Streit in der Union:Seehofer kann nörgeln - gewinnen kann er nicht

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Horst Seehofer mag laut sein, gewinnen kann er nicht. (Foto: dpa)

Der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer setzt beiden Unionsparteien zu. Sie werden deshalb bald nachgeben müssen.

Kommentar von Kurt Kister

Horst Seehofer leidet wirklich unter dem Dilemma, in dem er und seine Partei stecken. Er sieht so grau aus, dass dies nicht nur eine Folge körperlicher Unpässlichkeit sein kann. Sein Vertrauensverhältnis zu Angela Merkel ist dahin, umgekehrt gilt dies genauso. Wenn er sagt, er halte das alles nicht mehr "unendlich lange" aus, dann bedeutet dies, dass es noch in der ersten Hälfte dieses Jahres zu schweren Verwerfungen, gar zum Bruch kommen kann.

Einerseits ist Seehofer beim wichtigsten deutschen Thema der prominenteste Oppositionspolitiker. Wenn Seehofer die "Fehler der Bundesregierung" aufzählt oder gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin wettert, dann bewegt dies mehr Leute, als wenn das irgendein AfD-Mensch tut, oder die üblichen Verdächtigen aus der Linkspartei, von den Grünen oder vom irgendwie linken Flügel der SPD Aspekte dieser Flüchtlingspolitik kritisieren. Andererseits aber trägt Seehofers CSU die Regierung nicht nur als Koalitionspartner mit, sondern CDU und CSU bilden eine Fraktionsgemeinschaft. Sie sind, politisch gesehen, ein Fleisch.

In Bayern ist die CSU ein Riese, im Bund ist sie fast Splitterpartei

Für das in Richtung Krise schrammende Zerwürfnis gibt es mindestens zwei Lösungsansätze. Der erste solche Ansatz ist der wahrscheinliche: Die Kanzlerin wird unter ständigem Genörgel der CSU bis Mitte März versuchen, in der EU doch noch eine Kontingent-Lösung hinzukriegen. Gleichzeitig wird sie die Türkei, die sich immer mehr zum Erdoğan-Sultanat entwickelt, mit Geld und guten Worten bedrängen, den Strom der Flüchtlinge zu verringern. Und möglicherweise wird sie auch einer CSU-Lieblingsforderung, nämlich verstärkte Grenzkontrollen durch die bayerische Polizei, zustimmen.

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Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Wenn es gut geht, zeigt dies alles bis zu den Landtagswahlen im März Wirkung, was bedeuten würde, dass sich eine Verringerung der Migrantenzahl abzeichnet. Ist dies nicht der Fall, wird die Union mutmaßlich in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt siegreiche Niederlagen einfahren. Die CDU wird zwar möglicherweise eine rot-grüne und eine grün-rote Regierung ablösen, aber die AfD wird dann überall mehr oder weniger stark in den Landtagen sitzen.

Sollten diese Ergebnisse Hand in Hand mit weiterhin hohen Flüchtlingszahlen gehen, wird auch Merkel eine Kursänderung vornehmen. Unter dem Verweis darauf, dass in Europa kein Konsens zu erreichen ist, und dass die "Ausnahmesituation" nicht perpetuiert werden kann, wird es dann auch in Deutschland "vorübergehende" Grenzschließungen geben sowie andere Maßnahmen, die in der Debatte sind: ein besonderer Schutzstatus für Kriegsflüchtlinge, Abweisung anderer Migranten, eine Begrenzung des Familiennachzugs etc. Angela Merkel weiß auch, dass 2016 rein zeitlich eine Obergrenze für die bisher liberale Flüchtlingspolitik existiert. Sollte es so kommen, werden die Das-habe-ich-schon-immer-gesagt-Menschen halbwegs zufrieden sein.

Die zweite Möglichkeit ist eine radikale Prozedur. Weil Seehofer nicht nur leidet, sondern auch ein großer Rechthaber ist, glaubt er wie alle großen Rechthaber, dass genau er "das Volk" repräsentiere. Dazu gehören seine dunklen Andeutungen über "gravierende Konsequenzen", die im Fall der Fälle zu ziehen wären. Die Wahrheit aber ist: CDU und SPD brauchen die CSU nicht zum Regieren. 56 CSU-Abgeordnete sitzen im Bundestag; bei der CDU sind es 254 und bei der SPD 193.

Die CSU wäre die kleinste Fraktion im Parlament; sie wäre schwächer als die Linke oder die Grünen. Die CSU, in Bayern ein Riese, ist im Bund fast Splitterpartei. Und weil Konspirationisten über Misstrauensvoten, Schäuble als Übergangskanzler und Ähnliches sinnieren: Trotz aller interner Konflikte wird die CDU Merkel nicht stürzen, die SPD würde dabei nicht helfen und die CSU kann es nicht. An Neuwahlen hat außer der AfD niemand Interesse.

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Seehofer und Merkel können kein Interesse an einer Absplitterung haben

In gewisser Weise ist die CSU ein Überbleibsel alter westdeutscher Verhältnisse. Sie ist eine reine Ein-Bundesland-Regionalpartei; sie spricht nicht einmal einen Teil des Lebensgefühls in mehreren Bundesländern so an, wie das die Linkspartei immer noch im Osten tut. Bei einer bundesweiten Ausdehnung der CSU gewönne sie nicht viele Blumentöpfe. Gründete die CDU dagegen in Bayern einen Landesverband, würde das auch das Ende der absoluten Mehrheit der CSU bedeuten.

Horst Seehofer kann an solchen Szenarien kein Interesse haben, Merkel übrigens auch nicht. Dennoch wird wohl bis zu den Landtagswahlen der Schwesterkampf zwischen CSU und CDU anhalten. Spätestens dann aber müssen sowohl Seehofer als auch Merkel nachgeben. Tun sie es nicht, sollten sie zur Erbauung und Warnung die Geschichte der italienischen Democrazia Cristiana nachlesen.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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