Süddeutsche Zeitung

Streit der Weltgemeinschaft um Syrien-Konflikt:Syrer kämpfen - doch den Krieg führen andere

Die Lage scheint hoffnungslos: Syrien hat gleich drei Kriege parallel auszustehen. Im Inneren bekämpfen sich Diktator und Volk sowie Ethnien und Religionen. Außerhalb läuft das ganz große, geostrategische Kräftemessen. In Syrien wird längst ein Stellvertreterkrieg geführt: Washington und Europa gegen Moskau und Peking. Es ist eine absurde Wiederauflage der Logik des Kalten Krieges.

Tomas Avenarius

Wenn einer wie Kofi Annan das Handtuch wirft, muss die Lage wirklich hoffnungslos sein. Der Friedensnobelpreisträger ist bekannt für seine Engelsgeduld. Dennoch gesteht er ein, an seiner syrischen Mission gescheitert zu sein. Er beklagt, dass seine Vermittlungsversuche behindert wurden - von innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen.

Damit meint er zunächst das Regime von Staatschef Baschar al-Assad. Damaskus hat die Bedingungen des Sechs-Punkte-Plans nicht einen einzigen Tag lang erfüllen wollen. Und die Aufständischen selbst haben ihren Kampf gezielt von den Provinzen in die Großstädte Damaskus und Aleppo verlagert, um dort die Entscheidung zu erzwingen. Das war keine vertrauensbildende Maßnahme, sondern eine Manifestation ihres kriegerischen Willens.

Von den Konfliktparteien sollte im Syrien-Konflikt keiner Einsicht erwarten. Das Szenario ist offener als je zuvor. Die Rebellen haben inzwischen eine wirkliche Chance, Assad zu stürzen und sein Regime zu zerschlagen. Währenddessen hofft der immer stärker isoliert wirkende Herrscher, den Aufstand in Damaskus und Aleppo niederkartätschen zu können.

Die derzeitige Pattsituation am Boden ist aber nicht allein das Ergebnis der Stärke oder Schwäche der Kriegsparteien. Sie wird zunehmend durch Einmischung von außen erwirkt. Das hat Annan gesehen, auch deshalb hat er den Brocken hingeworfen.

Die Blockadehaltung der Russen und Chinesen im Sicherheitsrat ist immer wieder kritisiert worden - als zynische Realpolitik unter Inkaufnahme von inzwischen mindestens 20.000 toten Syrern. Annan wird allerdings auch nicht ohne Grund an eben jenem Tag seinen Rücktritt verkündet haben, an dem die USA ihre verstärkte Unterstützung der Aufständischen signalisierten - angeblich zwar nicht mit Waffen, aber dafür mit Aufklärung, Kommunikationsmitteln und Geld.

Am Ende ist das Ergebnis das gleiche: Die Rebellen werden gestärkt. Gleichzeitig füllen Moskau und Teheran Assads Bestände an Granaten und Patronen auf. In Syrien wird längst ein klassischer Stellvertreterkrieg geführt.

So finden inzwischen drei Kriege parallel statt. Zu Beginn stand der Kampf eines Diktators gegen den verarmten Teil seines Volks, das um Freiheit und Würde ringt. Das Familien-Regime tritt die Rechte der Syrer seit vier Jahrzehnten mit Füßen. Das Volk begann deswegen seinen friedlichen Aufstand, der nun zur bewaffneten Rebellion mutiert ist.

Der zweite Krieg wird zwischen Syriens Ethnien und Religionsgruppen geführt. Die Mehrheit der Sunniten - es sind noch lange nicht alle - stehen gegen die staatstragenden Minderheiten der Alawiten, Christen und Schiiten. Viele der Minderheitler aber verlieren das Vertrauen in das Alawiten-Regime als Hüter ihrer Interessen. Doch ein Seitenwechsel garantiert keine Sicherheit.

Auch wenn die Menschen in Aleppo und Damaskus betonen, dass die Religionsgemeinschaften früher bestens miteinander ausgekommen seien: Heute ist ein friedfertiges Szenario Wunschdenken. Der Hass wächst mit jedem einzelnen Toten. Der libanesische Bürgerkrieg hat gezeigt, wohin der Kampf der Sektierer führt: 15 Jahre währte das Massaker, heute ist das Land gescheitert, Parteien und Konfessionen schießen noch immer aufeinander.

