Steuerrecht:"Antifaschismus ist gemeinnützig"

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Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Der Verein wehrt sich und appelliert an den Finanzminister.

Von Ronen Steinke, Berlin

Esther Bejarano hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt, indem sie im Mädchenorchester Akkordeon spielte. Sie hat nach der Befreiung das Internationale Auschwitz-Komitee mitgegründet, und heute ist sie Ehrenvorsitzende des Vereins VVN-BdA, kurz für Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Am Montag hat sie die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit dieses Vereins vorzugehen. Diese sei eine "unsägliche, ungerechte Entscheidung". In einem offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz protestierte die 94-Jährige, die Entscheidung gegen die VVN-BdA sei vor dem Hintergrund alltäglicher rechtsextremer Bedrohungen heute eine "Kränkung". "Das Haus brennt - und Sie sperren die Feuerwehr aus!", schreibt Bejarano.

Es geht um eine Entscheidung, die nicht aus Olaf Scholz' Ministerium stammt, sondern aus dem Land Berlin. Am 4. November hat das Finanzamt für Körperschaften I dort entschieden, den Landesverband der VVN-BdA nicht mehr als gemeinnützig zu bewerten. So muss die Vereinigung Steuern nachzahlen, "in fünfstelliger Höhe", wie ihr Geschäftsführer sagt, der 52-jährige Politologe Thomas Willms. "Damit ist die VVN-BdA in ihrer Existenz bedroht." Die Begründung des Finanzamts Berlin: Der Landesverband in Bayern sei im bayerischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als "linksextremistisch beeinflusst" bewertet worden. In Berlin habe das Amt daraufhin den Mitgliedern die Chance gegeben, sich zu erklären. Jedoch sei "der volle Beweis des Gegenteils, also Widerlegung der Vermutung als extremistische Organisation" nicht erbracht worden.

Verfassungsschützer kritisieren, dass unter den Mitgliedern Kommunisten seien

Auf diese Entscheidung hat Olaf Scholz zwar keinen Einfluss gehabt. Weil es aber nicht die erste Entscheidung dieser Art ist, fordert Esther Bejarano den SPD-Politiker als "zuständigen Minister" auf, die aus ihrer Sicht nötigen "Gesetzesänderungen vorzuschlagen". Auch in Rheinland-Pfalz gab es 2012 einen Streit mit dem Finanzamt, damals ging es für die VVN-BdA gut aus. In Nordrhein-Westfalen hat das Finanzamt Oberhausen-Süd die Gemeinnützigkeit des Landesverbands zuletzt am 22. Oktober bestätigt - aber erst nach längerer Diskussion. Für die Finanzämter in Bayern gilt die VVN-BdA nicht als gemeinnützig.

Die Überwachung des Vereins, in dem sich Holocaust-Überlebende wie Esther Bejarano gemeinsam mit jüngeren Aktivisten engagieren, reicht gewissermaßen historisch zurück. Hauptargument des bayerischen Verfassungsschutzes ist, dass unter den Mitgliedern Kommunisten sind - was freilich ursprünglich damit zusammenhängt, dass viele Kommunisten vom Nazi-Regime verfolgt wurden. Bayerns Verfassungsschutz moniert in seinem aktuellen Bericht konkret, dass der Bundessprecher der VVN-BdA ein Grußwort beim Parteitag der DKP im März 2018 gehalten habe.

Im Jahresbericht von 2016 wurde zudem auf alte Aussagen des VVN-BdA-Ehrenvorsitzenden verwiesen. "In einem in der Wochenendausgabe der Tageszeitung junge Welt (jW) vom 8./9. Dezember 2007 veröffentlichten Interview", so hieß es, "lieferte der ehemalige SED-Funktionär Prof. Dr. Heinrich Fink wiederum Belege für die staats- und verfassungsfeindliche Grundposition seines Verbands, indem er den Beschluss der Innenministerkonferenz in Berlin, extremistische Stiftungen und Vereine über das Steuerrecht von staatlichen Geldern abzuschneiden, als Schritt in die falsche Richtung bezeichnete."

Was damals von Innenministern gefordert wurde, ist heute Gesetz. Eine Klausel im Abgabenrecht besagt, dass die Finanzämter sich grundsätzlich auf die Warnungen der Verfassungsschutzämter verlassen sollen. "Wir finden, Antifaschismus ist gemeinnützig", widerspricht der VVN-BdA-Geschäftsführer Willms, "was denn sonst". An die 6000 Mitglieder hat der Verein heute deutschlandweit, seit der jüngsten Auseinandersetzung mit dem Finanzamt Berlin aber würden es "jeden Tag hundert mehr", sagt Willms.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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