Strategiepapier der Linken:Rot-Rot-Grün vor Augen

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Bernd Riexinger und Katja Kipping träumen von einer rot-rot-grünen Zukunft. Ob sie die als Doppelspitze noch mitgestalten werden, ist fraglich. (Foto: dpa)
  • Die Linke legt ein Strategie-Papier vor, das demnächst im Parteivorstand diskutiert werden soll.
  • Mithilfe des Papiers soll die inhaltliche Ausrichtung für die nächsten Jahre erfolgen.
  • Dem Konzept zufolge soll es einen sozial-ökologischen Umbau der Partei geben.

Von Boris Herrmann, Berlin

Die Linke soll grüner werden. Die Partei will sich für einen "sozial-ökologischen Systemwechsel" einsetzen, für den Ausstieg aus der Kohle, für eine Verkehrswende, den Umbau der Landwirtschaft, eine energetische Gebäudesanierung sowie für eine ökologische Transformation der Industrie. Bei den gigantischen staatlichen Investitionsprogrammen, die jetzt wegen der Corona-Krise aufgesetzt werden, dürfe der Klimaschutz "nicht wieder nur auf der Reservebank sitzen". Diese leicht windschiefe Fußballmetapher stammt aus einem Strategiepapier, das am Samstag erstmals im Parteivorstand diskutiert werden soll und der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Verfasst wurde es gemeinsam von der Partei-Doppelspitze Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie vom Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und dem Bundesschatzmeister Harald Wolf. Das 14 Seiten lange Dokument soll die Grundlage bilden für den Leitantrag des auf Ende Oktober verschobenen Parteitages in Erfurt. "Da werden die Weichen gestellt für die inhaltliche Ausrichtung der Partei in den nächsten Jahren", sagte Riexinger der SZ.

Rot-Rot-Grün als Zukunftsvision

Der Vorstoß ist auch deshalb bemerkenswert, weil ja noch keineswegs ausgemacht ist, ob die Partei mit dem Führungsduo Kipping/Riexinger in diese nächsten Jahre gehen wird. Die beiden sind seit acht Jahren im Amt, länger als alle anderen Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, und sie haben sich bislang nicht dazu geäußert, ob sie sich auf dem Parteitag noch einmal zur Wahl stellen werden. Als Zeichen vom Amtsmüdigkeit wird es ihnen jedenfalls nicht ausgelegt werden, wenn sie nun die Strategie der Zukunft festlegen wollen. Es ist eine Zukunft, die sie ohne jeden Zweifel in einer Rot-Rot-Grünen-Regierung sehen. "Unser Konzept des sozial-ökologischen Umbaus ist ein politisches Angebot an Gewerkschaften, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und natürlich auch an SPD und Grüne", heißt es in dem Papier.

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Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass es bei den Linken höchst unterschiedlichen Auffassungen über strategische Grundsatzfragen gibt. Vor allem im selbstbewussten Fraktionsvorstand, der sich mit der Parteispitze seit Jahren einen mal mehr, mal weniger offenen Kleinkrieg liefert, stößt der Kurs von Kipping und Riexinger auf Kritik. Deutschland brauche keine zweite grüne Partei, heißt es dort. Die Linke müsse sich wieder auf ihr Kernklientel besinnen, auf die Arbeiter und Arbeitslosen, auf diejenigen, die befürchten müssten, unter die Räder zu kommen. Die vier Autoren des Strategiepapiers gehen mit diesem Richtungsstreit erstaunlich offen um. "Es besteht enormer Diskussionsbedarf zur inhaltlichen Klärung offener Fragen und um die weitere Richtung unserer Politik", schreiben sie.

Unter anderem um solche Frage zu klären, veranstaltete die Partei Ende Februar in Kassel einen Strategiekongress. Der ging aber, gelinde gesagt, nach hinten los, weil wenig später ein Video die Runde machte, in dem eine Teilnehmerin mit einer missverständlichen Bemerkung den Eindruck erweckte, sie wolle alle Reichen im Land erschießen. Das war nicht so gemeint, wurde aber mitunter mutwillig fehlinterpretiert. Und weil Parteichef Riexinger auch noch versucht hatte, die Situation mit einem Scherz aufzulösen, der gründlich misslang, sorgte die Linke statt mit einer neuen Strategie erst einmal mit einem Skandal für Schlagzeilen. Das jetzt vorgelegte Strategiepapier soll deshalb auch an die Stelle dessen treten, was einmal das Ergebnis der Konferenz von Kassel hätte werden sollen.

Öko- oder Arbeiterpartei

Kipping und Riexinger unternehmen damit einen Spagat. Einerseits liest sich ihr Papier über weite Strecken wie einer Bewerbungsrede für eine weitere Amtszeit, andererseits versuchen sie auch jene Teile der Partei anzusprechen, die eine ganz andere, um nicht zu sagen: eine gegensätzliche strategische Grundrichtung befürworten: "Wir vertreten die Interessen der Arbeiter*innenklasse, der Ausgegrenzten und Marginalisierten", das mag für eine linke Partei wie einer Selbstverständlichkeit klingen, es ist in seiner Wortwahl aber auch ziemlich nah dran an der Schwerpunktsetzung ihrer innerparteilichen Gegner. Zwar betonen alle Seiten, dass die Soziale Frage und die Klimafrage nur gemeinsam gedacht werden können, aber es ist halt schon ein Unterschied, ob die Linke eine Ökopartei mit sozialem Gewissen sein will oder eine Arbeiterpartei, die sich da, wo es reinpasst, auch um die Klimapolitik kümmert.

Nun hat zwischen der Konferenz von Kassel und dem druckfertigen Strategiepapier die Welt, und zwar nicht nur die der Linken, die ein oder andere Pirouette gedreht, deshalb steht da jetzt auch vieles drin, worüber damals in Februar noch niemand diskutiert hat. Es beginnt schon mit der Überschrift: "Für eine solidarische Zukunft nach Corona". Die Linke wirbt für eine behutsame Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Auf dem langen Weg aus der Krise heraus will sie der Gesellschaft "ein solidarischer Lotse" sein. Das klingt auf jeden Fall besser als ein Klimaschutz, der auf der Reservebank sitzt.

Interessant ist aber auch, was zu Corona in dem Strategiepapier nicht auftaucht. Parteichefin Kipping hatte sich Anfang Mai in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel mit drastischen Worten an die Spitze jener gestellt, die vor einer zweiten Infektionswelle warnen. Sie skizierte Szenarien mit Todesopfern in der Größenordnung "der doppelten Einwohnerzahl von Dresden", sie wetterte gegen die "Lockerungslobby", zu der sie etwa FDP-Chef Christian Lindner oder Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet zählte und sie plädierte für eine konsequente "Stop-the-virus-Politik". Womöglich müsse für einige Wochen die nicht-systemrelevante Produktion runtergefahren werden, schrieb Kipping. All das wird in dem Strategiepapier jetzt nicht einmal mehr angedeutet. Es gibt da offenbar keinen Konsens, weder innerhalb der Partei- noch mit der Fraktionsführung. Fest steht: Langweilen werden sie sich alle zusammen mit ihren Strategiedebatten in den kommenden Monaten nicht.

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