Streifzug im neuen Bundestag:Streiten, Teilen, Duschen mit der AfD

Plenarsaal des Bundestages wird umgebaut

Umbau in Berlin: Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag mussten in den vergangenen Tagen 79 zusätzliche Sitze in den Plenarsaal gequetscht werden.

(Foto: dpa)

Vor der ersten Sitzung des neuen Bundestags beschäftigen die Abgeordneten verschiedenste Fragen. Welche Fraktion bekommt welche Büros? Wie reagiert man zukünftig auf Provokationen der AfD? Und wie funktioniert ein Faxgerät? Ein Streifzug.

Von Jakob Schulz, Berlin

Jahrelang hat die neue Partei um Aufmerksamkeit gekämpft. Nun haben Millionen Deutsche sie in den Bundestag gewählt. Die Neuen wollen Schluss machen mit der aktuellen Politik und durchsetzen, was in ihren Augen so sehr drängt. Marieluise Beck ist dabei, als die Grünen 1983 das erste Mal im Bundestag Platz nehmen. Wo Anzüge und Krawatten dominieren, tragen sie selbstgestrickte Wollpullover und bringen Blumentöpfe mit ins Parlament. Die etablierten Fraktionen beäugen die Neuankömmlinge skeptisch.

34 Jahre später steht der Deutsche Bundestag mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) vor einem neuen Umbruch. Äußerlich heben sich die Neulinge von heute kaum ab, inhaltlich sind die Unterschiede dafür mitunter gewaltig. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es im Parlament wieder eine Fraktion, die politisch rechts von der Union steht.

Marieluise Beck wird dem neuen Bundestag nicht mehr angehören. Die Muße, über den Einzug der Grünen ins Parlament 1983 nachzudenken, findet sie kaum. In diesen Tagen ist sie selten in Deutschland. Gerade noch war die leidenschaftliche Außenpolitikerin in Tel Aviv und Odessa. Nun geht sie in Moskau ans Telefon, um über die Grünen damals und die AfD heute zu sprechen. "Auch 1983 war ein Bruch. Ich würde sagen, ein Durchbruch", erinnert sie sich. "Meiner Meinung nach gab es in der Gesellschaft breite Unterstützung für grüne Anliegen, etwa der Sorge vor atomarer Überrüstung, der Akzeptanz ökologischer Notwendigkeiten oder beim Kampf gegen Gewalt in der Ehe." Ganz anders die Situation 2017: "Ich glaube, dass der jetzige Umbruch mit der AfD viel mehr aus dem Dunkeln kommt und rückwärtsgewandt ist", sagt Beck.

Die AfD kommt im politischen Berlin an

Norbert Kleinwächter läuft noch ein wenig unsicher über die langen Flure aus hellem Parkett. Am Tag zuvor erst hat der AfD-Politiker seinen Büroschlüssel bei der Bundestagsverwaltung abgeholt. Er und seine 91 Kollegen der AfD-Fraktion sitzen in der Dorotheenstraße 93, im ehemaligen Reichsministerium des Inneren. Später arbeiteten hier die Beamten des DDR-Justizministeriums.

"Wie groß ist das Büro hier? Zwölf Quadratmeter?", fragt Kleinwächter. Über eine Baustelle hinweg blickt der 31-Jährige auf den Boulevard Unter den Linden. Den Raum teilt er sich fürs erste mit einem weiteren AfD-Abgeordneten. Tisch und Schränke sind bis auf eine Lampe leer, es gibt kein Telefon und keine Computer. Immerhin zwei Mülleimer sind seit gestern dazu gekommen, bemerkt er. Es geht also voran. Vom kommenden Frühjahr an sollen dann auch seine Mitarbeiter eigene Büros haben. Bis dahin arbeiten die von zuhause aus oder in der Bundestagsbibliothek. Ihm ist die Freude anzusehen, nun endlich mit der Arbeit beginnen zu können. Gute Politik "für das deutsche Volk" machen zu können, wie Kleinwächter sagt.

Seine politische Laufbahn begann als Student. Aus Protest gegen die Agenda-2010-Reformen der SPD trat er in die WASG ein, aus Protest gegen die "Betonsozialisten" in der sich formierenden Linkspartei schließlich wieder aus. 2013 überzeugte ihn die Kritik des AfD-Gründers Bernd Lucke an Euro und Europolitik, in die AfD einzutreten.

Noch bis September arbeitete Kleinwächter in Brandenburg als Französisch- und Englischlehrer. Nun sitzt er hinter seinem leeren Schreibtisch und sagt: "Wir werden unsere Fraktionsarbeit auf Argumenten und Analysen aufbauen und nicht auf ideologischen Konstrukten." Sich selbst zählt er zu den liberalen Mitgliedern der AfD-Fraktion: "Ich mag überhaupt nicht, wenn die Partei sich völkisch-nationalistisch positioniert."

