Süddeutsche Zeitung

Journalisten-Akkreditierung beim NSU-Prozess:Bundesregierung ermahnt Münchner Richter

Der Streit um das Akkreditierungsverfahren zum NSU-Prozess in München beschäftigt inzwischen sogar die Bundesregierung. Sie verlangt eine bessere Berücksichtigung türkischer Interessen. Regierungssprecher Seibert sagte, man hoffe auf einen sensiblen Umgang mit dem Medieninteresse. Noch schärfere Töne kommen vom Verein der ausländischen Presse in Deutschland.

Nun hat sich auch die Bundesregierung in den Streit um die Vergabe der Plätze im NSU-Prozess eingeschaltet. Sie fordert eine bessere Berücksichtigung der türkischen Interessen. Man habe Verständnis dafür, dass das Interesse der türkischen Medien an dem Verfahren groß sei, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Die Hoffnung muss sein, dass mit diesem Medieninteresse auch sensibel umgegangen wird."

Ein Außenamtssprecher sagte: "Es wäre schön, wenn bei einer Angelegenheit, die völlig offensichtlich auch die türkische Öffentlichkeit und die Menschen türkischer Abstammung in Deutschland und in der Türkei interessiert, die Möglichkeit bestünde, dass Vertreter der Medien darüber angemessen berichten können." Wie und auf welche Weise das geschehen könne, ließ er offen.

Beim NSU-Prozess, der Mitte April im Schwurgerichtssaal A 101 des Münchner Strafjustizzentrums beginnt, sind nur 50 Plätze für Journalisten reserviert. Viel zu wenig, um das gewaltige Medieninteresse abzudecken. Weil das Oberlandesgericht die Akkreditierungswünsche der Journalisten strikt in der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet hat, kann kein einziger türkischer oder griechischer Journalist den Prozess im Saal verfolgen. Und das, obwohl neun der zehn Opfer der Neonazi-Bande türkischer- oder griechischer Abstammung waren. Türkische Vertreter, Journalistenverbände und Politiker fordern deshalb eine Korrektur des Verfahrens.

Der Chefkorrespondent der Zeitung Hürriyet, Achmed Kühlaci, plädierte im Bayerischen Rundfunk für "mehr Sensibilität und Flexibilität" des Gerichts bei der Zulassung von Journalisten. Von deutschen Kollegen habe er "mehr Solidarität bekommen als von den deutschen Justizbehörden", sagte Kühlaci. Er habe Verständnis dafür, dass es Bestimmungen gebe, "aber auch eine Justizbehörde sollte in dieser Sache großzügig sein".

"Richter sollten ein Gespür für die Brisanz der Thematik haben"

"Es sieht so aus, als hätte man das Ganze wie einen Verwaltungsakt abgearbeitet", sagt Pascal Thibaut, der Vizechef des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland (VAP). Im Übrigen könne er nicht beurteilen, "inwiefern diese Anmeldegeschichte von ahnungslosen Justizbeamten bearbeitet wurde oder von den Richtern selbst. Die Richter sollten auf alle Fälle ein Gespür für die Brisanz der Thematik haben", sagte Thibaut.

Das Vorgehen des Gerichts, die Plätze in der Reihenfolge der Anfragen zu vergeben, ist formal korrekt. Auch ein Losverfahren wäre möglich gewesen. Eine Videoübertragung wird in München bisher abgelehnt, mit Verweis auf das Gerichtsverfassungsgesetz, das "Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung" verbietet. Das Gericht will den Anwälten der NSU-Mitglieder keinesfalls einen Revisionsgrund liefern, so wird in München argumentiert. Ob eine Übertragung in einen anderen Gerichtssaal allerdings eine öffentliche Vorführung wäre, ist umstritten.

"Natürlich hat das Gericht nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz gehandelt und formal alles richtig gemacht", sagt auch Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. "Hier geht es aber nicht um Prinzipienreiterei, sondern darum, Berichterstattung in den Herkunftsländern der Opfer zu ermöglichen." Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter beklagt eine geringe Sensibilität des Gerichtes und rät dazu, nicht starr bei dem ablehnenden Beschluss zu bleiben.

Dazu rät auch Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. , Sie hält es "für unverzichtbar, dass türkische und griechische Medienvertreter bei der Platzvergabe für den NSU-Prozess berücksichtigt werden". Bei dem Prozess "schaut die ganze Welt auf Deutschland". Offenheit und Transparenz bei der juristischen Aufarbeitung der Morde der Terrorzelle NSU lägen daher im eigenen Interesse des Gerichts. "Bei Prozessen mit ähnlich großem Medieninteresse wurden in den vergangenen Jahren durchaus Lösungen gefunden", so Böhmer.

Ein Beispiel ist dabei der Kachelmann-Prozess in Mannheim. Auch dort gab es ein gewaltiges Interesse der Journalisten und die Plätze im Gericht reichten nicht aus. Weil sich auch viele Schweizer Medien Interesse bekundet hatten - Kachelmann hat die Schweizer Staatsbürgerschaft - wurden mehrere "Töpfe" gebildet, um die verschiedenen Gruppen von Journalisten zu berücksichtigen. Genauso hätten beim NSU-Prozess getrennte Plätze-Kontingente für deutsche und ausländische Medien vergeben werden können.

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