Streit um Armutszuwanderung:EU bremst Wahlkämpfer Friedrich aus

Es ist Wahljahr. Da kann Innenminister Friedrich kaum etwas Besseres passieren als der angebliche Sozialmissbrauch von EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien. Wäre da nicht die EU-Kommission. Die bezweifelt jetzt, dass es "Armutszuwanderung" in nennenswertem Ausmaß überhaupt gibt.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Als einen "Irrtum im Amt" hat die Frankfurter Rundschau kürzlich Innenminister Hans-Peter Friedrich bezeichnet. Seit zwei Jahren im Innenministerium, wirke der CSU-Mann noch immer wie einer, "der nicht so recht dazugehört", schreibt dort Steffen Hebestreit. Und CSU-Ikone Michael Glos lästerte jüngst in der taz über seinen Parteifreund: "Er zögert und zaudert immer etwas."

Zögern, zaudern und nicht dazugehören. Das darf sich ein Innenminister eigentlich nicht erlauben. Schon gar nicht, wenn er von der CSU ist. Und erst recht nicht in einem Wahlkampfjahr. Seit gut einem Jahr beschäftigt sich Friedrich deshalb mit einem Thema, dass sich leicht verkaufen lässt und konservative Wählerschichten ansprechen soll: der sogenannten "Armutszuwanderung" vor allem aus Rumänien und Bulgarien.

Gemäß der Freizügigkeitsregeln der Europäischen Union darf sich jeder EU-Bürger in jedem EU-Land niederlassen, um dort zu arbeiten. Ein Recht, das in Deutschland zunehmend auch Menschen auf Bulgarien und Rumänien in Anspruch nehmen. Seit 2007 ist nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes der Zuzug aus diesen Ländern von 65.000 auf 150.00 Personen im Jahr 2011 gestiegen. Im ersten Halbjahr 2012 kamen allein 88.000 Menschen. Viele Kommunen sind darauf wenig bis gar nicht vorbereitet.

Kommunen berichten über Probleme

Bulgarien und Rumänien sind die Armenhäuser der Europäischen Union. Viele Menschen leben dort unter vorindustriellen Bedingungen. Sinti und Roma gehören dort zum äußersten Rand der Gesellschaft und werden ausgegrenzt. Auch sie suchen Zuflucht im Westen, unter anderem in Deutschland.

Die Kommunen haben im Januar ihre Probleme mit der neuen Zuwanderung in einem Positionspapier zusammengefasst (pdf). Die Einreise erfolge zwar offiziell "zum Zwecke der Arbeitssuche", eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Arbeitnehmer oder eine selbständige Erwerbstätigkeit komme aber "häufig nicht zustande". Probleme stellten oft die "schlechte Bildungs- und Ausbildungssituation sowie fehlende oder mangelhafte Sprachkenntnisse" dar. Zudem erschwerten die "sozialisationsbedingten Erfahrungshorizonte" eine Integration. Die Kommunen müssen Notunterkünfte, medizinische Grundversorgung und soziale Leistungen bereitstellen, fühlen sich aber von Bund und EU alleingelassen.

Friedrich hat darin ein schönes Thema für sich entdeckt, das er, etwas vereinfacht formuliert, so lösen will: Raus mit ihnen und zurück in die Herkunftsländer. Das klingt entschieden und anpackend und nicht mehr zögernd und zaudernd.

Ende März formulierte er gemeinsam mit seinen Innenminister-Kollegen aus Österreich, den Niederlanden und Großbritannien einen Brief an die EU-Kommission. "Diese Einwanderer bedienen sich der Möglichkeiten, die ihnen die europäische Freizügigkeit bietet, ohne aber die Voraussetzungen zu erfüllen, um dieses Recht auszuüben", hieß es dort. Viele Zuwanderer würden außerdem Sozialleistungen beantragen, "oftmals ohne darauf wirklich ein Recht zu haben".

Die Forderung an die EU-Kommissare ist eindeutig: Sie sollen Möglichkeiten schaffen, diese Menschen schnell und dauerhaft wieder loswerden zu können.

Armutszuwanderung offiziell kein Problem

Die Kommission hat jetzt geantwortet, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung erfahren hat. Der Brief muss sich lesen wie eine Abrechnung mit Leuten, die es sich eine Spur zu einfach machen wollen.

Zunächst verlangen die zuständigen EU-Kommissare Viviane Reding (Justiz), László Andor (Arbeit) Cecilia Malmström (Inneres) von Friedrich und seinen Amtskollegen eine klare Datengrundlage für die Behauptung, es gebe in einem relevanten Ausmaß Sozialmissbrauch. Gesichert sind tatsächlich nur die Zuzugsbewegungen. Nicht aber, ob und wie viele dieser Personen in den sozialen Sicherungssystemen landen. In der Kommission gibt es Zweifel, dass das Problem überhaupt eines mit größeren Ausmaßen ist.

Die Kommissare stellen laut FAZ überdies klar, dass es bereits heute möglich ist, ein Wiedereinreiseverbot gegen EU-Bürger zu verhängen, die sich strafbar machen. Voraussetzung sei allerdings eine Einzelfallprüfung. Ganzen Gruppen nach einer Ausweisung die Wiedereinreise zu verbieten, widerspreche dem elementaren Freizügigkeitsgedanken in der EU. Das Recht auf Freizügigkeit sei ein "Eckpfeiler" der Europäischen Union. Es dürfe auf keinen Fall eingeschränkt werden, maßregeln die Kommissare die Herren Innenminister. Das können diese ihren Kollegen kommende Woche auch noch einmal persönlich erklären. Dann beschäftigen sich die EU-Innenminister mit dem Thema Armutszuwanderung.

Integration statt Abschottung

Es wäre wahrscheinlich angebracht, dort auch die Städte und Kommunen anzuhören. Anders als Innenminister Friedrich nämlich setzen diese, die ja die Probleme vor Ort bewältigen müssen, nicht auf Abschottung. Sie fordern vielmehr ein "koordiniertes Zusammenwirken von Bund, Ländern, europäischer Ebene und anderen relevanten Akteuren" um "Gelingensbedingungen von Integration" zu definieren.

Dazu gehört übrigens auch, dass Armutszuwanderung grundsätzlich von der EU als Problem auch offiziell anerkannt wird. Unabhängig von ihrem Umfang. Flucht vor sozialer Not und der Umgang damit ist im EU-Recht bisher nicht geregelt.

Integrieren statt ausweisen - damit hat die EU recht gute Erfahrungen gemacht. Die Wirtschaftskraft der 15 ältesten Mitgliedsstaaten sei dank der Freizügigkeitsregeln zwischen 2004 und 2009 nachhaltig um ein Prozent gestiegen, argumentieren die EU-Kommissare. Im Wahlkampf aber scheinen Friedrich solche Argumente eher zu stören.

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