Strafvollzug wird Ländersache:"Zu befürchten sind Billiggefängnisse"

Das bisher einheitliche Strafvollzugsgesetz des Bundes soll von 16 Landesgesetzen abgelöst werden: So sieht es die Föderalismusreform vor. Es wird also künftig 16 verschiedene Gesetze geben, die das hinter Gittern geltende Recht regeln. Der Protest sämtlicher juristischer Fachverbände dagegen war bisher vergeblich.

Heribert Prantl

Erstmals spricht sich nun auch ein ehemaliger CDU-Landesjustizminister gegen diese Pläne aus. Hans-Dieter Schwind war Justizminister in Niedersachsen im Kabinett des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht von 1978 bis 1982. Der Siebzigjährige ist Professor für Kriminologie, Strafvollzug und Kriminalpolitik. Er ist Autor des "Großkommentars zum Strafvollzugsgesetz" und war Vorsitzender der von der Regierung Kohl berufenen "Anti-Gewalt-Kommission". Schwind gilt als einer der führenden europäischen Experten für den Strafvollzug.

Strafvollzug wird Ländersache: Hans-Dieter Schwind war Justizminister in Niedersachsen

Hans-Dieter Schwind war Justizminister in Niedersachsen

(Foto: Foto: SZ)

SZ: Was spricht denn eigentlich gegen die Übertragung der Gesetzeskompetenz für den gesamten Strafvollzug auf die Länder?

Schwind: Dagegen spricht die drohende Rechtszersplitterung und die Gefahr, dass aus dem Strafvollzug ein Billigstrafvollzug wird. Aus dem Strafvollzug darf aber kein bloßer Verwahrvollzug werden. Zum Behandlungsvollzug, ich nenne ihn lieber Chancenvollzug, gibt es keine Alternative. Wenn jemand aus dem Verwahrvollzug herauskommt, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit rückfällig. Rückfalltäter kosten den Steuerzahler viel Geld.

SZ: Überrascht es Sie, dass so wenig Aufregung herrscht über die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder?

Schwind: Ich hatte den Zeitgeist zwar beobachtet. Dass der Strafvollzug als Spielmaterial in der Föderalismusreform benutzt wird, das hat mich allerdings schon überrascht, weil das Einsperren den stärksten Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen darstellt. In den siebziger Jahren war man da viel sensibler.

SZ: Es haben sich auch heute viele Fachleute warnend zu Wort gemeldet. Sie fanden bei den Entscheidern kein Gehör.

Schwind: Das bestätigt, dass wir oft eine irrationale Rechtspolitik betreiben.

SZ: Es gibt einen Reformstau im Strafvollzug. Ob der von den Ländern in der richtigen Weise abgebaut wird?

Schwind: In der Tat ist der Bund relativ schwerfällig . . .

SZ: . . . auch deswegen, weil die Länder im Bundesrat gern blockieren.

Schwind: Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass der Bund keine eigenen Vollzugsanstalten hat, das machen alles die Länder. Die Länder sind also durchaus näher an der Sache als der Bund. Die Länder zahlen auch allein. Es kommt einem daher gar nicht so unvernünftig vor, dass die Länder selbst Verantwortung übernehmen und selbst reformieren wollen. Nehmen Sie den Paragrafen 2 des Strafvollzugsgesetzes, da stehen zwei Ziele drin. Ziel eins: der Behandlungs- oder Resozialisierungvollzug. Ziel 2, missverständlich formuliert: die Sicherheit. Ziel 2 gewinnt aber eine immer größere Bedeutung in der Justizvollzugsanstalt, weil sich die Klientel verändert hat, besonders aus Osteuropa kommen Menschen zu uns, die ganz andere Risiken bedeuten, als wir sie bisher kannten. Deshalb bedarf Paragraf 2 einer Klarstellung.

SZ: Was bedarf noch der Klarstellung?

Schwind: Nehmen Sie den "offenen Vollzug", der derzeit im Gesetz als "Regelvollzug" bezeichnet wird. Mit dieser Regelung lügt sich das Gesetz in die Tasche, weil sich die Klientel so verändert hat, dass der offene Vollzug nicht mehr als Regelvollzug in Betracht kommt. Auf der anderen Seite würde ich mir wünschen, dass die Sozialtherapie künftig anders geregelt wird. Sozialtherapie hat eine Vorreiterfunktion, hier sollte ausprobiert werden, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgreich sind und welche nicht. Der Bundesgesetzgeber hat aus der Sozialtherapie eine Unterbringungsanstalt für Sexualstraftäter gemacht, die aber erfahrungsgemäß schlecht therapierbar sind.

SZ: Sie wollen mehr wissenschaftliche Forschung in der Anstalt?

Schwind: Ja. Wir brauchen die Rückkopplung wie in der Medizin. Jeder will zum Beispiel wissen, ob eine Medizin erfolgreich ist oder nicht. Im Strafvollzug scheint man sich darum nicht kümmern zu wollen. Für den Strafvollzug interessiert, ob die Chancen, die Gefangenen zum Beispiel durch berufliche Ausbildung eingeräumt werden, dem Rückfall vorbeugen oder nicht.

SZ: Bisher ist im Bundesgesetz die Einzelbelegung von Zellen vorgeschrieben; oft wird das nicht eingehalten. Schon jetzt haben Landesjustizminister angekündigt, dass sie den jetzt rechtswidrigen Zustand legalisieren, also die Mehrfachbelegung möglich machen werden.

Schwind: Im Vordergrund steht eher, dass den Ländern die Raumkapazitäten fehlen. In Zeiten leerer Kassen fehlt das Geld für Neubauten.

SZ: Fürchten Sie, dass die Länder künftig die Gefängnisse von Privatfirmen betreiben lassen?

Schwind: Die Kernaufgaben lassen sich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf Privatfirmen übertragen.

SZ: Sie kritisieren den Bund, weil er notwendige Reformen nicht gemacht hat. Sie kritisieren den geplanten Übergang der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder, weil die womöglich den Strafvollzug kaputt sparen. Wer soll denn dann, bitteschön, überhaupt zuständig sein?

Schwind: Der Reformstau ist unbefriedigend; ein Negativbeispiel ist der Jugendstrafvollzug, dem noch immer die gesetzlichen Grundlage fehlt. Der Bund ist offenbar nicht ausreichend reformfähig. Wenn jedes Land seine eigenen Strafvollzugsgesetze macht, führt das aber zur Rechtszersplitterung. Wie kommt man aus dieser Falle heraus? Ich schlage vor: Die Länder sollten selber entscheiden können, welche Reformen durchgeführt werden - aber nicht jedes für sich, sondern mit Zweidrittelmehrheit in der Justizministerkonferenz. Konkret: Wenn elf Bundesländer künftig einer Mehrfachbelegung der Zellen zustimmen, dann sollte das der Bund akzeptieren und nur noch als Notar zustimmen. Ein solches Verfahren würde auch sicherstellen, dass nicht populistisch und vorschnell nach irgendeinem Ereignis etwas geändert wird. Das würde aber auch sicherstellen, dass Reformen nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden.

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