Außerhalb von Syrien aber läuft das ganz große, das geostrategische Kräftemessen, dessen Ausgang über den Bürgerkrieg mitbestimmt wird. Washington und Europa stehen im Sicherheitsrat gegen Moskau und Peking, in einer absurden Wiederauflage der Logik des Kalten Krieges. Die schmutzige Arbeit machen die Saudis, Katarer und Türken, die sich mit den USA und Israel gegen die Möchtegern-Atommacht Iran in Position bringen. So blasen sie den sunnitisch-schiitischen Dauerkonflikt um die regionale Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten zum Faktor der Weltpolitik auf.

Diese kurzsichtige Syrien-Politik erinnert an einen anderen vergessenen Krieg: 1979 war die Rote Armee in den Satellitenstaat Afghanistan einmarschiert, und die Amerikaner beschlossen, die Sowjets am Hindukusch ausbluten zu lassen. Die Saudis unterzeichneten die Schecks, die Pakistaner brachten die Kalaschnikows und Panzerfäuste über die Grenze, die Gotteskrieger aus Kabul und Kandahar gaben ihr Leben als Kanonenfutter.

Ideologisch wurden sie aufgehetzt: Die Saudis bezahlten nicht nur für die Waffen, sie verankerten auch ihren radikalen Puristen-Islam in den Köpfen der Menschen, schickten Männer wie Osama bin Laden in chefideologischem Auftrag. Die Folgen wirken bis heute nach: Die wirtschaftlich marode UdSSR erlitt am Hindukusch den Todesstoß. Und die USA bezahlten mit dem 11. September. Afghanistan und der sogenannte Krieg gegen den Terror fesseln die USA und die Europäer bis heute. Und selbst die frommen Heuchler aus Saudi-Arabien haben verloren: Sie haben al-Qaida jetzt im eigenen Land.

Für die 23 Millionen Syrer zeichnet sich ein langer Leidensweg ab. Alle Elemente der vergangenen Desaster - Afghanistan, Libanon, zuletzt in Irak - finden sich wieder. Assad wird kämpfen bis zum Ende, die Zahl der Toten steigt. Immer mehr Dschihadisten aus Libyen, Tschetschenien oder Irak sickern ein. Im Gepäck tragen sie neben Munition und Plänen für den Bombenbau ihre engstirnige Scharia- und Kalifat-Ideologie. Die werden sie später verbreiten, notfalls mit Gewalt gegen ihre syrischen Mitstreiter.

Gleichzeitig zeigen sich Risse im innerethnischen Gebilde des Landes. Die syrischen Kurden sind gespalten - für und gegen den Assad-Staat. Aber beide Fraktionen träumen seit Jahrzehnten vom Kurdenstaat. Der Irak-Krieg hat ihnen 2003 die Blaupause geliefert: Wenn der Diktator fällt und kein neues System zu sehen ist, kann Autonomie als Vorstufe zum Staat durchgesetzt werden.

Mit einem syrischen Kurden-Rumpfstaat aber wären die Interessen der Türkei bedroht. Assad weiß das und spielt seine Kurden aus, indem er der türkisch-kurdischen Untergrundorganisation PKK in Syrien eine Basis gibt. Er will die Türken reizen. Ein Regionalkrieg könnte Assads letzte Chance sein, die eigene Macht zu retten. Auch an der syrisch-israelischen Grenze zeigt er sein Arsenal und droht mit Chemiewaffen.

Zehn Jahre nach dem Sturz Saddams, anderthalb Jahre nach Beginn der arabischen Rebellionen, nach Tahrir, Jemen und Libyen, sind es der Zynismus Assads und die kalte Realpolitik der Mächte, die den Nahen Osten dauerhaft zu einer Region des Unfriedens machen können. Die Syrer, die seit Monaten für ihre Rechte kämpfen, spielen da keine Rolle mehr.

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SZ vom 04.08.2012/rela
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