Streit mit der Türkei:Stark gegen den Präsidenten

Streit mit der Türkei: Größer als der Einfluss der deutschen Politik auf Erdoğan sind ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die Türken in Deutschland.

Größer als der Einfluss der deutschen Politik auf Erdoğan sind ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die Türken in Deutschland.

(Foto: AFP)

Weder Appeasement noch Keilerei: Deutschland muss in seiner Reaktion auf die Provokationen Erdoğans den richtigen Weg finden.

Kommentar von Heribert Prantl

Auf den groben Klotz gehört ein grober Keil, heißt es. Wenn man diesem Motto folgt, wird daraus schnell eine Keilerei. Der türkische Präsident legt es darauf an: Er agitiert, er intrigiert, er provoziert. Darauf muss Deutschland nicht mit Agitieren und Provozieren antworten, aber mit entschlossener Klarheit. Es ist dies der Weg zwischen Appeasement und Keilerei. Eine Zeit lang war man zu nachgiebig.

Es ist das Wesen der Autokraten, dass sie sich wie Halbstarke gebärden. Man muss darauf stark reagieren, nicht halbstark; stark heißt: differenziert, pointiert und konzentriert. Es gibt Äußerungen Erdoğans, die keinerlei Beachtung verdienen, weil man sie damit nur aufwertet - wie die Ungehörigkeiten gegenüber dem deutschen Außenminister. Und es gibt Aktionen Erdoğans, die verlangen nach scharfer Reaktion - so die Verhaftung deutscher Staatsbürger aus politischen Gründen.

Erdoğan mischt sich in dreister Weise in den deutschen Wahlkampf ein, er fordert die Deutschen mit türkischen Wurzeln auf, weder CDU noch SPD noch Grüne zu wählen. Erdoğan droht, er wütet, er fuhrwerkt. Erdoğan versucht, die deutschen Moscheegemeinden in den Griff zu nehmen. Erdoğan wirft Kritiker in der Türkei zu Tausenden ins Gefängnis und er will ihrer auch noch im Ausland habhaft werden; er spannt dafür Interpol ein, wie jetzt im Fall des Schriftstellers Doğan Akhanlı. Gelänge es Erdoğan, Leute wie Akhanlı an die Türkei ausliefern zu lassen - es wäre dies für ihn ein Triumph sondergleichen und eine Niederlage sondergleichen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Die Werbung für eine bessere Türkei beginnt in Deutschland

Es ist schlimm genug, dass der Arm Erdoğans via Interpol so weit reichte, Gegner in Spanien verhaften zu lassen. Es wäre eine einschüchternde Machtdemonstration, wenn es ihm auch noch gelänge, sie in die Türkei verbringen zu lassen. Er würde so seinen Gegnern zeigen: Ihr seid nirgends vor mir sicher! Für solche Hilfestellung bei autokratischer Hybris ist Interpol nicht gegründet worden. Interpol ist dafür da, dass nationale Haftbefehle international ausgeschrieben und Straftäter auf diese Weise in der ganzen Welt ergriffen werden können. Interpol ist keine politische Polizei; Interpol muss deshalb nationale Haftbefehle künftig sorgfältiger prüfen, bevor sie diese mit "red notice" an die nationalen Polizei-Verbindungsstellen verteilt. Es ist ein Systemfehler, wenn via Interpol Menschenrechte unterdrückt werden können. Dieser Systemfehler muss korrigiert werden. Es ist daher gut, dass die spanische Justiz den Schriftsteller Doğan Akhanlı umgehend aus der Haft entlassen hat, wenn auch unter Auflagen. Es wäre noch besser, wenn die spanische Justiz jetzt auch umgehend erklärte, dass sie dem türkischen Auslieferungsbegehren keine Folge leistet - und Doğan Akhanlı also ein freier Mann sei. Am allerbesten wäre es, wenn (mit wirtschaftlichem Druck zum Beispiel) auch erreicht werden könnte, dass die in der Türkei verhafteten deutschen Staatsbürger, Deniz Yücel und andere, endlich freikommen.

In der Türkei arbeitet, anders als in Spanien, keine rechtsstaatliche Justiz. Erdoğan hat die dritte Gewalt seiner Gewalt unterstellt. Er hat die unabhängige Justiz abhängig gemacht. Er tut dies, um einem Machtverlust vorzubeugen. Er tut dies, weil er wohl merkt, dass er den Zenit seiner Macht überschritten hat.

Größer als die Einwirkungsmöglichkeiten der deutschen Politik auf Erdoğan sind ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die Türken in Deutschland. Einem Teil von ihnen ist das Treiben Erdoğans peinlich; ein anderer Teil lässt sich von Erdoğan mitreißen, von seinen Hymnen auf den türkischen Stolz und seinem Unterfangen, sich als Person mit der Türkei gleichzusetzen. Die Werbung für eine wieder rechtsstaatliche Türkei beginnt daher in Deutschland.

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