Strandpause:Wie im Winter

Ein Hinweisschild Rügen Usedom gesperrt Anlieger frei steht an der Richtungsfahrbahn nach Stralsund auf dem Autobahnkre

Strandpause: Viele Badeorte sind an Ostern für Urlauber gesperrt.

(Foto: imago images/Fotoagentur Nordlic)

Die meisten Ferienorte in Norddeutschland wären um diese Zeit ausgebucht - stattdessen stehen Hotels und Restaurants leer. Ein Kurzausflug ins Sperrgebiet.

Von Peter Burghardt, Timmendorfer Strand

"Timmendorfer Strandpause", steht auf neuen Schildern an der Promenade. Wie sieht die Timmendorfer Strandpause in Zeiten von Corona aus? Der grandios sonnige Donnerstagnachmittag vor Karfreitag. Die Anfahrt aus Hamburg: ein Traum. Man braucht nicht mal eine Stunde, normalerweise können es an so einem Feierabend vor Feiertagen auch mal zwei Stunden werden. Parkplatz? Kein Problem. Polizeikontrollen? Hier gerade keine. Ein Kurzausflug ins Sperrgebiet. In eine Tabuzone für Fremde, die von Fremden lebt.

Sanft plätschert die Ostsee. Blau der Himmel, hell der Sand, türkisfarben das Wasser. Menschen? Kaum Spaziergänger, vereinzelte, wirklich sehr vereinzelte Sonnenfreunde am Strand. Vögel zwitschern, Möwen kreischen. Es riecht nach Meer und Blüten, nicht im Geringsten nach Sonnenmilch. Wer möglichst wenige Gesichter sehen möchte, der ist an einer der beliebtesten und gewöhnlich meistbesuchten Küsten Deutschlands in diesen Stunden gut aufgehoben. "Schön", sagt eine Frau, die ihren Pudel am Hundestrand ans Ufer führt. "Wie im Winter."

Es ist Frühling, fast Sommer, bis zu 20 Grad sollen es am Wochenende werden, eines der wichtigsten Feste des Jahres beginnt. Auch die Frau mit Hund weiß natürlich, dass das alles zwar sehr idyllisch ist, aber nicht so schön für diejenigen, deren Geschäft in solchen Ferienorten von ihren Gästen abhängt. "An Ostern wär's voll", sagt sie, und wie voll es an Ostern wäre. Timmendorfer Strand mit Niendorf wäre wahrscheinlich mehr oder weniger ausgebucht, genauso wie Scharbeutz weiter oben, wie Heiligenhafen weiter nördlich oder Rügen und Usedom im Osten oder Sankt Peter-Ording, Norderney und Sylt an der Nordsee im Westen.

Allein Timmendorfer Strand und Niendorf zählen Jahr für Jahr 1,5 Millionen Übernachtungen. "Bitte Schritttempo fahren!", heißt es auf älteren Schildern für Radler, es könne auf der Promenade "auch mal eng werden". In diesen Momenten ist Platz, außerdem weisen weitere Plakate der Timmendorfer Strandpause auf zwei Meter Abstand hin. "Maximal 2 Personen, keine Gruppen!" Im Infokasten hängen die Veranstaltungshinweise, doch auch die hat der Virus erwischt. Der Ostseelauf - verschoben, vorerst auf November. Osterfeuer, Osterbuddeln und Ostereiersuche - abgesagt, wie alle Termine bis mindestens zum 19. April. Wie der Programmpunkt "Fischverliebt" am Niendorfer Hafen mit seinen Kuttern und Buden, der bei solchem Wetter vermutlich nie so verlassen war.

"Sie dürfen hier ja auch nicht rein", sagt freundlich ein älterer Mann an der nahezu ausgestorbenen Promenade neben leeren Hotels, Ferienhäusern, Lokalen, Strandkorbvermietern. Er sitzt auf einer der Bänke, über die kein Absperrband gespannt ist und über der nicht in roter Schrift "Bank gesperrt!" steht wie auf vielen anderen. "Zu Tausenden" wären die Hamburger bei solchem Sonnenschein hier, weiß der Mann auf der Bank, er lebt seit 40 Jahren in Timmendorfer Strand, Normalität wäre ihm lieber. Die Hamburger dürfen wie andere Auswärtige ohne ersten Wohnsitz oder triftigen Grund bis auf weiteres nicht mehr kommen. Schleswig-Holstein ist genauso wie Mecklenburg-Vorpommern und Teile Niedersachsens für die meisten Bewohner anderer Bundesländer geschlossen. Mit einem auswärtigen Nummernschild kommt man sich in Schleswig-Holstein dieser Tage vor wie ein Exot, ein Eindringling. Ein Fremder!

Bizarre Szenen werden mancherorts gemeldet, bis hin zu Pöbeleien und Denunziationen. Der Ärger trägt vorneweg dem Regierungschef in Kiel und der Regierungschefin in Schwerin, Daniel Günther von der CDU und Manuela Schwesig von der SPD, Kritik und Korrekturen ein. Corona hat inzwischen auch die nachbarschaftlichen Beziehungen im Norden infiziert. In dem Dickicht der Kleinstaaterei blickt kaum mehr jemand durch.

In Schleswig-Holstein wurden erst auch Zweitwohnungsbesitzer ohne Erstwohnsitz mit Briefen aus den Landkreisen verwiesen. Dann durften sie nach Einspruch von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) doch bleiben - aber nur, wenn sie schon da sind, was unter anderem diejenigen ärgert, die bereits zwangsweise abgereist waren. Außerdem wiesen Polizisten im Dunstkreis der Landesgrenze zuletzt selbst einige wandernde oder radelnde Tagesausflügler ab, die Schleswig-Holstein erreichten. Das souveränere Hamburg und sein rot-grüner Senat fanden das ausgesprochen unfreundlich, sie lassen Gäste weiterhin ohne weiteres in die Stadt, auch in die Hamburger Krankenhäuser. Unterstützung bekommen sie vom Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki: Der Bundestagsvize und Jurist hält die Maßnahmen seiner Heimat im Hamburger Abendblatt nicht nur für "völlig übertrieben und unverhältnismäßig, sondern auch für rechtswidrig". In Schleswig-Holstein regiert Jamaika, und Kubicki ist auch Vize der Bundes-FDP.

Für weitere Verwirrung sorgt Schleswig-Holsteins Erlaubnis, dass sich an Ostern bis zu zehn Menschen eines Haushalts treffen dürften. Aus Mecklenburg-Vorpommern wiederum mussten außer Touristen auch Immobilieneigner ohne Erstadresse oder Job dort verschwinden. Über die Ostertage sollten per Verordnung sogar die Einheimischen die Inseln, Strände und Seen meiden - bis das Oberverwaltungsgericht Greifswald am Donnerstag die Reisebeschränkung für Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern kippte.

In der Gemeinde Timmendorfer Strand, Schleswig-Holstein, Kreis Ostholstein, Kennzeichen OH, wären für Anfang Mai die Beach Polo Meisterschaften vorgesehen. Und für den 9. und 10. Mai sollte Udo Lindenberg am Timmendorfer Strand auftreten, ein berühmter Hamburger. Am Timmendorfer Strand steht Lindenbergs Skulptur, seine Silhouette. Nach einem Schicksalsschlag schrieb er dort einst eines seiner bekanntesten Lieder. "Hinterm Horizont geht's weiter. Ein neuer Tag." Das ist die Hoffnung, auch in Timmendorfer Strand.

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