Streit bei den Grünen: Im Waziristan-Wahn

Trittin und Kretschmann

Jürgen Trittin (vorn) hält Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann für eine Art grünen Taliban. Das sorgt für Ärger.

(Foto: dpa)

Bei den Grünen braut sich ganz schön was zusammen. Die einen wollen Jürgen Trittins Wiederaufstieg verhindern, die anderen die gegenwärtige Führung absägen. Und dann sind da auch noch die Taliban in Baden-Württemberg.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Was der grüne Boris Palmer hat, das kann ihm so schnell keiner mehr nehmen: Den Job des Oberbürgermeisters der schwäbischen Stadt Tübingen. Mitten in "diesem Waziristan der Grünen", wie sich jüngst Jürgen Trittin ausdrückte. Zumindest schrieb das der Spiegel vergangene Woche so.

Palmer ist gerade für weitere acht Jahre wiedergewählt worden. Mit 61,7 Prozent. So läuft das in diesem Waziristan, dieser grünen Hölle Baden-Württemberg.

Wenn seine Amtszeit vorbei ist, hat er Tübingen so lange regiert wie Helmut Kohls Kanzlerschaft währte.

Auf Facebook hat Palmer eine Karte von seinem Waziristan eingestellt. Links der Schwarzwald. Rechts oberhalb der Mitte sein schönes Tübingen: "Large green voter movement registered" - große, grüne Wählerbewegung festgestellt. Auch eine Art sich aus der Provinz heraus über den großen Bundes-Jürgen lustig zu machen.

Das wahre Waziristan, hoch oben im Norden von Pakistan, ist das Rückzugsgebiet der afghanischen Taliban. Für ähnlich radikal hält Trittin offenbar einige Realos in seiner Partei, etwa zehn bis 15 Prozent. Palmer zählt er sicher auch dazu.

Flügelkämpfe wie lange nicht mehr

Seit diesem Vergleich brennt in der Partei mal wieder die Hütte. Der Realo-Flügel mobilisiert kräftig gegen Trittin. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, nannte den Vergleich im Gespräch mit Süddeutsche.de "geschmacklos".

Andere aus der Parteiführung forderten eine Entschuldigung Trittins.

Die Linken halten sich offensiv zurück. Von Anton Hofreiter ist zu der Causa nichts zu hören. Die glücklose Parteichefin Simone Peter muss sich jetzt vor allem dagegen verwahren, als Marionette Trittins wahrgenommen zu werden. Andererseits gehört der zu den wenigen Vertrauten, die Peter im Berliner Polit-Zirkus überhaupt hat.

Ihr Verhältnis zu Co-Chef Cem Özdemir, ebenfalls aus diesem Waziristan stammend, gilt als nahezu zerrüttet. Nicht mal die engsten Mitarbeiter der beiden Parteichefs können sich angeblich noch riechen. Was die Zusammenarbeit extrem erschwert. Die taz sieht die Partei schon kurz vor dem Zustand ewiger "Blutrache".

Wie lange nicht mehr stehen sich die beiden Lager der Grünen als erbitterte Gegner gegenüber. Auf beiden Seiten kommen einige nun zu durchaus ähnlichen Überlegungen. Die Welt berichtet von Gedankenspielen, zumindest die beiden Fraktionschefs Göring-Eckardt und Hofreiter baldmöglichst zu entmachten.

Der nächstmögliche Zeitpunkt wäre zwar erst im Herbst 2015; dann stehen turnusgemäß in der Fraktion die Vorstandswahlen an. Aber die Unzufriedenheit mit den beiden wächst. Zu blass, zu wenig Ausstrahlung, zu konzeptionslos. Das sind so grob die Hauptkritikpunkte, die von den Partei-Linken an der Realo-Frau und von den Realos an dem Mann von der Linken geübt werden.

An der Stelle kommt auch wieder Trittin ins Spiel. Manche sehnen sich durchaus zurück nach einer charismatischen Führungsfigur - und Trittin weiß das. Göring-Eckardt und Hofreiter haben es bisher nicht einmal geschafft, Kanzlerin Merkel in den wichtigen Bundestagsdebatten ordentlich Paroli zu bieten. Und das ist nun wirklich keine Herausforderung.

