Süddeutsche Zeitung

Störung des virtuellen Holocaust-Gedenkens:"Ich finde das unmenschlich"

Unbekannte haben bei einer virtuellen Holocaust-Gedenkveranstaltung Hitler-Bilder und pornografisches Material gepostet. Israels Botschafter in Berlin, Jeremy Issacharoff, spricht von einer "unerhörten Respektlosigkeit".

Interview von Thorsten Schmitz

Unbekannte haben am Montag eine virtuelle Gedenkfeier zum israelischen Holocaust-Gedenktag gekapert und antisemitische Botschaften gepostet. Die israelische Botschaft hatte wegen der Corona-Ausgangsbeschränkungen zu einer im Netz frei zugänglichen "Erinnerung im Wohnzimmer" eingeladen. Botschafter Jeremy Issacharoff erzählt im Gespräch, wie er den Zwischenfall erlebt hat - und was er von der Politik fordert.

SZ.de: Herr Issacharoff, Sie mussten die digitale Holocaust-Gedenkstunde Ihrer Botschaft abbrechen. Was war passiert?

Jeremy Issacharoff: Gestern Abend begann mit Sonnenuntergang der Holocaust-Gedenktag Yom HaShoah. Wegen der Corona-Ausgehbeschränkungen hatten wir beschlossen, diesen über das Internet, mit der Videogesprächsplattform "Zoom" abzuhalten. Wir hatten den Holocaust-Überlebenden Tswi Herschel aus Israel zugeschaltet. Er hat fast alle seine Familienangehörigen in der Schoah verloren. Aber schon kurz nach Beginn unserer Veranstaltung um 20 Uhr tauchten Teilnehmer mit anonymen Profilen auf, die Bilder von Adolf Hitler und auch pornografisches Material hochluden. Einige schrien "Palästina" auf Englisch.

Wie haben Sie reagiert?

Mit Entsetzen. Yom HaShoah ist ein sehr trauriger Gedenktag, in Israel ertönen für zwei Minuten Sirenen im ganzen Land, das gesamte öffentliche Leben steht dann still. Es ist ein Tag, an dem man in vielen Zeremonien der Opfer gedenkt und die Überlebenden würdigt. Dass an einem solchen Gedenktag, an dem ein Mensch wie Tswi Herschel davon erzählt, was er im Holocaust hat durchmachen müssen, Antisemiten Hitler-Bilder hochladen, ist eine unbeschreibliche Schande. Es ist auch eine unerhörte Respektlosigkeit gegenüber der Würde eines Menschen wie Tswi Herschel.

Haben Sie die Gedenkveranstaltung zu Ende führen können?

Wir haben die Übertragung für einen kurzen Moment unterbrochen und uns dann entschieden, sie fortzusetzen. In der Fortsetzung haben wir dann nur jene Teilnehmer, die sich zuvor angemeldet hatten, in die digitale Veranstaltung aufgenommen, von dem wir sicher sein konnten, es handelt sich nicht um anonyme Störer.

Antisemitische Zwischenfälle sind in Deutschland an der Tagesordnung. Dass eine Holocaust-Gedenkveranstaltung gestört wird, gab es bislang nicht.

Meine erste Reaktion auf die Störung gestern Abend war deshalb auch absolute Fassungslosigkeit. Ich bin seit drei Jahren israelischer Botschafter in Deutschland, und was mich beeindruckt, ist der tiefe Respekt der meisten Deutschen gegenüber dem Gedenken an den Holocaust. Ich finde es bis jetzt, während wir sprechen, schwierig, zu akzeptieren, was passiert ist. Es überrascht mich nicht, dass die Störer anonym gehandelt haben, wohl auch, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Sie sind seit drei Jahren Botschafter in Deutschland. Antisemitismus ist ja - leider - Alltag.

Es gibt antisemitische Äußerungen, es gibt Neonazi-Demonstrationen und viele antisemitische Zwischenfälle, die mich sehr besorgen, aber auch ähnliche Zwischenfälle in Europa und den USA. Aber was mich gestern wirklich überrascht hat, ist, dass es Menschen gibt, die eine ernste, würdevolle Schoah-Veranstaltung auf so eine krasse, eklatante Weise stören. Ich finde das unmenschlich. Das war ja auch gar keine politische Veranstaltung, es ging nur um Erinnerung an die Opfer und Respekt vor den Überlebenden. Politik hat da gar keine Rolle gespielt.

Haben Sie eine Ahnung, wer hinter der Aktion stecken könnte?

Da die Störer auch "Palästina" gerufen haben, könnte man spekulieren, dass die antiisraelische Boykottbewegung BDS hinter dem Zwischenfall steckt. Aber es können auch Neonazis gewesen sein. Wir sind uns nicht sicher.

In ein paar Tagen gedenkt Israel der gefallenen Soldaten am Yom HaZikaron. Planen Sie wieder eine Veranstaltung?

Ja. Aber es ist traurig, dass wir im Jahre 2020 in Deutschland diesen Gedenktag mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen begehen müssen, gerade jetzt, wo wir erleben, dass diese virtuellen Zusammenkünfte auch missbraucht werden können.

Reicht Ihnen, wie die Politik auf Antisemitismus reagiert?

Was mich ermutigt hat, sind die Reaktionen einiger Politiker. Außenminister Heiko Maas etwa hat sofort getwittert, als er vom Zwischenfall gestern erfahren hat. Ich möchte aber auch ganz klar sagen: Wenn Politiker in Deutschland sagen "Nie wieder!", müssen diesem Ausspruch auch Taten folgen. Antisemitismus ist nicht etwas, was nur eine Gefahr für Juden und Israelis darstellt. Sondern Antisemitismus ist eine Bedrohung für Deutschlands Gesellschaft, was ihre Toleranz und ihre demokratische Verfassung betrifft. Es muss alles getan werden - das ist ein politischer und moralischer Imperativ - um sicherzustellen, dass die Erinnerung an den Holocaust nicht gelöscht wird und jetzt, in der Gegenwart, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Hass keinen Platz haben in Deutschlands Gesellschaft. Es darf null Toleranz geben, weder bei Angriffen wie jenem in Halle auf die jüdische Gemeinde noch bei jenem auf Shisha-Bars in Hanau.

Wie hat Ihr Gast auf die Stör-Aktion reagiert?

Tswi Herschel ist ein sehr beeindruckender Mensch. Ich habe heute mit ihm gesprochen. Er hat den Holocaust überlebt, er schien mir von diesem Zwischenfall unbeirrt und wird sich nicht abhalten lassen, weiter von seinen Erfahrungen zu berichten.

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