Wenige Häuserblocks von Norbert Kleinwächters neuem Büro entfernt, im dritten Stock des Reichtages, kommen die Fraktionen des Bundestages zu ihren Sitzungen zusammen. Vier Fraktionen gab es in der vergangenen Legislaturperiode, die vier Türme des Reichstages auf die Fraktionen aufzuteilen war entsprechend simpel. Künftig sind mit der Rückkehrerin FDP und der AfD als Neuzugang insgesamt sechs Fraktionen mit Räumen zu versorgen. Welche Fraktion darf nun einen Turm beanspruchen? Und welche Fraktion wäre bereit, zu teilen?

Die Linke ist stark geschwächt - und dann auch noch zerstritten

Wenn Petra Sitte spricht, blickt sie konzentriert auf eine Fotografie an der Wand ihres Abgeordnetenbüros. Darauf sind Teilnehmer eines Radrennes zu sehen, Sittes große Leidenschaft. Petra Sitte war bis zuletzt Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken-Fraktion. Ihre Partei steckt in einer schwierigen Lage: Sie erreichte bei der Wahl zwar einen höheren Stimmanteil als noch 2013. Doch statt wie früher Oppositionsführerin zu sein, dürfte sie nach SPD und AfD absehbar kleinste Oppositionsfraktion sein. Und der eigene Turm im Bundestag ist wohl auch Geschichte.

"Wir werden hier keinen 30-jährigen Krieg um einen Turm des Bundestages führen", sagt Sitte bestimmt. Statt über Räume und Türme möchte die 56-Jährige über Inhalte streiten. Das dürfte als kleinste Fraktion abseits der Regierung schwierig genug sein. Mangels Gestaltungskraft zählt auf der Oppositionsbank mediale Aufmerksamkeit. "In aller Regel fragen die Medien lieber die Oppositionsführerin als die übrigen Parteien, also aller Voraussicht nach die SPD. Und die AfD wird mit ihrer Linie der Skandalisierung und der Provokation auch noch einmal eine andere Aufmerksamkeit bekommen", sagt Sitte. "Das wird ein ernsthaftes Problem für uns." Ein erbitterter Streit zwischen der Partei- und Fraktionsführung der Linken kommt noch hinzu, wie sich vergangene Woche zeigte.

Im neuen Bundestag sitzen 709 Abgeordnete, so viele wie nie zuvor. Eigentlich hat der Bundestag nur 598 Sitze. Die eine Hälfte, also 299, werden in den Wahlkreisen direkt gewählt. Die andere Hälfte der Parlamentarier zieht über die Landeslisten ein. Dass es nun gleich 111 Abgeordnete mehr sind, liegt am System der Überhang- und Ausgleichsmandate. Die CSU etwa hat alle 46 Direktmandate in Bayern gewonnen. Durch das überraschend schlechte Ergebnis bei den Zweitstimmen stünden den Christsozialen aber eigentlich weniger Sitze zu. Die Sieger in den Wahlkreisen kommen trotzdem alle in den Bundestag, dadurch ergeben sich die sogenannten Überhangmandate. Damit die Verteilung aller Parlamentarier letztlich wieder dem Ergebnis der Zweitstimmen entspricht, gibt es die sogenannten Ausgleichsmandate. Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte vorgeschlagen, die Zahl der Abgeordneten auf 630 zu deckeln. Die Parteien konnten sich allerdings nicht auf eine Wahlrechtsreform einigen.

FDP-Abgeordnete arbeiten erst einmal im Coworking-Büro

So muss die Bundestagsverwaltung in diesen Tagen nicht nur Tausende Umzüge von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern organisieren, sondern auch noch so viele Büros bereitstellen wie noch nie. Das spüren vor allem Lukas Köhler (FDP) und seine liberalen Kollegen. Statt in ihren neuen Büros sitzen viele von ihnen in einem umfunktionierten Tagungssaal im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der Parteizentrale der FDP in Berlin-Mitte. "Willkommen im FDspace!" steht auf einem bunten Aufsteller. Im mit Buche vertäfelten Saal dahinter drängen sich Abgeordnete und ihre Mitarbeiter, auf den Tischen stapeln sich Akten und Laptops.

Während die Führungsriege der Liberalen in Gesprächen mit Union und Grünen eine mögliche Regierungskoalition sondiert, arbeitet sich Lukas Köhler in das Leben als Abgeordneter ein. Der hochaufgeschossene 31-Jährige aus München ist promovierter Philosoph. "Charmant" nennt er die Arbeitsatmosphäre im Großraumbüro. Telefonate führt er trotzdem lieber auf dem Gang oder gleich im Hotel. Bis Februar, hofft er, können er und sein Team ihre eigenen Büros beziehen.

