Es ist schon ein widersprüchlicher Zufall: Da zeichnet sich ab, dass demnächst das deutsch-schweizerische Steuerabkommen scheitern wird. In diesem Abkommen verzichten die Deutschen unter anderem auf den weiteren Einsatz von gestohlenen CDs mit Steuerdaten. Und just in diesem Augenblick verkündet die Schweizer Bundesanwaltschaft einen Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder, die von solchen CDs profitieren.
Die Empörung in Deutschland, von Wahlkämpfen befeuert, ist nachvollziehbar. Hat sich die Schweizer Justiz nun also einspannen lassen in das Ringen zwischen Bern und Berlin, ist sie der verlängerte Arm einer Regierung, die mit harten Bandagen und allen Tricks für ihre Banken kämpft? Nein, die Schweiz ist keine Bananenrepublik, ihre Ermittler sind durchaus in der Lage, sich dem Einfluss der Exekutive zu widersetzen.
Das haben sie oft bewiesen, etwa im Spionage-Fall der Gebrüder Tinner, als Bern vergeblich versuchte, eine Absprache mit dem amerikanischen Geheimdienst zu vertuschen. Und im deutschen Steuersünder-Fall gibt es ja eine Rechtsgrundlage für ihr Vorgehen: Artikel 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, der von "wirtschaftlichem Nachrichtendienst" handelt.
Trotzdem bleibt ein bitterer Geschmack. Die Stimmung ist so vergiftet wie nach dem Auftauchen der ersten gestohlenen Daten-CDs vor zwei Jahren. Eine zufriedenstellende Lösung des Konflikts scheitert an den unvereinbaren Positionen.
Hier die Deutschen, die die Moral auf ihrer Seite wissen - sie jagen schließlich überwiegend reiche Menschen, die den Fiskus und damit ihre ehrlichen Mitbürger um Milliarden an Steuereinnahmen gebracht haben. Dort die Schweizer, die ihre wirtschaftlichen Interessen verteidigen und so lange wie möglich einen Zustand bewahren wollen, der ihrem Finanzplatz jahrzehntelang Vorteile gesichert hat.
Moral ist aus Berner Perspektive etwas anderes
Moral ist aus Berner Perspektive etwas ganz anderes, vor allem wenn man das freiheitliche Staatsverständnis der Schweizer zugrunde legt. Steuern, darunter verstehen die Schweizer nicht den Tribut, den die Obrigkeit einfordert. Die Steuer ist der Beitrag des Einzelnen für die Gemeinschaft, über dessen Höhe sie selbst entscheiden.
Von dieser Warte aus glauben sie deutschen Behörden sogar vorwerfen zu können: "Selbst schuld, wenn ihr den Bürgern so viel Geld abknöpft." Noch dazu stemmen sich die Schweizer natürlich auch deshalb mit besonderer Verve gegen die Deutschen, weil sie sich vom "großen Kanton" überrollt fühlen.
Diese Feinheiten gehen in der deutschen Innenpolitik unter. Aus Sicht der meisten Deutschen sind die Schweizer widerspenstige Bergler, die es weichzukochen gilt. So dachte Ex-Finanzminister Peer Steinbrück.
Sein Nachfolger Wolfgang Schäuble merkte indes, dass man nicht einfach die Kavallerie nach Bern reiten lassen sollte. Er versuchte den Steuerstreit per Abkommen zu lösen - um endlich an einen großen Teil der Schwarzgeld-Milliarden zu kommen, aber auch, um das seit Jahren belastete Verhältnis zu Bern zu entspannen.
Zeigen nicht die Amerikaner, wie man umgehen sollte mit der Schweiz? Sie drohen mit harten Klagen gegen helvetische Banken - und schon knickt Bern ein: Für US-Bürger gibt es in der Schweiz kein Bankgeheimnis mehr. Diesen Druck werden die Deutschen nicht so einfach entfachen können. Sie besitzen weder die Macht noch die Neigung zu dieser Form von Brutalo-Politik. Und sie haben es nicht mit einem Steuerparadies in Übersee zu tun, sondern mit einem wichtigen Nachbarstaat, ihrem beliebtesten Auswanderungsziel.
Es kann kein Ziel guter Politik sein, dieses Land auf unabsehbare Zeit mit Hilfe gestohlener Daten in die Knie zu zwingen. Das Abkommen mit der Schweiz ist gewiss nicht perfekt, aber eine Basis für ein gedeihliches Miteinander. Es sollte nicht scheitern.