Streit in der Piratenpartei:Wie viel Freak darf sein?

Eineinhalb Rücktritte, viel Streit und noch mehr unterschiedliche Standpunkte: Die Piraten sind in Aufruhr und müssen wichtige Richtungsentscheidungen treffen - inhaltlich und personell. Hinter allem steht die Frage: Will die Partei provozieren oder vermitteln?

Hannah Beitzer

Piratenpartei schlingert ins Chaos

Partei in der Krise: Spitzenpiratin Julia Schramm ist am Freitag zurückgetreten, Matthias Schrade ist womöglich kurz davor.

(Foto: dapd)

Es war ein großer Knall, selbst für die skandalerprobten Piraten: Am Freitag traten gleich zwei Mitglieder des neunköpfigen Bundesvorstands der Partei zurück. Naja, eigentlich eher eineinhalb - denn nur Buchautorin Julia Schramm verkündigte endgültig ihren Rückzug. Beisitzer Matthias Schrade hingegen stellte seine Parteifreunde vor die Wahl: Entweder geht der umstrittene politische Geschäftsführer Johannes Ponader. Oder er.

Die Piraten sind in Aufruhr. Auf den verschiedensten Plattformen beklagen, schimpfen, rätseln und beschwichtigen sie. Spätestens am gestrigen Freitag scheint auf einmal allen klar geworden zu sein, dass es so nicht weitergehen kann. Die Partei ist an einem Punkt angekommen, an dem sie Richtungsentscheidungen treffen muss - inhaltlich und personell. Und vieles, auf das es jetzt ankommt, lässt sich aus den Gründen für die beiden Rücktritte herauslesen.

Da ist zunächst der Rückzug von Julia Schramm. Bei ihr sprach Bernd Schlömer gegenüber der Presse von "persönlichen Gründen", die sie zum Aufhören bewegten. Und in der Tat hat das Scheitern Julia Schramms an der Parteispitze viel mit ihrer Persönlichkeit zu tun. Dass die 27-jährige Buchautorin provoziert, wo sie auftritt, dass sie oft extreme Meinungen vertritt und sie noch dazu - wie ihr viele vorwerfen - häufig ändert, ist das dabei nur das Eine.

Denn Schramm ist nicht nur in ihren Meinungen radikal - sie ist es auch in der Art und Weise, wie sie sich bedingungslos in alles hineinwirft: neue Diskurse, neue Projekte, die Politik im Allgemeinen. Wer Schramm einmal in Diskussionen erlebt hat, weiß: Sie gibt alles, schont weder sich noch andere, sie ist auf eine laute und auffällige Weise präsent, lässt sich intensiv ein auf alles, was sie macht. Sei es nun Zeitungsinterviews, Auseinandersetzungen mit Andersgesinnten oder eben zuletzt ihr Buch "Klick mich - Bekenntnisse einer Internetexhibitionistin".

Politiker ohne Schutzpanzer leben gefährlich

Menschen wie Schramm sind in den vordersten Reihen der Politik immer gefährdet, weil sie mehr Angriffsfläche bieten als Menschen, die - wie man so schön sagt - "professionell" agieren, sich also für die Politik einen Schutzpanzer zulegen. Auf derart inhaltlich und emotional ungefilterte Auftritte wie die von Julia Schramm reagiert auch das Gegenüber ungefiltert. Unterstützer werden so zu Fans, Kritiker zu Feinden. Beide Gruppen unterscheiden dabei nicht zwischen der Politikerin Schramm und der Privatperson, genau wie Schramm selbst diese Unterscheidung verweigert. Dennoch ist es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sehr Julia Schramm die vielen Angriffe unter der Gürtellinie, denen sie seit Längerem ausgesetzt ist, zu schaffen machen.

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Julia Schramm musste viel einstecken - denn sie provozierte gern mit ihren Auftritten und vertrat extreme Meinungen.

(Foto: dapd)

Ganz anders liegt der Fall bei Matthias Schrade. Ihm darf man getrost ein dickes Fell unterstellen. Er ist einer, der unbeirrt immer weiter macht und Rückschläge zumindest äußerlich schnell verdaut - etwa die Tatsache, dass er es trotz unermüdlichem Engagements für die Partei in Baden-Württemberg nicht auf einen der aussichtsreichen Listenplätze für die Bundestagswahl geschafft hat. Schrade stellt in seinem halben Rücktritt die klassische Machtfrage: Er oder ich. Und dieses "Er oder ich" zwingt die Piraten in eine Richtungsentscheidung.

Nun sind Richtungsentscheidungen für eine junge Partei zunächst völlig normal. Mit jedem Programmpunkt, der zu den Kernthemen hinzukommt, wird klarer, wohin die Reise geht. Bedingungsloses Grundeinkommen - ja oder nein. Feminismus - ja oder nein. Euro-Rettungschirm - ja oder nein. Jede Entscheidung vergrätzt womöglich einen Teil der Mitglieder, die der Partei im vergangenen Jahr in Scharen zugelaufen sind.

