Streit um Atomprogramm Teherans:Aufruf zum iranischen Frühling

Atomenergie in den Händen eines demokratischen und mit dem Westen verbündeten Iran muss keine Gefahr sein. Statt über einen Präventivschlag gegen das Land nachzudenken, sollte der Westen versuchen, die Bevölkerung zu einem "iranischen Frühling" zu ermuntern.

Avi Primor

Der Diplomat und Publizist Avi Primor, 76, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Berlin. Er ist Präsident der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Beziehungen.

Ex-Botschafter Avi Primor

Avi Primor: Der Westen sollte Irans Reformer ermuntern

(Foto: dpa)

Ende letzter Woche, anlässlich des Jahrestages der iranischen Revolution 1979, bekräftigte der echte Machthaber Irans, Ayatollah Chamenei, sein Ziel Israel zu vernichten. Er fügte hinzu, Iran unterstütze massiv alle Kräfte, die Israel bekämpfen, wie die Hisbollah und die Hamas. Es ist also nicht nur Ahmadinedschad, der Chamenei unterstellt ist, sondern auch die echte iranische Macht, die sich in dieser Sache klipp und klar ausspricht.

In Israel verstärken sich die befürwortenden Stimmen der Spitzenpolitiker, die dafür plädieren, einen Präventivangriff auf die Atomanlagen Irans auszuüben. Ganz offen sagen manche, der Angriff solle vor Juni dieses Jahres stattfinden. Danach werden alle Atomanlagen des Iran unterirdisch sein.

Wird also ein Krieg ausbrechen? Was auch immer Iran an Schäden erleiden würde, Teheran könnte dennoch mit einem Angriff auf Israel reagieren. Große Mengen an Raketen würden Israel auch aus dem Hisbollah-Land im Süden Libanons und aus dem Hamas-Land im Gaza-Streifen treffen. Iran droht zudem damit, die Straße von Hormus, die Exportroute für 20 Prozent der Weltölproduktion, zu blockieren. Damit will Iran ein wirtschaftliches Weltchaos auslösen.

Nun stellen sich mehrere Fragen. Wird ein israelischer Angriff endgültig die iranischen Atompläne zunichte machen? Wahrscheinlich nicht, denn die Iraner können innerhalb von Monaten oder im schlimmsten Fall innerhalb von zwei Jahren alles wieder aufbauen. Folglich würden sich die iranischen Pläne nur verzögern.

Ist das den großen Schaden, den die iranische Vergeltung anrichten könnte, wert? Kann es sich Amerika leisten, Israel alleine agieren zu lassen oder werden die Amerikaner intervenieren? Bricht ein neuer US-Krieg im Nahen Osten aus?

Kann sich das iranische Regime so einen Konflikt heute leisten? Für die meisten Iranexperten ist klar, dass nicht Israel das echte iranische Ziel ist. Das Ziel Irans sind die direkten Nachbarstaaten, über die das Land eine unmittelbare oder mittelbare Kontrolle anstrebt. Sollte es Iran gelingen, die Oberhand über Irak, Saudi-Arabien und über die Golf Staaten zu bekommen, dann würde Iran 57 Prozent aller Erdölreserven beherrschen und könnte damit die ganze Welt erpressen. Israel ist in dieser Hinsicht für die Staatsräson Irans, wenn überhaupt, nur eine Nebensächlichkeit.

Israel verlang Einmischung der ganzen Welt

Dennoch wird Iran nicht nur von Staatsmännern, sondern vor allem von fundamentalistischen Fanatikern beherrscht, die über die Staatsräson hinaus auch emotional reagieren können. So ein Risiko kann sich Israel nicht leisten. Israels Hoffnung ist es, Iran in Sachen Atomentwicklung mit anderen Mitteln in die Knie zu zwingen. Das verlangt eine Einmischung der gesamten Welt und vor allem des Westens im Ringen gegen Iran.

Und tatsächlich haben die Europäer verstärkte Sanktionen gegen Iran verkündet, und wie Guido Westerwelle erklärte, betrachtet Europa Iran als eine Gefahr für Europa und die ganze Welt. Aber vor allem hofft Israel auf eine amerikanische Intervention, zunächst einmal durch eine Vertiefung der Belagerung Irans.

