Stimmung an der SPD-Basis:"Rot-Rot-Grün - alles andere ist Verrat"

Geht es nach den Umfragen, ist eine große Koalition das beliebteste Bündnis. Auch unter SPD-Anhängern. Im Netz allerdings formiert sich der Widerstand der Genossen an der Basis. Ein Spaziergang durch die Internetforen der Sozialdemokraten.

Von Thorsten Denkler, Berlin

"Kein Grund zur Unruhe." So überschreibt die Social-Media-Redaktion der SPD ein Interview mit der Vize-Parteichefin Manuela Schwesig im Deutschlandradio, das sie auf der Facebook-Seite der Sozialdemokraten verlinkt hat. Was darunter steht, ist allerdings alles andere als ruhig. Mehr als 300 Kommentare reihen sich an dieses eher harmlose Interview vor Beginn der Sondierungsgespräche mit der Union, die an diesem Freitag in der parlamentarischen Gesellschaft in Berlin beginnen.

Unverständnis, Wut, Empörung. So reagieren hier Mitglieder und Sympathisanten der SPD auf die Bestrebungen der Parteispitze, eine Koalition mit der Union einzugehen.

Es ist ein wenig so wie im Jahr 2003, als sich in der SPD der Widerstand gegen die Agenda-Reformen von Kanzler Gerhard Schröder formierte. Jetzt ist es der Widerstand gegen eine große Koalition, der auch einen möglichen Mitgliederentscheid zu einem unkalkulierbaren Risiko werden lassen kann.

"Nicht von den Gefahren verrückt machen lassen"

Ein Nutzer mit dem Namen James T Guerrier schreibt da noch ganz nüchtern: "Die CDU hat gewonnen und soll regieren. Unsere SPD muss in die Opposition gehen." Und erntet dafür 29 fast durchgängig zustimmende Antworten. Lediglich ein Roberto Fanullone findet: "Wer zur Wahl antritt, ist auch in der Pflicht, notfalls in die Regierung zu gehen." Er empfiehlt der SPD, sie solle "etwas mehr Selbstbewusstsein haben und sich nicht von den Gefahren verrückt machen lassen, die bei den nächsten Wahlen kommen können".

Mit dieser Haltung, die auch die Parteispitze versucht zu kommunizieren, steht Fanullo ziemlich alleine da. Für Harald Gehse steht fest: "Opposition wäre wirklich eine Möglichkeit, Merkel in die Schranken zu weisen." Christian Fehrenbacher findet, dass es nicht Sache der SPD sei, Merkel im Amt zu halten. "Soll die doch eine Minderheitsregierung machen", schreibt er. Und selbst wer eine Minderheitsregierung als "Tagträumerei" hinstellt wie Klaus Rünnenburger, findet: "Dann lieber Neuwahlen und die FDP wieder drin."

Für Rolf Stirner ist klar: Die SPD muss in die Opposition. "Die SPD könnte auch in der Opposition wirksam werden, vor allem, wenn man an den Bundesrat denkt. Daher gäbe es ein Druckmittel, um auf Augenhöhe zu verhandeln." Er schreibt dann einen Satz, der in den Kommentaren oft zu lesen ist: "Mir ist es egal, denn bei der Mitgliederabstimmung werde ich ohnehin gegen eine große Koalition votieren." Und: "An dem Tag, an dem die SPD eine Koalitionsvereinbarung mit Merkel unterschreibt, geht mein Parteibuch nach über 40 Jahren mit nicht sehr freundlichen Grüßen zurück an die Partei."

Schweigende Mehrheit

Die meisten Kommentatoren halten alles für besser als eine SPD neben der Union auf der Regierungsbank. "Was ist eigentlich so schwer daran zu verstehen: Schwarz-Gelb wurde abgewählt, Rot-Rot-Grün hat die Mehrheit?", fragt Rose Eggert. "Wenn die SPD das nicht nutzt und somit ihre sozialen Ziele aufgegeben hat, kann sie auch gleich mit der Union fusionieren." So sieht das auch Gerhard Schwing: "Die SPD sollte der CDU/CSU den Stinkefinger zeigen und Rot-Rot-Grün eine Regierung bilden."

Ulrich Thorhauer fordert seine Partei "als Mitglied der SPD und bekennender linker Sozialdemokrat" auf, keine Koalition mit der CDU/CSU einzugehen. "Unser Ziel sollte sein, wieder die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Basis einer linken Mehrheit gegen die Gewinnler des Globalisierungswahns zu vertreten."

Dass die komplette Parteiführung vor der Wahl eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen hat, interessiert Reinhard Körner nicht. "Rot-Rot-Grün, das wäre 'Wortbruch' an wem auch immer. Aber Schwarz-Rot wäre Wortbruch an der Mitgliedschaft! - Und an den Wählern!"

Michel Brüning ist da zurückhaltender. Er vertraue den Vorderleuten der Partei, dass die sich "nicht zum Affen machen bei Frau Merkel". Er finde "gut, wenn jetzt Sondierungsgespräche geführt werden, und dann wird man weiter sehen." Eine Einzelmeinung in dem SPD-Forum.

Die Grundstimmung fasst Meike Gutkuhn zusammen: "ROT-ROT-GRÜN. Bitte! Alles andere ist Verrat!"

48 Prozent befürworten große Koalition

Der Widerstand geht noch viel weiter: In dem tumblr "groko-neindanke" haben sich bereits mehr als 140 Orts- und Kreisverbände der SPD vor allem aus Nordrhein-Westfalen gegen eine Koalition mit der Union ausgesprochen. Es kursieren unterschiedliche Resolutionen wie hier, Petitionen und/oder Unterschriftensammlungen wie diese hier gegen ein solches Bündnis.

Nur in Umfragen scheint die große Koalition durchaus gewollt zu sein. Mit 48 Prozent wünscht sich fast jeder zweite Deutsche so ein Bündnis. Unter den SPD-Anhängern sind es nach Zahlen des ARD-Deutschlandtrends sogar 56 Prozent. Das scheint eine schweigende Mehrheit zu sein. Zu lesen ist von den Befürwortern einer großen Koalition im Internet kaum etwas.

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