Strafrecht:Mörderisch kompliziert

Strafrecht: Fast wie im Fernsehen: Mitarbeiter der Spurensicherung suchen Hinweise, um Täter ausfindig zu machen - Mörder wie Totschläger gleichermaßen.

Fast wie im Fernsehen: Mitarbeiter der Spurensicherung suchen Hinweise, um Täter ausfindig zu machen - Mörder wie Totschläger gleichermaßen.

(Foto: imago)

Deutsche definieren Tötungsdelikte ganz anders als Portugiesen und Franzosen. Das zeigt der Bericht einer Expertenkommission. Jetzt soll eine Reform her.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Kürzlich hat eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Expertenkommission ihre Vorschläge zur Änderung des Mordparagrafen vorgelegt. Wahr-scheinlich wird keine grundstürzende Re-form daraus, es dürfte eher auf ein paar Korrekturen hinauslaufen. Wer sich als Krimikonsument beim Thema Mord auf sicherem Terrain glaubt, kommt aber bei der Lektüre des 900-Seiten-Berichts womöglich doch ein wenig ins Schleudern. Mord, was ist das überhaupt? Und könnte das Urverbrechen der Menschheit eigentlich auch ganz anders geregelt sein?

Schon im deutschen Recht ist Mord nicht unbedingt das, was die Intuition des Laien nahelegt. Die vorsätzliche, absichtliche, selbst die geplante Tötung eines Menschen ist erst einmal nur ein Totschlag. Für einen Mord muss etwas hinzukommen, das die Tat noch verwerflicher oder gefährlicher macht.

"Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet", heißt es in Paragraf 211 des Strafgesetzbuchs (StGB). Ein regelrechtes Panoptikum also. Rachsucht und Rassismus, Brutalität und Geldgier, der blinde Vernichtungswille des Täters: Solche Dinge machen den Totschlag zum Mord.

Mord als qualifizierte Tötung

Schaut man in die Strafgesetze anderer Länder, findet man zunächst einmal viele Ähnlichkeiten, wie eine Studie von Hans-Georg Koch vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zeigt. Auch Portugal kennt Grausamkeit und Habgier, Mordlust und Befriedigung des Geschlechtstriebs als Voraussetzungen einer "qualifizierten Tötung", wie der Mord dort heißt.

Das Gesetz der Spanier enthält die Heimtücke, jenes der Italiener die niedrigen Beweggründe und die Verdeckung einer Straftat. Eine interessante Parallele besteht zur Türkei: Dort gelten "Blutrache" und der "Ehrenmord" als besonders verwerflich, die Täter werden wegen Mordes bestraft. Die deutschen Gerichte sehen das ebenso, sie stufen solche Taten üblicherweise als Mord aus "niedrigen Beweggründen" ein.

Es gibt aber auch markante Besonderheiten. Russlands Strafgesetz etwa nennt den Auftragsmord, ebenso die Tötung im Zusammenhang mit Raub, Erpressung und Bandentum - das mag auf die Morde der Mafia gemünzt sein. Im romanischen Rechtskreis wird die Familie hochgehalten, in Frankreich, Italien, Portugal und Belgien gilt die Tötung eines Verwandten als besonders strafwürdig. Einige Länder stellen sogar bestimmte Amtsträger unter besonderen Schutz: In Frankreich einen Justizangehörigen oder Polizisten zu töten, ist "meurtre" - darauf steht lebenslange Haft.

Kühl kalkuliert

Und die "geplante" Tat? Sie macht tatsächlich in einer ganzen Reihe von Gesetzen aus der Tötung einen Mord, beispielsweise in der Türkei, aber auch in Rumänien ("mit Absicht") und in Portugal ("kaltblütig"). Am häufigsten kommt die Formulierung "mit Vorbedacht" vor, sie findet sich in Finnland, Frankreich, Italien, Tschechien und Luxemburg. Auch in Großbritannien und in den Gesetzen vieler US-Bundesstaaten macht die Absicht die Tat zum besonders schweren Verbrechen: Bei "intentional killing" spricht man etwa in Pennsylvania von einem Mord im ersten Grad ("murder in the first degree").

