GlosseDas Streiflicht

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Das Gedächtnis ist eine nicht sehr verlässliche Einrichtung. In Schweden führte ein schwaches Erinnerungsvermögen jetzt sogar zu einem Rücktritt.

(SZ) In seinem Gedicht „Lob der Vergesslichkeit“ schrieb der unvergessene Bertolt Brecht: „Die Schwäche des Gedächtnisses verleiht/Den Menschen Stärke.“ Da ist sicher etwas dran, denn wenn man sich stets ständig alles erinnerte, was man im Leben an dummem Zeug erzählt oder sonst wie verbockt hat, wäre man vermutlich von seiner eigenen Fehlbarkeit dermaßen gelähmt, dass man sich nicht einmal mehr trauen würde, Grönland zu okkupieren.  In Johann Strauss’ wundersamer Operette „Die Fledermaus“ wird das Vergessen auf künstlichem Wege herbeigeführt, genauer: wärmstens empfohlen von Rosalindes Gesangslehrer Alfred, der die junge Frau zu schnellem Trinken auffordert – „glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Nun mag das zwischen zwei angeschickerten Turteltäubchen der Wiener Kaiserzeit ein charmant frivoles Trostwort gewesen sein – es gab ja außer dem Gedächtnis im champagnerbeschwingten Kopf kein zweites.

Heute gibt es dagegen sehr viele Arten von Gedächtnis, und das  menschliche tritt dabei immer mehr ins Halbdunkle zurück. Was die eigene Erinnerung nicht mehr wiederherzustellen vermag, postet irgendein Gauner auf Facebook. Dinge, die man in fernen Zeiten gesagt, geschrieben oder gesungen hat, erscheinen als mehrteilige Threads auf X – das kulturelle Gedächtnis hat eben auch einen schmierigen kleinen Bruder in den sozialen Medien sitzen. Es gibt Angelegenheiten, die einem entfallen, und solche, die man absichtlich vergisst. Und es gibt Hendrik Laderholm, der bis vor Kurzem noch der Nationale Sicherheitsberater Schwedens war. Laderholm ist dermaßen vergesslich, dass kürzlich sogar die Polizei kommen musste, schreibt die Zeitung Dagens Nyheter. Das geschah, nachdem Laderholm eine Mappe mit Dokumenten in seinem Hotel vergessen hatte, die als geheim eingestuft worden waren. Vermutlich dachte Laderholm, die Dokumente seien derart geheim, dass er ihre Existenz am besten komplett aus seinem Gedächtnis löschen sollte – aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus.

Das waren ähnliche Überlegungen, wie sie Laderholm vor zwei Jahren in der ungarischen Botschaft angestellt hatte, als er dort sein Mobiltelefon liegen ließ. Ungarn hatte nämlich zu der Zeit noch den Nato-Beitritt Schwedens blockiert, und Laderholm hoffte womöglich, dass der ungarische Botschafter ihn mit dem hinterlegten Handy jederzeit erreichen könne, sobald die Entscheidung gefallen wäre. Einen Monat darauf ließ Laderholm sein Notizbuch bei einem Radiosender liegen, und einmal vergaß er, dass seine Freundin bei einem von Steuergeldern bezahlten Flug nach Berlin neben ihm saß. Nun ist Laderholm von seinem Amt zurückgetreten. Er hätte das viel früher tun sollen, heißt es aus Regierungskreisen. Leider habe er es immer wieder vergessen.

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