Streit in der Union:"Selten hat mich etwas so schockiert"

Der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer hat die Herzog-Vorschläge heftig kritisiert. Angela Merkel, die sich verwundert über diese Reaktion zeigte, kündigte an, mit Seehofer "darüber noch ein ruhiges Wort zu reden". Heute diskutiert der Unions-Vorstand erstmals über die Reformpläne.

Nach ihrer Festlegung auf die umstrittenen Vorschläge der Herzog-Kommission zur Reform der Sozialsysteme wird CDU-Chefin Angela Merkel die Ideen erstmals mit dem Parteivorstand und Präsidium diskutieren.

Das Herzog-Konzept sieht unter anderem vor, dass alle Versicherten unabhängig vom Einkommen einen gleichen Beitrag beispielsweise zur Krankenversicherung zahlen.

Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland will der CDU-Arbeitnehmerflügel ein detailliertes Gegenkonzept zu den Herzog-Vorschlägen vorlegen.

Bei dem Treffen am Vormittag wird der Vorstand voraussichtlich auch über das in der Union heftig umstrittene Vorziehen der Steuerreform diskutieren.

Zuvor hatte vor allem der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer die Vorschläge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung massiv kritisiert. Er sagte: "Selten hat mich etwas so schockiert wie diese Vorschläge."

Merkel verteidigte in der ZDF-Sendung Berlin direkt am Sonntagabend ihre Zustimmung zu den Herzog-Plänen. Die Grundzüge seien richtig, "über Einzelheiten werden wir natürlich debattieren". "Ich bin verwundert, dass Horst Seehofer schockiert ist." Sie werde mit Seehofer "darüber noch ein ruhiges Wort reden".

Im Streit um das Vorziehen der nächsten Steuerreformstufe von 2005 auf 2004 hält Merkel eine teilweise Finanzierung über Schulden für möglich. "Ich denke, die Diskussion über einen gewissen Korridor, die ist ganz hilfreich", sagte sie im ZDF. Eine Entscheidung könne es aber frühestens nach der Steuerschätzung im November geben.

Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) rechnet mit einer intensiven Debatte. Er glaube aber, dass sich Seehofers Vorstellungen am Ende nicht durchsetzten, so Müller.

Sein Eindruck sei, "dass die Grundlinie der Herzog-Kommission eine ganz breite Zustimmung in der CDU hat", sagte Müller am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Er sei überzeugt, dass Vorstand und Präsidium heute die Grundlinien beschließen würden, um sie dann zur Grundlage der weiteren Diskussion zu machen.

"Wir sind keine Kommandowirtschaft"

CDU-Vize Annette Schavan verteidigte Merkels Forderung nach mehr Leistungsgerechtigkeit. Gleichzeitig forderte sie in der Stuttgarter Zeitung eine offene Diskussion über die Reformpläne: "Wir sind keine Kommandowirtschaft, wir sind eine Volkspartei, die Sachdebatten führen muss."

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat ein schuldenfinanziertes Vorziehen der Steuerreform am Wochenende erneut abgelehnt. Koch sprach sich vor Beginn der Präsidiumssitzung für eine intensive Programmdebatte aus. Ob die Herzog-Pläne über Steuern oder innerhalb der Sozialsysteme zu finanzieren seien, müsse debattiert werden.

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz meinte, es sei wichtig, dass mit der Sicherung der Sozialsysteme ernst gemacht werde. "Heute ist der Anfang vom Ende der Sozialdemokratisierung der CDU", sagte er. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sprach von einer tragfähigen Grundlage, an der es bis zum CDU-Parteitag Anfang Dezember noch Änderungen geben werde.

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sieht nur geringen Nachbesserungsbedarf beim Herzog-Konzept. Die Hauptdiskussion werde darum gehen, "wie können wir es hinbekommen, dass die Kleinverdiener die Beträge in unseren Prämiensystemen tragen können", sagte Meyer am Montag im ARD-Morgenmagazin. Der soziale Ausgleich müsse über die Steuer geschehen.

Es gehe darum, eine Systemveränderung zu schaffen, bei der die Versicherungsbeiträge von den Löhnen abkoppelt werden und trotzdem die soziale Ausgewogenheit erhalten bleibt.

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, warnte die Union vor einer Verzögerungstaktik. "Aus Sicht der Wirtschaft sind wir in einer Spirale nach unten. Die Maßnahmen, die jetzt auf dem Tisch des Bundestags und des Bundesrates liegen, sind geeignet, sie aufzuhalten", sagte er dem Tagesspiegel.

(sueddeutsche.de/dpa)

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