Süddeutsche Zeitung

Streik:Verdi-Chef empfiehlt für Montag das Fahrrad

Frank Werneke setzt auf die Solidarität der Bevölkerung. Ein Streik wirke nur, wenn er ein unmissverständliches Signal aussende.

Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, hat den für Montag angekündigten Großstreik verteidigt: Streik wirke nur dann, wenn er ein unmissverständliches Signal aussende, sagte er der Bild am Sonntag. Den Bürgerinnen und Bürgern riet er, wer die Möglichkeit habe, solle mit dem Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen.

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG schloss unterdessen weitere Warnstreiks während der Osterferien aus. "Da wir mit Streiks die Arbeitgeber und nicht die Reisenden treffen wollen, werden wir rund um die Osterfeiertage nicht verhandeln", teilte die Gewerkschaft Bild am Sonntag mit. Streiks um die Feiertage könnten für alle Reisenden ausgeschlossen werden.

70 000 neue Mitglieder seit Anfang des Jahres

Der von Verdi und EVG gemeinsam organisierte 24-stündige Warnstreik soll am Montag um null Uhr beginnen und sich über den gesamten Tag hinziehen. Sowohl der Bahn- und Busverkehr als auch Flughäfen sollen bundesweit zu großen Teilen lahmgelegt werden. Außerdem trifft der Streik auch den Schiffsverkehr und Autobahnen sowie den öffentlichen Personennahverkehr in mehreren Bundesländern. Beide Gewerkschaften erhöhen so den Druck bei den bislang erfolglosen Tarifverhandlungen.

Verdi-Chef Werneke setzt der Bild am Sonntag zufolge dabei auf die Solidarität der Bevölkerung. Mehrheitlich unterstütze diese die Ziele der Gewerkschaft. Seit Anfang des Jahres habe Verdi 70 000 neue Mitglieder verzeichnet. "Das ist der stärkste Mitgliederanstieg seit unserer Gründung vor mehr als 20 Jahren", so Werneke. Streiks dienten zwar nicht der Gewinnung von Neumitgliedern, viele, die sich erstmals an einem Arbeitskampf beteiligten, würden dann aber eintreten.

VKA-Präsidentin kritisiert den geplanten Streik als überzogen

Die Präsidentin der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA), Karin Welge, kritisierte den geplanten Großstreik scharf. "Die Gewerkschaften übertreiben maßlos damit", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Das Streikrecht wird inflationär ausgereizt." Welge verwies darauf, dass in der dritten Runde schließlich ein Ergebnis erzielt werden solle. Die Eskalation der Gewerkschaften mache sie daher "ein bisschen sauer", sagte Welge, die zugleich Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist. "Das ist nicht der Verhandlungston, den wir pflegen."

Die VKA-Präsidentin warf den Gewerkschaften die zeitgleiche Organisation von Ausständen unterschiedlicher Tarifrunden vor - allen voran bei der Bahn und im öffentlichen Dienst. "Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht mehr in der Lage, das als Warnstreiks wahrzunehmen", so die VKA-Präsidentin. "Am Ende kann keiner mehr nachvollziehen, wegen welcher Tarifrunde wo genau gestreikt wird."

"Die Gewerkschaften arbeiten mit Augenmaß."

Dagegen geht der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder davon aus, dass der Streik unter anderem aufgrund der frühzeitigen Ankündigung auf Verständnis bei der Bevölkerung stoßen wird. "Die Gewerkschaften arbeiten, soweit dies erkennbar ist, mit Augenmaß", sagte er dem Evangelischen Pressedienst.

Gleichwohl kann Schroeder den Unmut mancher Menschen nachvollziehen, schließlich werde die Bewegungsfreiheit der Menschen eingeschränkt. Ein Blick auf repräsentative Umfragen der zurückliegenden Jahre zeige aber eine hohe Zustimmungsrate: "So haben beispielsweise den Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die den Verkehr in den vergangenen Jahren oftmals lahmlegten, meist 50 bis 80 Prozent der Bevölkerung zugestimmt."

Die gemeinsamen Aktivitäten der Gewerkschaften sind laut dem Politikwissenschaftler, der von 2009 bis 2014 Staatssekretär im brandenburgischen Arbeitsministerium war, aus einer besonderen Lage heraus entstanden. "Es ist schon etwas Besonderes, dass zwei Gewerkschaften, die bislang eher wenig miteinander zu tun hatten, gemeinsam zum Streik aufrufen", sagte er. Sie resultierten aus Ereignissen der vergangenen Jahre: Die Corona-Pandemie habe den Gewerkschaften über einen langen Zeitraum die Möglichkeit genommen, Tarifauseinandersetzungen öffentlich auszutragen.

"Des Weiteren sind die Gewerkschaften mit der exorbitanten Inflation konfrontiert", sagte Schroeder. Um den Kaufkraftverlust ihrer Mitglieder zu begrenzen, müssten die Gewerkschaften hohe Forderungen an die Arbeitgeber stellen.

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