Der kühl kalkulierende Täter, das ist daraus zu schließen, gilt als besonders gefährlich, für ihn ist eine besonders harte Strafe vorgesehen. Im Umkehrschluss heißt das: Milder bestraft wird, wer in einer "allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung" (Österreich) oder dem Einfluss einer "nachvollziehbaren starken Emotion" (Portugal) tötet. Wurzeln hat dieses "Überlegungsprinzip" übrigens auch im deutschen Recht; dass viele Menschen bis heute den Mord mit "Planung" in Verbindung bringen, mag dort seine Ursache haben.

StGB 1813: Entleibung mit Vorbedacht

Im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 hieß es: "Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft." Gleiches galt nach dem bayerischen StGB von 1813, wenn der Täter "die von ihm verursachte Entleibung mit Vorbedacht beschlossen oder mit Überlegung ausgeführt hat".

Anfang des 20. Jahrhunderts geriet dieser Ansatz aber in die Kritik, weil danach zum Beispiel die - geplante - Tötung eines Schwerkranken aus Mitleid als Mord geahndet werden musste, und zwar mit der Todesstrafe. Abgeschafft wurde es aber letztlich im Jahr 1941, als das NS-Regime den Mordparagrafen heutiger Fassung erließ: Es sollte nicht nach "verstandesmäßigen, sondern nach sittlichen Maßstäben bestimmt" werden, wer ein Mörder sei. Wenn man an die sittlichen Maßstäbe der Nazis denkt, hat das einen grausigen Beiklang.

Andre sind flexibler

Ziemlich allein steht Deutschland im internationalen Vergleich mit seinem starren Strafautomatismus da. Auf Mord steht zwingend lebenslang, Ausnahmen sind nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen - auch wenn die Gerichte etwa in den äußerst seltenen "Haustyrannen"-Fällen die verzweifelte und gequälte Frau, die sich nicht anders zu helfen wusste, doch milder bestrafen.

Die meisten anderen Länder haben dagegen flexiblere Systeme - "Strafrahmen", die es den Gerichten erlauben, die besonderen Umstände des Verbrechens in der Strafhöhe abzubilden. Dänemark etwa hat eine Mindeststrafe von fünf Jahren, die höchste Sanktion heißt lebenslänglich.

Sitzen die Mörder in Deutschland deshalb länger? Der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig hat nachgewiesen, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Schaut man sich die Mindestdauer an, die ein zu lebenslang Verurteilter qua Gesetz im Gefängnis verbringen muss, rangiert Deutschland mit 15 Jahren eher am unteren Ende der Skala. Zwar können in Dänemark und Finnland "Lebenslängliche" nach zwölf, in Schweden gar nach zehn Jahren entlassen werden.

Auf Mord steht lebenslang

In der Mehrzahl der Staaten liegt das Minimum allerdings bei 20 oder 25 Jahren, in der Republik Moldau und Estland sogar bei 30. Und dort, wo die lebenslange Haft abgeschafft worden ist, sind zum Teil saftige Höchststrafen an deren Stelle getreten - bis zu 45 Jahre in Bosnien-Herzegowina. Norwegen mutet mit maximal 21 Jahren zwar noch vergleichsweise milde an, aber auch dort kann die Haft in die Verlängerung gehen. Der Amokläufer Anders Breivik wurde beispielsweise zu einer 21-jährigen Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt - die dann schrittweise um je fünf Jahre verlängert werden kann.

Als sich die Expertenkommission für einen flexibleren Strafrahmen auch in Deutschland aussprach, warnten die Kritiker, damit könnte sich in der deutschen Justiz eine unziemliche Milde für Mörder breitmachen.

"Auf Mord steht lebenslang. Und das muss auch so bleiben. Ohne Wenn und Aber", forderte Bayerns Justizminister Winfried Bausback. Der Vergleich zum Nachbarland Schweiz zeige, dass diese Sorge wohl unbegründet sei, schreibt Koch. Doch sei im Jahr 1990 die zwingende Verhängung von lebenslang bei Mord abgeschafft worden - eine Erosion der Höchststrafe sei gleichwohl nicht zu beobachten.

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