Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Senat billigt umstrittene Rentenreform

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Weil Präsident Sarkozy blockierte Raffinerien räumen lässt, sprechen Gewerkschaften von "Krieg" gegen Arbeiter. Doch ungeachtet der Proteste, stimmt der Pariser Senat für die so heftig kritisierte Rentenreform.

Stefan Ulrich, Paris

Der französische Senat hat am Freitagabend die seit Monaten umstrittene Rentenreform mit 177 zu 153 Stimmen gebilligt. Arbeitsminister Éric Woerth forderte die Gegner der Reform auf, das Votum zu akzeptieren. Es sei verständlich, wenn man demonstriere, solange man ein Gesetz noch beeinflussen könne, sagte er. "Aber wenn das Gesetz einmal verabschiedet ist, muss es auch angewendet werden. Das ist Demokratie." Die oppositionellen Sozialisten warfen der Regierung dagegen vor, den Willen des Volkes zu ignorieren. Das Parlament muss kommende Woche noch einmal über die umkämpfte Reform befinden.

Seit Wochen protestieren Millionen Franzosen gegen die Pläne von Präsident Nicolas Sarkozy. Danach soll das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre angehoben werden. Um die volle Rente zu erhalten, müssen die Franzosen künftig 41,5 Jahre arbeiten, ein Jahr mehr als bisher. Sarkozy hält die Reform für unerlässlich, um die Rentenkassen zu sanieren und Frankreichs Kreditwürdigkeit zu wahren. Die Gewerkschaften und die gesamte Protestbewegung lehnen sie als sozial ungerecht ab. Sie argumentieren, die Reform bürde die Probleme einer alternden Gesellschaft allein Arbeitern und Angestellten auf. Die Streiks und Blockaden haben in den vergangenen Tagen den Flug-, Bahn- und Nahverkehr sowie die Treibstoffversorgung in Frankreich erheblich beeinträchtigt. Auch am Freitag kam es zu vielen Behinderungen.

Die Regierung versuchte, den Konflikt vor Beginn der Herbstferien an diesem Samstag nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße für sich zu entscheiden. Sarkozy kündigte an, er werde es nicht zulassen, dass Protestierer ,"ie Wirtschaft, die Unternehmen und das tägliche Leben der Franzosen zu Geiseln machen". Die Behörden ließen eine blockierte Raffinerie des Total-Konzerns bei Paris beschlagnahmen und die Arbeiter zum Dienst verpflichten. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Polizisten und Bürgern. Mehrere Protestierer wurden verletzt. Gewerkschafter sagten, Sarkozy habe den Arbeitern "den Krieg erklärt". Die zwangsweise Inbetriebnahme eines Privat-Unternehmens verletze das Streikrecht. Der zuständige Präfekt rechtfertigte den Einsatz mit einem Notstand. Die Raffinerie gilt als Schlüsselbetrieb. Sie ist zum einen eine Hochburg der Protestierer und dient zum anderen dazu, den Großraum Paris zu versorgen.

An vielen anderen Orten kam es am Freitag erneut zu Besetzungen und Räumungen von Treibstoffdepots. Energieminister Jean-Louis Borloo sagte, noch seien 20 Prozent der Tankstellen ohne Sprit. In zwei Départements werde der Treibstoff rationiert. Premier François Fillon versprach, in einigen Tagen werde sich die Lage normalisieren.

Die Nationalversammlung hatte die Rentenreform bereits im September gebilligt. Da ihr der Senat nun in leicht veränderter Form zugestimmt hat, muss am Montag ein Vermittlungsausschuss einen einheitlichen Text aushandeln. Über diesen sollen am Dienstag und Mittwoch dann beide Parlamentskammern endgültig abstimmen. Die Reformgegner haben angekündigt, Streiks und Demonstrationen auch dann fortzuführen, wenn die Reform Gesetz geworden ist.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2010
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