Und so könnte man den Fall Schrade vs. Ponader leicht als inhaltliche Auseinandersetzung deuten: Ponader ist bei den Piraten der radikalste Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens, der selbstständige Unternehmer Schrade steht eher für den liberalen Flügel der Partei.

Doch die Wahrheit ist, dass sowohl Matthias Schrade als auch andere "liberale" Piraten wie zum Beispiel Parteivize Sebastian Nerz das Votum ihrer Partei für das bedingungslose Grundeinkommen im vergangenen Jahr ohne große Widerworte akzeptiert haben. Sie stört nicht, wofür Ponader inhaltlich steht - sondern wie er es präsentiert. Ponader hat zu Beginn seiner Amtszeit seine politischen Inhalte - ganz ähnlich wie Schramm - mit seinem persönlichen Schicksal, seinem Lebenslauf und seinen intimsten Erfahrungen verbunden. Darin ist er übrigens Julia Schramm ziemlich ähnlich.

Für viele seiner innerparteilichen und außerparteilichen Kritiker ist allein das Auftreten des politischen Geschäftsführers eine Provokation. Wie selbstverständlich er für sich einen alternativen Lebensstil proklamiert - auf Kosten der Steuerzahler! Dieser Schmarotzer! Taugenichts! Möchtegern-Künstler! Und dann auch noch diese bescheuerten Sandalen! Dieses Unbehagen verdichtete sich in der in ihrer Schlichtheit stammtischverdächtigen Aussage Bernd Schlömers, Ponader solle "mal arbeiten".

Typen statt stromlinienförmiger Menschen

Matthias Schrade

Matthias Schrade stellte seine Parteifreunde vor die Wahl: Entweder geht Ponader. Oder er.

(Foto: dpa)

Die Piraten gerieren sich gern als Partei der Nerds und Außenseiter, die keine stromlinienförmigen Politiker sind, sondern Typen. Dazu passt sowohl eine Marina Weisband, mit ihrer eher altertümlichen Kleidung, den verträumten Frisuren und der Sprache, die klingt, als sei sie fürs Theater gemacht. Oder auch einer wie Bruno Gert Kramm, der frisch gewählte Spitzenkandidat der Bayern, der in dem konservativen Bundesland allein durch seine bunt gefärbten Haare und seine verschiedensten Tätigkeiten für Bands der eher düsteren Sorte für Aufsehen sorgen wird.

Doch sowohl Weisband als auch Kramm sind bei aller Exzentrik keine Provokateure - sie sind Vermittler, Moderatoren. Keiner kann seinem Gegenüber die piratigen Ideale so lyrisch-idealistisch und voller Begeisterung nahe bringen wie Marina Weisband - selbst hartgesottene Gegner der Piraten werden in Gegenwart der 25-Jährigen in den pastellfarbenen Kostümen plötzlich zahm. Und Bruno Gert Kramm engagiert sich auf Podien, in Gesprächsrunden und in Vorträgen in einem der wichtigsten Kernfelder der Piraten: dem Urheberrecht. Seine Mitdiskutanten vor den Kopf zu stoßen, liegt ihm dabei fern. Der freundliche, stets lächelnde 45-jährige Ex-Grüne sucht den Ausgleich, die Gemeinsamkeiten - nicht die Konfrontation.

Davon ist Ponader meilenweit entfernt. Anders als Julia Schramm aber hat der politische Geschäftsführer nicht vor, aufzugeben. Die Fälle sind auch nur bedingt zu vergleichen: Schramm ist nach Meinung vieler Piraten mit dem Programm der Partei in Konflikt geraten, als sie ihr Buch bei einem großen Verlag veröffentlicht und dafür auch noch gerüchteweise einen hohen Vorschuss erzielt hat. Ponaders Kampagne gegen Hartz IV und für ein bedingungsloses Grundeinkommen hingegen ist vom Parteiprogramm zumindestens inhaltlich gedeckt. Bei dem Konflikt geht es allein um ihn, nicht ums Programm.

Die Piraten müssen sich also nun entscheiden: Wie viel Freak darf sein? Wollen wir provozieren - oder vermitteln? Der Ausgang dieses Machtkampfs ist dabei keinesfalls klar. Denn auch wenn die Gegner Ponaders im Moment lauter schreien und zudem die außerparteiliche Öffentlichkeit weitgehend auf ihrer Seite haben: In der Partei hat der politische Geschäftsführer zahlreiche Anhänger, um nicht zu sagen: Fans. Und die wollen Ponader genauso behalten, wie er ist.

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