Süddeutsche Zeitung

Türkei im Streit mit Israel:Türkische Flottenpläne irritieren Israels Regierung

Der türkische Ministerpräsident Erdogan will Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen künftig von Kriegsschiffen sichern lassen - und droht Israel mit einer "angemessenen Antwort", sollten diese angegriffen werden. Israel reagiert zurückhaltend. Man wolle den Streit nicht zusätzlich anheizen.

Im Streit mit Israel um die Gaza-Hilfsflotte hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Ton verschärft. Künftig würden türkische Hilfslieferungen in das Palästinensergebiet unter den Schutz von Kriegsschiffen gestellt, sagte er dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira.

"Wir haben humanitäre Hilfe, die dorthin geschickt werden soll. Und unsere humanitäre Hilfe wird nicht mehr angegriffen, wie es bei der Mavi Marmara geschehen ist", erklärte Erdogan mit Blick auf einen israelischen Militäreinsatz gegen das türkische Gaza-Hilfsschiff, bei dem im vergangenen Jahr neun türkische Aktivisten getötet worden waren. Niemand habe das Recht, Schiffe in internationalen Gewässern anzugreifen. Bei einem erneuten Angriff müsse Israel mit einer "angemessenen Antwort" rechnen, sagte Erdogan.

Israel bezeichnete die Ankündigung der Türkei als "schlimm und schwierig". Man wolle aber den Streit "nicht zusätzlich anheizen", teilte Geheimdienstminister Dan Meridor dem israelischen Armeeradio mit. "Es ist besser, zu schweigen und abzuwarten. Wir haben kein Interesse daran, die Situation durch (verbale) Angriffe zu verschärfen." Zugleich sagte der Geheimdienstminister, die Türkei würde Völkerrecht verletzen, sollte sie versuchen, die israelische Seeblockade zu durchbrechen. Schließlich habe ein UN-Bericht die Blockade als legitim anerkannt.

Einem israelischen Medienbericht zufolge aber soll der rechtsgerichtete Außenminister Avigdor Lieberman scharfe Reaktionen vorbereiten. Offiziell wollte das Außenministerium in Jerusalem Erdogans Worte nicht kommentieren. Die Zeitung Jediot Achronot aber schreibt unter Berufung auf Informationen aus dem Außenministerium, der rechtsgerichtete Lieberman erwäge Treffen mit Vertretern der armenischen Lobby in den USA.

Dabei könne es darum gehen, wie Israel das Bestreben der Armenier unterstützen könne, den Tod von geschätzten 1,5 Millionen Armeniern unter dem Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs zum Völkermord erklären zu lassen. Dies wäre für die Türkei, die einen Völkermord an den Armeniern bestreitet, ein sehr empfindlicher Punkt.

Außerdem plane Lieberman Treffen mit Führern der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Europa, bei denen diese Israel um Militärhilfe gegen die Türken bitten könnten. Auch dies dürfte in der Türkei große Empörung auslösen. Israel könne auch eine internationale Kampagne gegen die Türkei wegen der Unterdrückung von Minderheiten starten. "Wir werden einen Preis von Erdogan einfordern, der es ihm klar machen wird, dass es sich nicht lohnt, Israel vorführen zu wollen", wurde Liebermann zitiert. "Die Türkei täte gut daran, uns mit Respekt und normalem Anstand zu behandeln", habe der Chef der ultranationalistischen Koalitionspartei "Beitenu Israel" (Unser Haus Israel) hinzugefügt.

Die Nachrichtenagentur AFP hatte zuvor bereits einen ranghohen israelischen Regierungsvertreter zitiert, der die türkischen Flottenpläne als "sehr schwere Provokation" einstufte. Allerdings sei es "angesichts der Verpflichtungen der Türkei gegenüber der Nato sehr schwer vorstellbar, dass die Türkei so weit gehen würde", fügte er hinzu.

Türkei will internationale Gewässer beobachten

Erdogan hatte außerdem angekündigt, die Türkei werde die internationalen Gewässer genau beobachten und Schritte unternehmen, um eine einseitige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im östlichen Mittelmeer durch Israel zu unterbinden, sagte der türkische Regierungschef weiter, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Israel hatte im Juli angekündigt, von den Vereinten Nationen eine exklusive Wirtschaftszone in einem Gebiet des Mittelmeers zugesprochen bekommen zu wollen. Darin liegen Gasvorräte, die auch der Libanon für sich beansprucht.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel sind seit dem Einsatz auf der Mavi Marmara am 31. Mai 2010 schwer belastet. Israel hatte den Verlust von Menschenleben zwar bedauert, die von Ankara geforderte förmliche Entschuldigung aber abgelehnt. Als Begründung wurde angeführt, dass die israelischen Elitesoldaten beim Entern des Schiffes zur Selbstverteidigung Gewalt hätten anwenden müssen.

Für zusätzliche Spannungen hatte in der vergangenen Woche das Bekanntwerden eines UN-Berichts gesorgt, in dem Israel zwar "unverhältnismäßige" und "exzessive" Gewalt bei dem Einsatz vorgeworfen, die Seeblockade des Gaza-Streifens und ihre notfalls auch gewaltsame Durchsetzung generell aber als rechtens dargestellt wird. Die Türkei hatte daraufhin am vergangenen Freitag den israelischen Botschafter ausgewiesen und alle Militärabkommen mit Israel auf Eis gelegt.

Netanjahu lobt Soldaten für Einsatz auf der "Mavi Marmara"

Erdogan sagte außerdem, die türkische Marine werde sich ab sofort "sehr häufig" im östlichen Mittelmeer zeigen und warf Israel vor, sich wie ein "verzogenes Kind" aufgeführt und "Staatsterror" betrieben zu haben. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach sich daraufhin zwar für eine "Verbesserung" des Verhältnisses beider Staaten aus. Bei einer Rede vor Soldaten der israelischen Marine in Haifa lobte er aber zugleich diejenigen, die an dem Angriff auf die Mavi Marmara beteiligt waren.

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