Süddeutsche Zeitung

Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung":Versöhnen oder verhöhnen

Seit ihrer Gründung tritt die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" auf der Stelle. Ihre Ziele gefährden nun Funktionäre mit seltsamem Geschichtsbild. Und Erika Steinbach, Vertriebenbundsvorsitzende und Reizfigur, springt ihnen zur Seite.

Franziska Augstein

Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", die Ende 2008 per Gesetz gegründet wurde, ist seither wenig von der Stelle gekommen - so wenig, dass jüngste skandalträchtige Neuigkeiten von der Öffentlichkeit kaum beachtet wurden. Am 8. Juli hat der Bundestag den neuen, größeren Stiftungsrat gewählt. Zwei der sechs stellvertretenden Mitglieder, die der Bund der Vertriebenen (BdV) benannt hat, sind nun aufgefallen: Sie haben Meinungen geäußert, die Zweifel aufkommen lassen, dass sie sich für das Stiftungsziel "Versöhnung" einsetzen werden.

Da ist zum einen Arnold Tölg, Jahrgang 1934, Präsidiumsmitglied des BdV und bis 2001 CDU-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Im Jahr 2000 gab Tölg der rechtsnationalen Jungen Freiheit ein Interview, in dem er die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter des Nazireiches für ein Unding erklärte. Zum einen seien die Ansprüche dieser Menschen verjährt, zum anderen hätten die Deutschen "Entschädigungsleistungen gigantischer Art" gegeben. So hätten Polen "einen ganzen Bauernhof" bekommen, und Tschechen hätten sich "in komplette Häuser gesetzt". Mit dem Zwangsarbeiterfonds, der zur Hälfte vom Staat, zur Hälfte von der deutschen Wirtschaft finanziert wurde, würden "die Opfer oder die Kinder der Opfer erneut zur Kasse gebeten". Außerdem hätten die Siegermächte viele deutsche Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt.

"Besonders kriegerisch führte sich Polen auf"

Vor zehn Jahren gab es einen parteiübergreifenden Konsens: Den Deportierten, die im Nazireich in vielen Betrieben unter unmenschlichen Bedingungen um ihr Leben arbeiteten, stehe eine Entschädigung zu. Günther Oettinger, im Jahr 2000 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, kritisierte den Parteikollegen Tölg nicht, erklärte aber, dass die Fraktion dessen Ansicht nicht teile.

Auch Hartmut Saenger , 1940 geboren, Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft und ebenfalls Mitglied im Präsidium des BdV, tut sich schwer mit den Einsichten, die in der Bundesrepublik Allgemeingut geworden sind. Im September 2009 veröffentlichte er in der von der Landsmannschaft Ostpreußen publizierten Preußischen Allgemeinen Zeitung einen Text, in dem er die Ursachen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eigenwillig umdeutete: "Alle Großmächte" hätten vor dem Sommer 1939 "eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg" gezeigt. Und: "Besonders kriegerisch führte sich Polen auf." "Erst England" habe "den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Konflikt gemacht." Denn: Deutschland sei aus britischer Sicht "in Europa zu stark geworden". Aus dem nationalsozialistischen Angriffskrieg machte Saenger einen Konflikt unter großen Mächten, zu dessen maßgeblichen Verursachern Polen und Großbritannien gehören.

Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt und Mitglied des wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", hat die Positionen von Tölg und Saenger in der Frankfurter Rundschau kommentiert: Sie verträten Meinungen, "die den Wunsch nach Versöhnung - den Stiftungszweck also - geradezu verhöhnen". Der Historiker Peter Steinbach hat in einem Radiointerview ganz ähnlich gesprochen.

Wofür steht Steinbach?

Daraufhin veröffentlichte Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV, am 28. Juli eine Pressemitteilung. Gerichtet war sie gegen die beiden Wissenschaftler sowie gegen Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen, die gleichfalls die Bestallung von Tölg und Saenger kritisiert hatten. (Vertreter der Linkspartei, die dies auch getan haben, erwähnte Erika Steinbach nicht.) Bezüglich der Kriegsschuldthesen von Hartmut Saenger ließ Erika Steinbach verlauten: "Der dargestellte Sachverhalt gehört zum Grundwissen eines jeden Zeithistorikers." Und Arnold Tölgs Position im Hinblick auf die Zwangsarbeiterentschädigung erteilt sie ihre volle Zustimmung.

Diese Pressemitteilung ist bemerkenswert, weil Erika Steinbach und mit ihr der BdV sich damit offiziell hinter politische Ansichten stellen, die dem Zweck der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zuwiderlaufen.

Was diese Stiftung angeht, waren die Grünen und die Linke stets überwiegend skeptisch. Die SPD hat das Projekt, angetrieben erst von Peter Glotz und dann von Wolfgang Thierse, mit Engagement befördert. Noch bei der Abstimmung über den Stiftungsrat am 8. Juli empfahl Thierse den Parteigenossen, Ja zu sagen. Mit einer Ausnahme haben die bei der Abstimmung anwesenden SPD-Parlamentarier das Gremium dann aber abgelehnt.

Thierse - in Breslau geboren - wünscht sich das "sichtbare Zeichen", die geplante Dauerausstellung, weil er das Wort von der "Versöhnung" ernst meint. Wie diese Vorstellung gegen die Ideen, die Erika Steinbach jetzt vertreten hat, durchgesetzt werden soll, ist fraglich.

Silvio Peritore, Vorstandsmitglied des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, wurde Ende 2009 in den wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" berufen. Angesichts der Vorstöße von Seiten des BdV fragt er, was das Wort "Versöhnung" zu bedeuten habe: "Ich habe in Auschwitz zwanzig Verwandte verloren. Soll ich mich mit den Vertriebenen versöhnen?" Gegen "jegliche Gleichsetzung und Umdeutung der NS-Menschheitsverbrechen" will der Zentralrat der Sinti und Roma "sich zur Wehr setzen".

Erste Konzepte für Dauerausstellung

Der Stiftungsdirektor Manfred Kittel, der Historiker Andreas Kossert und der Ausstellungsmacher Michael Dorrmann arbeiten schon an einem ersten Konzept für die Dauerausstellung. Der SZ sagte Kossert, man sei bestrebt, die Geschichte der Vertreibungen in ganz Europa darzustellen. Da würde dann die deutsche Problematik - möglicherweise - nur mehr eine von vielen sein. Es ist eine ungeheure Aufgabe, die Geschichte der europäischen Vertreibungen so darzustellen, dass die Besucher die Dauerausstellung nicht mit dem diffusen Gefühl verlassen werden, dass es immer viel Elend in der Welt gibt.

Seitdem Anfang des Jahres drei der neun Mitglieder des wissenschaftlichen Beraterkreises unter Protest ihre Demission eingereicht haben, ist das Gremium nicht einberufen worden. Es soll demnächst auf fünfzehn Mitglieder erweitert werden. Seine Aufgabe wird unter anderem darin bestehen, den politischen Interessen der Stiftungsratsmitglieder mit wissenschaftlichen Argumenten entgegenzutreten. Vielleicht besteht die Aufgabe auch darin, zu bewerten, wie das Wirken des BdV seit Kriegsende in der Ausstellung dargestellt wird.

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Quelle:
SZ vom 31.07./01.08.2010/mob
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