Trittin kann das alles. Und so wirkt er eher wie ein bei laufendem Motor wartender Ferrari als ein endgelagerter Golf. Kaum ein Thema mehr, dass er nicht kommentieren würde. Offen plaudert er über den Einfluss, den er auf die Parteispitze habe, namentlich Simone Peter.

Der Mann will zurück - keine Frage. Und Leute wie Boris Palmer wollen das verhindern.

In einem Interview mit der Welt am Sonntag wird Palmer deutlich: Trittin habe mit seinem Waziristan-Vergleich "überdeutlich gezeigt, warum es endlich Zeit ist für ihn aufzuhören, immer wieder vom Rücksitz aus das Steuer des grünen Busses zu lenken".

Palmer glaubt, dass Trittin "ernsthaft versucht, noch einmal das Ruder an sich zu reißen". Es wäre aber ein "großer Fehler, wenn die Partei das zulässt, weil er in die falsche Richtung lenken würde".

Bloß nicht wieder so weit links

Der Fehler läge in Palmers Augen darin, dass die Partei sich erneut klar links ausrichten wird, wenn Trittin wieder an Einfluss gewinnt. Damit aber haben die Grünen unter anderem die Bundestagwahl versemmelt. Einige machen als Hauptgrund für die gefühlte Niederlage die geforderten Steuererhöhungen verantwortlich.

Einige Realos hatten dringend davor gewarnt, als grüne Partei mit einem Steuerwahlkampf in die Schlacht zu ziehen. Sie wurden nicht gehört. "Wenn die Grünen sich darauf einlassen, bedeutet das, dass sie sich dauerhaft mit Ergebnissen um die acht Prozent bei Bundestagswahlen begnügen und damit den Anspruch aufgeben, die Gesellschaft umzugestalten", sagt Palmer.

In Baden-Württemberg haben die Grünen auch deshalb Erfolg, weil sie weitgehend ideologiefrei Realpolitik betreiben. Der umstrittene Asylkompromiss ist da das beste Beispiel. Waziristans oberster Stammesführer, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hat im Bundesrat die Hand gehoben, weil er in seinen Augen gut verhandelt hat. Das war der Beginn des gegenwärtigen Streits.

Drei Balkanstaaten gelten jetzt als sichere Herkunftsländer. Die Anerkennungsquote aus diesen Ländern tendierte ohnehin gegen null. Der Preis war überschaubar. Bekommen hat er dafür viel. Die flächendeckende Abschaffung der Residenzpflicht etwa. Oder eine massiv erleichterte Arbeitsaufnahme.

Kompromisse sind nicht vorgesehen

Die Linken in der Partei aber sehen das Thema ideologisch. Sie sind gegen sichere Herkunftsstaaten. Aus Prinzip. Kompromisse sind da nicht vorgesehen.

Noch knapp eineinhalb Jahre, dann wird in Baden-Württemberg gewählt. Schon jetzt gibt es einige Grüne, die Kretschmann einen erneuten Sieg nicht mehr so richtig gönnen wollen.

Die andere Baustelle ist die Frage der deutschen Außenpolitik. Göring-Eckardt preschte kürzlich mit dem Vorschlag vor, die Bundesregierung solle auf ein robustes UN-Mandat drängen, damit der sogenannte Islamische Staat militärisch bekämpft werden kann. Bodentruppen von wem auch immer gestellt, sollten die kurdischen und irakischen Kämpfer unterstützen. Die Bundeswehr dürfe in dem Fall nicht tatenlos danebenstehen.

Fassungslos haben Teile ihrer Fraktion den Vorstoß zur Kenntnis genommen. Hatte die Fraktion nicht vor wenigen Wochen erst sogar Waffenlieferungen an den Irak abgelehnt?

Auf dem Parteitag der Grünen Ende November in Hamburg wird es ziemlich sicher hoch hergehen. Im Moment ist nicht absehbar, wie und ob sich die Beteiligten auf halbwegs tragfähige Kompromisse einigen können. Die grünen Grabenkämpfe sind wieder ausgebrochen.

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