Süddeutsche Zeitung

Kinderimpfung:Stiko wehrt sich gegen Söder-Kritik

Die Ständige Impfkommission - nur ein ehrenamtliches Gremium, keine Profis? Die Mitglieder sind empört über Äußerungen von Bayerns Ministerpräsidenten. Der müsse sich korrigieren, fordern sie.

Von Christina Berndt und Andreas Glas, München

Die Ständige Impfkommission (Stiko) übt Kritik an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. "Wir sind ja schon einige Wochen gewohnt, dass wir beschimpft werden. Aber Herr Söder hat dem die Krone aufgesetzt", sagte Martin Terhardt, Mitglied der Stiko und Berliner Kinderarzt am Freitag der Süddeutschen Zeitung. Der Hintergrund: In der Debatte um Corona-Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren hatte Söder der Stiko indirekt die Kompetenz abgesprochen. "Wir schätzen die Stiko, aber das ist eine ehrenamtliche Organisation. Die EMA, die europäische Zulassungsbehörde, das sind die Profis", sagte Söder in einem Interview im Bayerischen Fernsehen.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte den Impfstoff der Firma Biontech Ende Mai für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen. Doch die Stiko empfiehlt ihn in Deutschland nicht für alle Kinder und Jugendlichen dieses Alters, worauf Söder seit Tagen drängt, sondern nur für solche mit Vorerkrankungen oder mit Angehörigen, die durch eine Corona-Infektion einem besonderen Risiko ausgesetzt wären. Die Stiko arbeite ganz anders als die EMA und habe auch einen ganz anderen Auftrag, sagte Kommissionsmitglied Terhardt. Die EMA lasse Impfstoffe zu, die Stiko erarbeite für Deutschland die Empfehlung, welche Gruppen damit geimpft werden sollten.

Dabei sei die Stiko "keinesfalls weniger professionell", wie die Kommission am Freitag auch in einer Presseerklärung mitteilte. Söders Äußerungen seien "ungewöhnlich und müssen korrigiert werden", heißt es darin weiter. Die Stiko arbeite "entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag transparent nach streng wissenschaftlichen Kriterien" und "unabhängig von Meinungen und Wünschen von Politikern und der pharmazeutischen Industrie".

Long Covid bei Kindern "bisher nur ungenügend belegte Hypothese"

In der Frage, ob eine allgemeine Empfehlung für die Impfung aller Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren ausgesprochen werden solle, sei sich die gesamte Stiko mit ihren 18 Mitgliedern "sehr einig gewesen", sagte Terhardt. Die wissenschaftliche Datenlage sei nun einmal recht klar: Das Risiko für Minderjährige, infolge einer Corona-Infektion schwer zu erkranken, sei sehr klein. Dass es auch bei Kindern ein langanhaltendes Long-Covid-Syndrom nach der Infektion gebe, sei eine "bisher nur ungenügend belegte Hypothese". Die einzigen guten Studien mit Vergleichsgruppen zu dieser Frage hätten keinen Beleg für Long Covid bei Kindern geliefert. Vielmehr seien Long-Covid-Symptome bei Kindern mit und ohne Sars-CoV-2-Infektion in etwa gleich häufig aufgetreten, was auf andere Ursachen schließen lasse. Dem stünden aber einige seltene Komplikationen der Impfstoffe gegenüber wie die erhöhte Rate für Herzmuskelentzündungen vor allem bei Jungen. "Es kann keiner genau sagen, was das auf lange Zeit bedeutet, auch wenn es in den beobachteten Zellen wohl immer gut gegangen ist", so Terhardt. "Wir erwarten zu alldem einfach noch mehr Daten."

Die Stiko stehe mit ihrer Einschätzung im Übrigen nicht alleine da. In Großbritannien würden lediglich Kinder und Jugendliche mit besonderen Risiken geimpft. Anders als in Deutschland gebe es dort nicht einmal die Möglichkeit für Eltern und Ärzte, die trotzdem den Impfschutz der Jugendlichen wollten, gesunde Kinder und Jugendliche zu impfen.

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