Streit bei den Linken:Gregor Gysis Vorstoß ins Reich der Sahra Wagenknecht

Gysi-Verabschiedung

Ein halbes Jahr geschwiegen - damit soll jetzt Schluss sein: Gregor Gysi bei seiner Verabschiedungsfeier im Bundestag am 14. Oktober.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Nachfolgerin Sahra Wagenknecht will Gregor Gysi die Europapolitik nicht abtreten, sie habe ihre Kompetenzen in dem Bereich seit Jahren unter Beweis gestellt.
  • Gysi stellte den Fraktionsvorstand vor die Wahl, ihn "zumindest in großen Zügen" für die Europapolitik verantwortlich zu machen - oder sicherzustellen, dass er pro Jahr "wenigstens sechs Reden im Bundestag halten" könne.
  • Andernfalls droht er seiner Partei damit, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Gregor Gysi sucht nach einer neuen Rolle im Bundestag, seine Nachfolgerin Sahra Wagenknecht aber will ihm die Europapolitik nicht abtreten. "Ich glaube, dass ich gerade im Bereich europäischer Wirtschafts- und Finanzpolitik meine Kompetenzen seit Jahren unter Beweis gestellt habe", sagte die Linken-Fraktionschefin im Bundestag am Mittwoch: "Die inhaltliche Richtungskompetenz hat die Fraktionsführung."

Als Finanzexpertin habe sie sich über Jahre mit der Euro-Krise oder der Lage in Griechenland befasst. Solche wichtigen Themen sollten auch künftig "von Leuten bearbeitet werden, die sich entsprechend eingearbeitet haben und die die Hintergründe kennen". Zudem gehöre es zu den Spielregeln, dass die Fraktionsführung für Kernthemen verantwortlich sei. "Dafür wählt man sie, dass sie bei Grundsatzfragen die Richtung vorgibt."

Wo ich bin, da ist vorn - so ist das zu verstehen, und es ist eine Kampfansage an Gregor Gysi. Der 68-Jährige hat sich vor einem halben Jahr von der Fraktionsspitze zurückgezogen. Nun kündigte er in einem Brief an den Fraktionsvorstand an, er habe seit seinem Rückzug keine einzige Rede mehr im Bundestag gehalten und wolle dies wieder ändern. Gysi stellte den Fraktionsvorstand ultimativ vor die Wahl, ihn "zumindest in großen Zügen" für die Europapolitik verantwortlich zu machen - oder sicherzustellen, dass er pro Jahr "wenigstens sechs Reden im Bundestag halten" könne, vorzugsweise als erster Redner nach einer Regierungserklärung.

Er warte auf Angebote, im April

Dieses Privileg steht den Oppositionsführern zu, weshalb Gysi klarstellte, es könne auch die Regierungserklärung einer Ministerin oder eines Ministers sein. Er warte auf Angebote, im April. Andernfalls, so gab er zu verstehen, werde er womöglich nicht mehr für den Bundestag kandidieren.

Für die Linke wäre das keine verlockende Aussicht. Bei den jüngsten Landtagswahlen schnitt die Partei aus eigener Sicht enttäuschend ab, verlor viele Stimmen von Arbeitern und Arbeitslosen an die AfD. Ohne den populären Gysi droht die Linke bei der Bundestagswahl 2017 gefährlich nah an die Fünf-Prozent-Hürde zu rutschen. Gysi wiederum, dem zum Politrentnertum das Talent zu fehlen scheint, will nach kurzem Rückzug in die Welt der Fachvorträge wieder mehr mitreden im Bundestag, auch inhaltlich.

Seine Nachfolger Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die in der Fraktion viele Jahre politisch über Kreuz lagen, halten zwar Waffenruhe. Nach Wahrnehmung vieler Parteifreunde aber gleicht sie immer stärker einer Friedhofsruhe. Spätestens seit der Flüchtlingskrise dringt die Linke kaum noch durch.

Gysi hat sich mit Wagenknecht erbittert über die Euro-Krise gestritten

Hier nun sieht sich Gysi berufen, und seinen Griff nach der Europapolitik darf man als wohl überlegten Vorstoß auf das Reich der Sahra Wagenknecht verstehen. Er wisse, dass er sich mit seinem Vorschlag "in gewisser Hinsicht in ein bestehendes Gehege" begebe, schrieb Gysi in seinem Brief an den Fraktionsvorstand. Was er nicht schrieb und alle wissen: Gysi hat sich mit der Finanzexpertin Wagenknecht erbittert über die Euro-Krise und die Europa-Skepsis in der Partei gestritten. Dass Wagenknecht ihm das Feld freiwillig überlassen würde, kann Gysi nicht erwartet haben. Er hat mit seinem Vorstoß also erst einmal Verhandlungsmasse geschaffen.

Nicht übertreiben

Am 2. Oktober 2015 hielt Gregor Gysi seine letzte Rede als Fraktionschef der Linken im Bundestag. Zu Beginn sagte er: "Los sind Sie mich noch nicht; denn ich bleibe ja im Bundestag. Aber ich werde dann deutlich seltener und auch zu anderen Anlässen reden. Ich muss schon deshalb aufhören, weil ich jetzt länger eine Abgeordnetengruppe beziehungsweise eine Fraktion leite als Herbert Wehner oder Wolfgang Mischnick. Da sagte ich mir: Gregor, nicht übertreiben!" sz

Das Schreiben habe sie "überrascht", sagte Wagenknecht am Mittwoch bei einem Pressefrühstück. Sie habe wie viele den Eindruck gehabt, Gysi sei "sehr zufrieden" seit dem Rückzug. Jeder freue sich, wenn er sich einbringe. Gleichzeitig wundere sie sich über den Wunsch, Aufgaben der Fraktionsspitze übernehmen zu wollen. "Ich habe Gregor Gysi wirklich nicht gedrängt. Ich hatte mich im letzten Jahr auf eine andere Perspektive eingestellt", sagte Wagenknecht. Nach einem Streit über die Griechenlandpolitik hatte sie 2015 erklärt, sie wolle keine Fraktionschefin werden. Auf Bitten von Genossen trat sie doch an.

Gysi soll nun bleiben, wo er ist, in der zweiten Reihe, so ist das zu verstehen. "Aber das Thema Europa ist vielfältig", sagte Wagenknecht. Es gebe gute Kontakte zu anderen linken Parteien in Europa und viele Termine, "die ich gar nicht wahrnehmen kann". Hier sehe sie durchaus noch unerledigte Aufgaben. Europafreund Gysi als fügsamer Emissär der Europa-Skeptikerin Wagenknecht? Dann vielleicht doch lieber eine Regelung, wonach Gysi hin und wieder nach wichtigen Reden von Ministern sprechen könne, gab die Fraktionschefin zu verstehen: "Wir werden über seine Vorstellungen mit ihm reden."

Ausgestanden ist die Sache nicht, auch beim Thema AfD brennt in der Linken die Luft. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte seine Partei vor zu viel Nähe zur AfD. Viele verstanden das als Spitze gegen Wagenknecht. Ihre Äußerungen zu Flüchtlingen, die bei Straftaten ihr "Gastrecht" verwirkten oder Armen in Deutschland Jobs wegnehmen könnten, haben Ärger verursacht. Ramelow hat das inzwischen zurechtgerückt. "Es war nicht als Kritik an Sahra Wagenknecht gemeint, sondern eher als Denkanstoß, wie die Linke in der aktuellen Situation an Profil gewinnen will", sagte sein Sprecher am Mittwoch. Es gibt jetzt Redebedarf in der Linken.

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