Stimmung an der SPD-Basis:"Es ist doch Wahnsinn, was in Deutschland passiert"

Wahlkampfabschluss der SPD Brandenburg

Wie finden SPD-Mitglieder von der Basis die Entscheidung über den neuen Vorstand?

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die SPD-Basis hat eine neue Parteispitze gewählt und damit die Bundesregierung in Bedrängnis gebracht. Und nun? Die einen wollen nach links, die anderen sorgen sich - und alle hoffen auf den Parteitag in Berlin.

Protokolle von Benedikt Peters und Christian Simon

In den vergangenen Tagen wurde viel geschrieben über die Basis der SPD. Denn sie war es ja, die für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue Parteispitze gestimmt hat, wenn auch mit einem knappen Ergebnis bei nur etwa 50 Prozent Wahlbeteiligung. Der Parteitag am Freitag in Berlin wird die Entscheidung voraussichtlich abnicken. Die SPD steht damit vor großen Fragen, die nicht nur die Zukunft der Partei betreffen, sondern auch die der Bundesregierung. Wie ist nun die Stimmung an der Basis? Wir haben uns umgehört.

Irmi Ammer, 65, SPD Holzkirchen

Irmi Ammer 65 SPD Holzkirchen

Irmi Ammer, 65.

(Foto: Foto: Sonja Calvert)

"Ich habe für Esken und Walter-Borjans gestimmt. Der Walter-Borjans war einmal bei uns im Oberbräusaal in Holzkirchen und hat über den Ankauf der Steuer-CDs berichtet. Das hat mich persönlich sehr beeindruckt. Der traut sich was, habe ich gedacht. Aber jetzt bei der Wahl der neuen Parteispitze hat das nicht den Ausschlag gegeben. Ich finde noch wichtiger, dass wir wieder mehr für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Und das geht am besten mit neuen Köpfen.

Es ist doch Wahnsinn, was gerade in Deutschland passiert. Die einen erben Milliarden, die anderen verlieren ihre Arbeit und ihre Ersparnisse und rutschen dann in Hartz IV. Die Leute sammeln Flaschen, um über die Runden zu kommen. Oder sie stehen an Tafeln an, weil sie sich nichts mehr zum Essen leisten können. Gar nicht erst zu reden von den horrenden Mieten und den verarmten Rentnern. Das geht doch nicht in so einem wohlhabenden Land!

Vom Parteitag in Berlin sollte ein Signal ausgehen, dass es so nicht weitergeht. Die SPD muss nicht grüner werden als die Grünen. Sondern sie muss wieder stärker für Gerechtigkeit eintreten. Sie muss die Spaltung des Landes überwinden. Das heißt nicht, dass wir jetzt Hals über Kopf die große Koalition verlassen sollten. Walter-Borjans und Esken sollten besser eine langfristige Strategie entwickeln, die zeigt, dass die Partei sich wieder auf ihre Wurzeln besinnt. Und wenn sich die Union gar nicht bewegt, na gut: Dann müssen wir eben das Risiko von Neuwahlen eingehen."

Leif Knape, 29, SPD Marl

Leif Knape, 29, SPD-Protokolle

Leif Knape, 29.

(Foto: Privat)

"Ich habe im ersten Wahlgang für ein Team gestimmt, das jetzt nicht mehr dabei war. In der Stichwahl habe ich mich der Stimme enthalten. Ich bin zufrieden mit dem Prozess und Ergebnis, denn ich habe beiden Teams zugetraut, die SPD positiv zu verändern. Eine inhaltliche Präferenz hatte ich zu Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, aber ich konnte auch in dem anderen Team viele Stärken sehen. Meine Enthaltung war also keine Entscheidung gegen die Teams, die zur Auswahl standen.

Ich hoffe, dass das Ergebnis nicht zu einer Spaltung innerhalb der Partei führt. Die wichtigste Aufgabe des neuen Vorstands wird es sein, die Partei wieder zu einen. Für mich ist da die zentrale Frage, wie wir miteinander diskutieren, damit wir hinterher nicht auseinandergehen und sagen: 'Wir wollen dem anderen jetzt nicht mehr zuhören.' Und da traue ich Ewabo eine Lösung zu.

Die Erwartungen an den Parteitag und den Leitantrag der beiden sind, glaube ich, von vielen Seiten etwas überzogen. Einige scheinen erwartet zu haben, dass sie ein linkes Grundsatzprogramm vorlegen. Ich glaube, mit einem etwas gemäßigtem Auftritt wollen sie in erster Linie befrieden. Ich sehe jetzt wirklich die Chance, diese Partei nicht nur inhaltlich grundsozialdemokratisch auszurichten, sondern auch ein neues Miteinander zu begründen. Denn egal, ob wir in der Sache streiten, uns sollte klar sein, dass wir alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind. Wir teilen eine gewisse Wertebasis. Das muss jetzt ganz weit vorne stehen. Insofern bin ich positiv gestimmt und freue ich mich auf die Zukunft dieser Partei."

Heinrich Führmann, 76, SPD Garching

SPD-Streitgespräch

Heinrich Führmann, 76.