Dafür bräuchte Köhler aber erst einmal Mitarbeiter. 82 Bewerbungen hat er dafür schon bekommen. "Die habe ich noch nicht alle abarbeiten können, muss ich gestehen", sagt er. Die Interessenten sind ganz unterschiedlich - altgediente FDP-Mitarbeiter, die nach dem Scheitern der Liberalen 2013 ihre Jobs verloren, wechselwillige Mitarbeiter anderer Fraktionen, aber auch Polit-Neulinge, erzählt er. Am meisten hat ihn überrascht, dass im Bundestag alles über Formulare und ein Faxgerät läuft: "In meinem Leben habe ich dreimal ein Fax benutzt, jetzt schaue ich mir gerade an, wie das funktioniert."

Sobald er sein Team beisammen hat und deren technische Ausstattung organisiert ist, will er sich endlich um eine Wohnung in der Hauptstadt kümmern. Gerade lebt er in einem Hotel. Immerhin das sei schon ein Fortschritt, erzählt er. "Letzte Woche habe ich bei einem Berliner Kumpel in der WG auf der Couch geschlafen."

Wenn Köhler an diesem Dienstag das erste Mal im Plenarsaal Platz nimmt, dann wird sich seine Fraktion zwischen denen der AfD und der Union wiederfinden. Das wollte die FDP unbedingt verhindern. Zumindest für die konstituierende Sitzung hat der Ältestenrat diese Sitzung nun aber festgelegt. Ein kleiner Trost für die Liberalen: Ursprünglich sollte Wolfgang Schäuble (CDU) den Bundestag als Alterspräsident eröffnen. Da der 75-Jährige aber in ebenjener Sitzung zum Bundestagspräsidenten gewählt werden soll, darf der FDP-Mann Hermann Otto Solms die erste Sitzung des neuen Bundestages mit einer Rede eröffnen.

Die SPD will der AfD nicht auf den Leim gehen

Carsten Schneider ist zwar ein alter Hase im Parlamentsbetrieb, umziehen muss er trotzdem. Der 41-Jährige beginnt in diesen Tagen seine sechste Legislaturperiode im Bundestag. Spätestens seit er zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD gewählt wurde, gehört er zur Führungsriege seiner Partei. In seinem alten Büro sieht es zwar schon nach Aufbruch aus, doch noch blickt er auf die Marschallbrücke, die über die Spree führt. Am anderen Ufer steht im Licht der Nachmittagssonne die Dauerbaustelle des erweiterten Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.

An der Wand hängt eine Ehrenurkunde der Fußballmannschaft des Bundestages. Die hat er für sein 100. Spiel in der Parlamentsmannschaft bekommen, erzählt Schneider. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag werden er und seine Mannschaftskollegen bald nicht nur mit den AfD-Abgeordneten in den Ausschüssen zusammenarbeiten, sondern mit ihnen womöglich auch nach dem Fußball unter der Dusche stehen.

Für Schneider eine unangenehme Vorstellung. Trotzdem, sagt er, wolle seine Partei den Kampf aufnehmen. "Aber nicht, indem wir sagen, das sind alles Faschisten." Stattdessen wolle die SPD den Wählern als Oppositionsführerin klarmachen, dass es eine Alternative zu Kanzlerin Angela Merkel gebe. "Ich glaube, damit tun wir der Demokratie einen Gefallen. Und ich hoffe, der SPD auch", sagt Schneider. Gerade im Haushaltsausschuss will er erreichen, dass die Minister vor der Opposition zittern. "Die letzten vier Jahre hat es bei der Kontrolle der Regierung in der Sacharbeit gemangelt. Die Regierung muss endlich wieder vor dem Parlament schwitzen."

Trotzdem denkt der SPD-Mann viel darüber nach, wie er und seine Fraktionskollegen im Bundestag mit der AfD umgehen sollen. Ein erster Schritt: Nicht auf jede Provokation reagieren. "Wenn jetzt jemand den Holocaust leugnet, dann wird das auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen", sagt er. Gleichwohl wollen die Sozialdemokraten nicht auf jede Inszenierung der Neuen hereinfallen. "Klar, es wird schwierig. Provokationen einfach ignorieren? Es wird ein Lernprozess sein."

Die ehemalige Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck wird die konstituierende Sitzung des Bundestages an diesem Dienstag höchstens aus der Ferne verfolgen. Sie beschäftigt auch etwas anderes: Auf ihren Reisen nach Israel oder in die Ukraine ist sie zuletzt vielen verunsicherten Menschen begegnet. Sie sorgten sich, dass in Deutschland die Nazizeit zurück sei. Die scheidende Parlamentarierin versuche dann zu erklären, dass die AfD nicht die NSDAP sei. "Ich habe den Eindruck, dass Deutschlands dunkle Vergangenheit im Ausland noch sehr viel präsenter ist als bei uns", sagt Beck.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: