Störtebeker:Geköpfte Legende

War Störtebeker doch kein Pirat? Eine Ausstellung rüttelt an den Grundfesten der hanseatischen Mythologie.

Von Peter Burghardt

Er steht in Hamburgs Hafencity, Störtebeker-Ufer, in Bronze gegossen. Seine Hände sind gefesselt, aber seinen Kopf trägt er aufrecht, obwohl er sein Haupt ungefähr hier verloren haben soll. Am 20. Oktober 1401, so die Legende, wurden Klaus Störtebeker und seine Kumpanen geköpft, nachdem sie vor Helgoland gestellt worden waren. "Gottes Freund, der Welt Feind", steht auf dem Denkmal. Sein angeblich echter Schädel, 1878 zufällig ausgegraben und 2010 vorübergehend geklaut, lässt sich im Museum der Hamburger Geschichte besichtigen, von einem Nagel durchbohrt. Solch aufgespießte Köpfe wurden seinerzeit an der Elbe aufgestellt, zur Abschreckung. Und jetzt: alles Fake?

In Lübecks Hansemuseum findet gerade eine Ausstellung statt, Titel: "Störtebeker & Konsorten - Piraten der Hansezeit?" Bereits das Fragezeichen stellt die schaurige Geschichte infrage, denn schon beim Wort Piraten kommen Zweifel auf. Der Historiker Gregor Rohmann weist in den Lübecker Nachrichten darauf hin, dass der Begriff nicht weiterhelfe, weil auf den Meeren seinerzeit jeder bereit gewesen sei, Gewalt anzuwenden; das internationale Seerecht war noch nicht so ausgeprägt. Und bei dem vermeintlichen Klaus Störtebeker, dieser ikonischen Gestalt, handelt es sich laut seinen Recherchen um Johann Störtebeker, der kein Outlaw war, sondern Kaufmann und Kapitän aus Danzig. Gelebt habe er bis 1413.

Das rüttelt schwer an den Grundfesten der hanseatischen Mythologie. Sein Kopf wäre ihm demnach eher nicht 1401 am Rande der späteren Speicherstadt abhandengekommen, dabei ist die Episode so schön gruselig. Gemäß der populären Erzählung hatte er vor seiner Hinrichtung mit dem Hamburger Bürgermeister vereinbart, dass diejenigen seiner Männer begnadigt würden, an denen er nach seiner Enthauptung vorbeilaufen würde. Elf Mann soll er kopflos geschafft haben, dann stellte ihm der Henker ein Bein.

Störtebeker ist in Hamburg und darüber hinaus ungefähr so berühmt wie Uwe Seeler oder Helmut Schmidt. Vom Staatsfeind Nummer eins zu Marke und Monument - eine beachtliche Karriere. Selbstverständlich heißt das Restaurant in der Elbphilharmonie standesgemäß Störtebeker, es gibt in dieser Stadt auch einen Störtebeker-Cup (Rugby) und Störtebeker-Solidaritätskaffee. Überregional forderte die Linke mal eine "Störtebeker-Abgabe" für Reiche, außerdem feiern auf Rügen jedes Jahr Hunderttausende die Störtebeker-Festspiele. Das macht seine Entzauberung natürlich enorm heikel. Also doch kein Klaus Störtebeker? Kein sozial gestimmter Freibeuter, kein segelnder Retter der Enterbten, kein Robin Hood aus Nord- und Ostsee?

Die Ursprünge des Mythos werden bei einem Chronisten im 15. Jahrhundert vermutet, danach hat sich die Sache offenbar wunderbar verselbständigt. Rohmann sagt, er habe nur das Puzzle aus gedruckten Quellen neu zusammengesetzt und ein anderes Bild bekommen. Als Historiker, räumt er in einem Interview mit der Gerda-Henkel-Stiftung ein, für die er derzeit forscht, "sollte man wahrscheinlich kein Projekt anfangen, bei dem es um jemanden geht, für den andere Leute Denkmäler aufstellen".

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