(Foto: Daniel Hofer)

"Ich bin überzeugt, dass die große Koalition bisher gut gearbeitet hat. Sie hat das Kindergeld und das Bafög erhöht, auch in die Kitas soll mehr Geld fließen. Den Krankenkassenbeitrag müssen wieder zur Hälfte die Arbeitgeber übernehmen, und das Pflegepersonal soll besser bezahlt werden. Auch die Grundrente, um die ja gerade wieder gestritten wird, halte ich für eine wichtige Sache. Das sind alles gute, sozialdemokratische Inhalte.

Das Problem ist, dass das alles nicht vernünftig kommuniziert wurde. Es fehlt eine Vision, ein Generalthema, unter das die SPD ihre Arbeit gestellt hätte. Das Klein-Klein kommt bei den Bürgern nicht an. Deshalb habe ich, obwohl ich insgesamt ein Groko-Befürworter bin, für die neue Parteiführung gestimmt. Wir brauchen ein Aufbruchssignal.

Aber Esken und Walter-Borjans sollten die Regierung jetzt nicht aufs Spiel setzen, nur weil sie das zunächst leichtfertig angekündigt haben. Wenn sie den Parteitagsbeschluss von 2018 ernst nehmen, demzufolge es eine ehrliche Halbzeitbilanz der Koalition geben soll, dann müssen sie erkennen, dass viel erreicht wurde. Außerdem wird die Gesellschaft vom rechten Rand aus bedroht, die AfD ist zu stark. Für das Land wäre es besser, in der Regierung zu bleiben."

"Der Personalwechsel wir uns nicht reichen"

Susanne Danhier, 62, SPD Bargteheide

Susanne Danhier SPD Bargteheide

Susanne Danhier, 62.

(Foto: Bernd Marzi; Bernd Marzi)

"Über das Ergebnis der Wahl der neuen Parteichefs war ich extrem erstaunt. Ich habe für Scholz und Geywitz gestimmt, in erster Linie wegen Scholz. Wir sind Hamburg-nah, wir kennen ihn als Bürgermeister und zuverlässigen Sozialdemokraten. Aber jetzt ist es anders gekommen, und es geht mir damit nicht schlecht. Denn einige Ideen von Walter-Borjans und Esken finde ich sehr gut.

Ich finde auch, dass wir die "schwarze Null" aufgeben sollten, da war ich immer anderer Meinung als Scholz. Der Bund sollte massiv investieren, in den Ausbau von Schienen und Straßen und in den Bau von Schulen. Das sollte bald passieren, denn im Moment haben wir noch eine ganz gut funktionierende Konjunktur. Richtig finde ich auch die Forderung, beim Klimapaket nachzuverhandeln. Das geht bisher nicht weit genug, das muss man noch mal aufrollen.

Wir sollten die große Koalition jetzt nicht sofort verlassen. Man muss anerkennen, dass vor gut eineinhalb Jahren zwei Drittel der SPD-Mitglieder dafür gestimmt haben, dieses Bündnis einzugehen. Der Leitantrag für den Parteitag am Freitag fordert ja eher zu einer Diskussion darüber auf, wie es weitergehen soll. Das ist genau richtig so. Perspektivisch wäre es aber schon gut, wenn sich die SPD einen anderen Partner als die Union suchen würde. Sie sollte auch keine Angst davor haben, in die Opposition zu gehen. Denn in der großen Koalition verwässern ihre Inhalte einfach zu sehr."

Rasha Nasr, 27, SPD Dresden

Rasha Nasr, 27, SPD Dresden

Rasha Nasr, 27.

(Foto: SPD Dresden/Julian Hoffmann)

"Ich habe für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gestimmt. Deshalb freue ich mich gerade auch eigentlich zum ersten Mal über das Ergebnis eines Mitgliederentscheids meiner Partei. Ich arbeite für den Landesverband der SPD Sachsen, und kann da natürlich nicht für alle sprechen - aber in meinem persönlichen Umfeld haben sich die meisten genauso gefreut. Wir sind in Dresden ein linker Unterbezirk und viele Jusos sind bei uns engagiert.

Ich glaube, egal welches Team gewonnen hätte: Die Aufgaben wären so oder so nicht einfach gewesen. Die Argumentation, dass Olaf Scholz nur wegen seiner Erfahrung besser geeignet gewesen wäre, hat mich aber gestört. Ich traue Eskabo zu, dass sie das können, und sie sind ja nicht allein: Es gibt einen Parteivorstand und einen Stab im Willy-Brandt-Haus. Die beiden sind für mich einfach glaubwürdiger in dem Anspruch, die SPD wieder zu einer linken Volkspartei zu machen.

Der Personalwechsel wird uns dabei nicht reichen: Ich glaube, dass man die Menschen nur durch eine progressive sozialdemokratische Politik zurückgewinnen kann, und ich traue Eskabo zu, diese Politik umzusetzen. Trotzdem finde ich es in Ordnung, dass die beiden nicht mit Maximalforderungen auf den Parteitag gehen. Es muss jetzt das Signal gesendet werden, dass wir trotz aller Meinungsunterschiede eine Partei sind und zusammenstehen. Da finde ich einen Leitantrag, der auf die Themen mit der ganz großen Sprengkraft verzichtet, sehr vernünftig.

Ich würde mir wünschen, dass es Walter-Borjans und Esken schaffen, ihr Bild von einer "linken Volkspartei SPD", das sie im Wahlkampf gezeichnet haben, umzusetzen - auch wenn die Parteimühlen manchmal langsam mahlen. Hoffentlich verlieren sich die beiden nicht in Berlin."

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