeugt werden, auf einen Teil der Forderungen zu verzichten - und zwar freiwillig. Ansonsten drohen Ratingagenturen, Griechenland als "pleite" einzustufen. Das wiederum würde eine Handvoll Spekulanten binnen Sekunden um Millionen Euro reicher machen, denn dann würden die von ihnen gehaltenen Kreditausfallversicherungen fällig. Noch heikler könnte die Lage also kaum sein.

Umso verwunderlicher ist es, dass immer mehr Nebelkerzen geworfen werden, je näher der Gipfel rückt. Als der Bericht der Troika endlich am Donnerstag erscheint, fehlt die entscheidende Passage. Auf Seite 29 des 100 Seiten umfassenden Pamphlets ist der Kasten leer, in dem die Inspektoren beschreiben sollen, ob Athen seine Schulden noch bezahlen kann.

Die Europäische Kommission schweigt dazu. Hinter verschlossenen Türen räumt sie ein, dass sich die Troika uneins ist. Der Weltwährungsfonds glaubt, dass Griechenland nicht mehr zahlen kann. Die Brüsseler Behörde beharrt auf dem Gegenteil. 18 Stunden bevor sich die Euro-Finanzminister über den Bericht beugen sollen, sind sich nicht einmal die Inspektoren einig.

Und das lässt Schlimmes befürchten. Die Euro-Finanzminister brauchen die Fakten zur Schuldentragfähigkeit Griechenlands, um darüber zu entscheiden, wie dem Land über 2012 hinaus geholfen werden kann. Das zweite Hilfspaket, das sie am 21. Juli geschnürt haben, ist überholt. Ein neues muss her, vor allem weil der Weltwährungsfonds darauf besteht. Klar ist, dass sich die Banken stärker an den Kosten der Krise beteiligen müssen.

Doch welchen Abschlag sie wirklich auf griechische Anleihen einkalkulieren müssen, kann ohne die Daten der Troika nicht beschlossen werden. Erst wenn die Banken den Abschlag auf die griechischen Anleihen kennen, wird klar sein, ob sie frisches Kapital benötigen. Und so hängt die Entscheidung über die Rekapitalisierung der Banken von der Entscheidung über weitere griechische Hilfen ab. Und nur Stunden bevor die Beratungen beginnen sollen, ist völlig offen, ob überhaupt irgendetwas entschieden werden kann. Selbst der sicher geglaubte Beschluss, die nächste Tranche aus dem ersten Hilfspaket zu zahlen, ist gefährdet.

Als am Donnerstagabend klar wird, dass es am Sonntag keine wegweisenden Beschlüsse beim Gipfel geben kann, werden die Finanzmärkte nervös. Da telefonieren Merkel und Sarkozy und lassen verlauten: Am Wochenende wollen sie die offenen großen Fragen erörtern, bei einem weiteren Gipfeltreffen, wohl am Mittwoch, sollen die Staats- und Regierungschefs dann Beschlüsse fassen. Noch ein Gipfel. Und alle Fragen offen.

© SZ vom 21.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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