Dass die westlichen Sanktionen, trotz des Widerstands seitens Russland, Indien und vor allem China, Iran nun tiefgreifend schaden werden, steht fest. Ob das Iran daran hindert, seine Atompläne fortzusetzen, ist mehr als fraglich. Die Israelis fragen sich, was man noch gegen Iran tun kann, bevor Teheran Atomwaffen besitzt. Die Erfahrung mit Nordkorea lehrt: Dieses kleine, verhungerte, höchst aggressive und gefährliche Land ist für die Welt unantastbar, nur weil es ihm angeblich gelungen ist, Atomwaffen zu beschaffen. So ein Verhältnis zu Iran kann sich Israel nicht leisten.

Ayatollah-Regime ist unbeliebt wie nie

Egal, ob Israel alleine angreift, ob sich die Amerikaner darauf einlassen oder ob die beiden es gemeinsam unternehmen, es bleibt die Frage, wie Iran wirklich reagieren wird. Neben den bereits erwähnten Drohungen gegen Israel, droht Teheran auch damit, seine arabischen, mit Amerika verbündeten Nachbarstaaten anzugreifen und deren Ölproduktion mit Raketen zu beschießen. Es droht also damit, die gesamte Region in einen Krieg zu stürzen.

Die Frage ist nicht, ob sich Iran, sondern ob sich das Ayatollah-Regime das leisten kann. Die Gefahren, unter solchen Umständen vom iranischen Volk gestürzt zu werden, sind erheblich.

Noch nie seit Beginn des schiitischen fundamentalistischen Regimes 1979 war dieses bei der Bevölkerung so unbeliebt wie jetzt. Selbst die grausame Niederschlagung des Massenaufstands von 2009 machte das Regime noch nicht so verhasst, wie es heute ist.

Trotz 80 Milliarden Dollar Jahreseinkommen aus Erdölexporten ist die iranische Wirtschaft so marode wie nie zuvor. Der Lebensstandard der Bevölkerung leidet erheblich durch die äußerst ineffiziente Wirtschaftsführung des Regimes, durch die immer größer werdende Korruption und die hohen Investitionen in die Atomentwicklung sowie in die Unterstützung verschiedener ausländischer fundamentalistischer terroristischer Organisationen.

Hinzu kommen die Sanktionen, die nun sogar die Bevölkerung in Panik versetzen. Die Arbeitslosigkeit und Inflation steigen enorm. Im Laufe von Tagen hat die iranische Währung 50 Prozent ihres Wertes verloren. Dass vor diesem Hintergrund die Iraner die Entbehrungen eines Krieges überzeugt mittragen würden, damit kann das Regime nicht rechnen. Klar ist, dass die Gegenschläge, mit denen Iran droht, die eigene Wirtschaft noch weit tiefer in den Keller treiben würden.

Der Westen sollte Irans Reformer ermuntern

Was also ist der Ausweg aus dieser Krise? Es gibt wahrscheinlich keinen Weg, Iran von seinen Atomambitionen abzubringen. Diesen Ehrgeiz teilt die Mehrheit der Bevölkerung, selbst wenn sie dem Regime misstraut. Die echte Frage ist nicht, ob Iran Atomwaffen haben wird, sondern in wessen Hände diese Waffen fallen werden. In den Händen der Ayatollahs sind sie aus allen genannten Gründen gefährlich. Zusätzlich auch, weil man damit rechnen muss, dass Iran die Atomwaffen an die verschiedenen weltterroristischen Organisationen, die das Land unterstützt, verteilen könnte.

Atomenergie in den Händen eines demokratischen, weltoffenen, mit dem Westen verbündeten Iran muss keine Gefahr sein. Das Ziel des Westens sollte also sein, zu versuchen, die großen Massen Irans, die mit ihrem Aufstand 2009 der Auslöser des arabischen Frühlings waren, weiterhin zu einem iranischen Frühling zu ermuntern.

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