Straches Rücktritt:Der Tag, an dem Österreich bebte

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Bis zu 15 000 Menschen demonstrierten am Nachmittag auf dem Wiener Ballhausplatz. (Foto: dpa)
  • 24 Stunden nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos gibt der österreichische Bundeskanzler Kurz sein erstes Statement ab.
  • Er könne mit der FPÖ nicht mehr zusammenarbeiten, zum nächstmöglichen Termin solle es Neuwahlen geben.
  • Am Abend tritt auch Bundespräsident van der Bellen vor die Presse, bestätigt die Neuwahlen und beendet damit einen langen Samstag in Wien.

Von Leila Al-Serori und Peter Münch, Wien

Und dann ist plötzlich wieder Wahlkampf. Ein langer Samstag geht in Wien zu Ende, draußen wird es schon dunkel, und Bundeskanzler Sebastian Kurz gibt mehr als 24 Stunden nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos sein erstes öffentliches Statement ab.

Er betont die Erfolge seiner Regierung, wie man die "illegale Migration" gestoppt habe, wie man eine Veränderung im Land begonnen habe. Nach etwa vier Minuten wird es aber ernst. Kurz erklärt, dass er in der Koalition mit der FPÖ vieles habe aushalten müssen. Die Aussagen seines Vizekanzlers Heinz-Christian Strache auf den Aufnahmen seien aber nun zu viel. "Genug ist genug", sagt Kurz. Er könne mit der FPÖ nicht mehr zusammenarbeiten, zum nächstmöglichen Termin solle es Neuwahlen geben.

Der Vizekanzler sagt, was nicht mehr zu vermeiden war

Kurz zieht damit die Konsequenzen aus einer Affäre, die in Österreich ein Beben ausgelöst hat, Nachbeben inklusive. Seit die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel am Freitag um 18 Uhr ein Video publik gemacht haben, das den FPÖ-Chef zusammen mit seinem politischen Ziehsohn Johann Gudenus im Sommer 2017 auf Ibiza zeigt, wo die beiden mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte Geschäfte auf Gegenseitigkeit besprachen, sind alle Machtgewissheiten ins Wanken geraten. Strache und auch Gudenus überleben diese Falle nicht einmal einen Tag.

Der Vizekanzler sagt zur Mittagszeit in seinem Ministerium in der Wiener Innenstadt, was nicht mehr zu vermeiden war- dass er zurücktritt, als Vizekanzler und auch als Parteichef. "Aus Verantwortung."

Auf Straches langen Aufstieg folgt nun ein jäher, tiefer Fall. Wächsern wirkt er, sichtlich angeschlagen und erschöpft, als er ein letztes Mal in seinem Ministerium vor der weißen Wand erscheint, auf der "Vizekanzler" steht. Die Zeit war knapp, aber es hat gereicht, um hier im unvermeidlichen Abgang wenigstens noch eine Doppelstrategie auszulegen: Es geht ums Entschuldigen - und ums Anklagen. Entschuldigen tut Strache sich für einen "katastrophalen und äußerst peinlichen" Auftritt in dem heimlich aufgenommenen Video. "Das war eine b'soffene G'schicht", versucht er zu erklären, "ein typisch alkoholbedingtes Machogehabe". Die "attraktive Gastgeberin", so sagt er, habe er beeindrucken wollen. "Teenagergehabe", schiebt er nach. Persönlich bittet er erst den Bundeskanzler um Entschuldigung, dann wendet er sich direkt an seine Frau: "Philippa, es tut mir aufrichtig leid", sagt er. "Ich kann verstehen, dass du verletzt und enttäuscht bist."

15 000 Menschen demonstrieren in Wien

Die Stimme wird da brüchig, und in den Augen stehen Tränen. Doch schon im nächsten Augenblick schaltet er um auf Teil zwei der Strategie. Er inszeniert sich als Opfer finsterer Mächte. Viele Intrigen habe er schon erlebt, erklärt er, doch diese sei "an Perfidie und Niederträchtigkeit nicht zu übertreffen". Als Urheber diese Falle legt er Fährten aus zum politischen Gegner, zu "kriminellen Netzwerken", und gleich mehrfach spricht er von einer "geheimdienstlich gesteuerten Aktion". Sein Fazit: "Das war ein gezieltes politisches Attentat." Wenn er schon gehen muss, soll wenigstens die Partei noch an der Macht bleiben. An Norbert Hofer will er übergeben, den Infrastrukturminister und bisherigen Parteivize.

Wenige Meter entfernt von seinem Ministerium hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Menge versammelt, die erst nur aus ein paar Einzelnen besteht und im Verlauf der Stunden bis zum späten Nachmittag auf 15 000 Menschen anschwillt. Trillerpfeifen sind dabei und Rote Karten, die manche in die Höhe halten. Es ist eine bunte Versammlung, auf der die Fahnen der liberalen Neos und der "Antifaschisten Aktion" wehen. Auf den Schildern steht "Anklagebank statt Regierungsbank" oder einfach nur "Nastrowje und Baba", Prost und Auf Wiedersehen. Was die Menge will, das macht sie in Sprechchören klar: "Neuwahlen, Neuwahlen."

Und die gibt es nun tatsächlich, wie am späteren Abend auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärt. Die heutigen Rücktritte seien nur ein erster Schritt, alles weitere werde am Sonntag mit Kanzler Kurz besprochen. Da soll es dann wohl auch darum gehen, ob die FPÖ-Minister wirklich bis zu den Neuwahlen, die im September stattfinden könnten, im Amt bleiben können - oder nicht doch noch für die wenigen Monate eine Neuaufstellung kommt. Am Ende würdigt Van der Bellen den unabhängigen Journalismus: "Die vierte Macht hat in diesem Fall ihre Verantwortung voll wahrgenommen".

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